Antillen - Curaçao (SZ):Curaçao: Salz auf unserer Haut

Meergestein und Pflanzenwuchs bedrohen die Häuser der Antillen-Insel: Die Unesco muss eines ihrer größten Architekturprojekte bewältigen.

Margit Kohl

(SZ vom 05.12.2000) - Fenster auf, Fenster zu. Türen auf, Türen zu. Und das mindestens 60-mal am Tag. Ein eigenes Dienstmädchen hatte Familie Römer einzig dafür angestellt, alle Fenster und Türen in Bewegung zu halten. Familie Römer, so scheint es, hatte es komfortabel getroffen mit ihrem Kolonialhaus im Willemstader Stadtteil Otrobanda auf der Karibikinsel Curaçao. Der vermeintliche Traumjob ihres Dienstmädchens - der reine Albtraum. Nicht etwa, dass die Hausherren ihre Bedienstete mit ausgiebigem Tür- und Fensterdienst schikaniert hätten oder gar Horden von Piraten jedes Mal die Stadt bedrohten. Nicht Kanonenboote setzten Willemstad zu, sondern die dampfenden, rußenden Schlote der Handelschiffe, die in den 50-er Jahren alle naselang durch den Hafen kreuzten. Höchste Alarmstufe, wann immer das Schiffshorn tutete. Dann hieß es, schnell alle Häuseröffnungen verrammeln, bevor eine schwarze Wolke das ganze Viertel mit öligem Ruß bedeckte.

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Die Handelsarkaden in Punda zählen zu den Meisterwerken niederländischer Kolonialarchitektur

(Foto: Foto: Margit Kohl)

Die typischen niederländischen Kaufmannshäuser mit ihren treppen- und glockenförmigen Giebeln, weißen Stuckverzierungen und roten Ziegeldächern haben ziemlich gelitten, seit die Niederländer 1634 Curaçao für sich beanspruchten und sich ganz kolonialherrentypisch verhielten: Man bringt die Sitten und Gebräuche von zu Hause mit und baut die Heimat in der Ferne neu. Kein Wunder, dass die Niederländer auf Curaçao besonders in der Architektur bleibende Spuren hinterlassen haben. Hatten sich die Spanier noch mit einfachen Steinhäusern begnügt, begann mit den Niederländern eine andere Art des Bauens. Aufstrebende protestantische Kaufleute bauten Wohn- und Lagerräume und Büros. Das Gesamtbild der kleinen, rechtwinklig angelegten Straßen von Punda hat sich im Lauf der Jahrhunderte bis heute kaum verändert. Die ersten schmalen, engen Gebäude waren exakte Nachbauten der Häuserzeilen, wie sie sich an den Kanälen Amsterdams finden. Im Hafen von Willemstad entstanden die Handelsarkaden. Klein-Amsterdam in der Karibik, bunt gestrichene Bauten in niederländischer Kolonialarchitektur, hauptsächlich im 17. und 18. Jahrhundert erbaut. Das Penha-Haus an der Handelsarkade ist das bekannteste in diesem Stil.

Otrobanda - ein Irrgarten

Seit 1997 ist Willemstad Unesco-Weltkulturerbe. Die Vermischung von niederländischem Baustil und karibischer Bauweise war Grund für die Aufnahme in die Liste der Welterbestätten. Doch schon bevor die niederländische Regierung die Hauptstadt Curaçaos auf der Prioritätenliste der Restaurierungsarbeiten ganz nach oben gesetzt hatte, gab es Bestrebungen, verfallende Stadtteile wie Otrobanda, Pietermaai und Scharloo zu retten. Etwa ein halbes Dutzend öffentlicher und privater Träger hatten sich zusammengetan. Einer, der seit mehr als zehn Jahren an der Restaurierung historischer Gebäude arbeitet und sich dafür eingesetzt hatte, dass Willemstad in die Unesco-Liste aufgenommen wurde, ist der Architekt Anko van der Woude. Aufgewachsen in Curaçao, studierte van der Woude Architektur in Holland.

Zurück auf der Antillen-Insel hat er als Mitglied der Willemstad-Unesco-Kommission bisher an der Renovierung von etwa 30 Weltkulturerbe-Objekten mitgearbeitet. "Willemstad ist einzigartig. Zum ersten Mal muss die Unesco mit einem so großen Schutzgebiet umgehen. Es sind etwa 750 Einzelgebäude. Alle verteilt auf die Stadtteile Punda, Otrobanda, Pietermaai und Scharloo. Dazwischen gibt es viele offene Gebiete - Zonen in sehr schlechtem Zustand. Die müssen mit Gebäuden aufgefüllt werden. Und alles muss mit den historischen Bauten harmonieren. Das dauert. Das kostet. Es gilt, keine Zeit zu verlieren", sagt van der Woude. Und Zeit ist das, was er am allerwenigsten hat. Immer, wenn der Architekt von Architektur redet, tut er das in rasender Geschwindigkeit, ohne Punkt, ohne Komma und ohne Luft zu holen. Nebensätze - reine Zeitverschwendung. Viel muss in kurzer Zeit gesagt werden, wenn Anko van der Woude einmal in der Woche eine Gruppe Architekturinteressierter durch die Stadt führt.

Zentrum der aufstrebenden Mittelklasse

Durch Otrobanda zum Beispiel. Otrobanda bedeutet "andere Seite", das Viertel der Einheimischen jenseits des Kanals, wo früher die Hütten der Sklaven vor sich hinrotteten. Im Gegensatz zu Pundas geradlinigem Straßennetz gleicht Otrobanda einem Irrgarten mit gewundenen Straßen und Alleen. Kaufleute errichteten hier standesgemäße Villen, mit denen sie ihre herausgehobene Position dokumentieren wollten. Sie missachteten Bauvorschriften und kommerzielle Erwägungen, wie sie in Punda noch eine wesentliche Rolle spielten, wichen dem Wohnkomfort. Da die andere Seite nie als Stadtfestung angelegt war, gab es genügend Platz, sich auszubreiten. Die Villen glichen in Größe und Bauweise denen, die zur gleichen Zeit auf dem Land entstanden. Im Vergleich zum überfüllten Punda ein unvorstellbarer Luxus mit Gärten und getrennten Wohnquartieren für die Bediensteten. Im 18. und 19. Jahrhundert kamen viele freie Schwarze vom Land in die Stadt, um hier zu arbeiten. Otrobanda wurde zu einem Zentrum der aufstrebenden schwarzen Mittelklasse. Kaufleute des Mittleren Ostens siedelten sich Anfang des 20. Jahrhunderts an.

Da Otrobanda als Ausweichquartier von Punda schon fest in protestantischer Hand war, orientierte sich die zweitgrößte Gruppe von Kaufleuten, die sephardischen Juden, nach Scharloo auf die andere Seite des Waaigats. Im Unterschied zu Otrobanda dominieren hier leuchtende Farben und verschlungene Formen, neoklassizistische Eleganz. Noble Villen im italienischen Stil entstanden. Reiche Verzierungen erforderten neue Bautechniken. Ziegel wurden säulenförmig um Eisenträger gemauert, feine Mauerarbeiten mit kleinen Ziegelstücken ausgeführt.

Passatwinde nehmen Küchengerüche mit sich

Im Lauf der Zeit passten die Niederländer ihre mitgebrachten Architekturvorstellungen den Gegebenheiten des tropischen Klimas an. Der karibische Einfluss ließ Terrassen, Veranden und Fenstergitter entstehen. So sind die Wohnhäuser durch je eine überdachte Galerie vor und hinter dem Haus zusätzlich vor der sengenden Sonne geschützt. Die Wohnbereiche waren so angelegt, dass sich der kühlende Passatwind seinen Weg durchs Haus bahnen musste und die Küchengerüche aus dem Haus hinauswehte.

Anko van der Woude hastet weiter und spricht in einer Geschwindigkeit, bei der er sich gleichsam selbst überholt. Schließlich muss er in kurzer Zeit möglichst viel erklären. Etwa, dass die Renovierungsarbeiten bisher fast 100 Millionen gekostet haben, bezahlt von privater Hand und von Stiftungen. 300 weitere Millionen sollen noch nötig sein, um den Rest der Stadt zu sanieren. Und das kann dauern. Van der Woude deutet nach oben: "Auf den Dächern von Otrobanda haben die Bäume ihre Wurzeln im Dachstuhl", und damit beliebt der Architekt nicht zu scherzen. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Dachterrassengarten, entpuppt sich fatalerweise als Parasit. Den Übeltäter haben die Restaurateure schnell ausgemacht: Bis 1920 verwendete man Korallen und Bruchsteine, die mit einem Mörtel aus Lehm, Kalk und Meersand zusammengehalten wurden.

Damit trugen die Häuser den Keim des Todes in sich. Baustoffe waren wegen der kargen Bodenbeschaffenheit auf Curaçao knapp, und Ziegel aus Holland einzuführen war zu teuer. Das Salz des Seegesteins und des Sandes sickerte mit den Jahren nach außen und zersetzte die Hauswände. An vielen zerbröckelnden Fassaden kann man den Mauerkrebs, wie ihn die Einheimischen nennen, erkennen. Mit dem Schlamm setzten sich dann auch noch Pflanzensamen fest. Aus den Dächern wachsen inzwischen Bäume und Sträucher, deren Wurzeln ganze Häuser zersprengen. "Inzwischen verhindert nach der Renovierung eine Schutzschicht das Keimen der Pflanzen, und ein spezieller Putz kann auch die Ausdehnung durch das Salz etwas abfedern", sagt Anko van der Woude und holt zum ersten Mal tief Luft. Zumindest diese Tatsache scheint ihn zu beruhigen.

Aschenputtel wird zur Prinzessin

Weil sich immer weniger Familien die Instandsetzung ihrer Häuser leisten können, übernimmt die Monumental Foundation 30 Prozent der Kosten. Manchmal reicht das nicht. Dann können sich, wie in Punda, nur noch Banken und Geschäfte das Prestige leisten, sich in renovierte Gebäude einzumieten. In Otrobanda aber leben noch viele Einheimische. Der Maler zum Beispiel, der sich mit seinem Kumpel nach der Arbeit auf die Farbeimer zu einer Partie Dame setzt und dazu eine Zigarre raucht. Oder, wenn an Sonntagen die letzten Kirchgänger durch die Straße des Gewissens, den Conscientiesteeg, zur Kirche schleichen, weil sie wieder mal zu spät dran sind. Viele Prominente aus Otrobanda, die dort zu einer Zeit aufwuchsen, als das Stadtviertel noch ein kulturelles Zentrum der Stadt war, spielen heute eine wichtige Rolle bei der Förderung der Restaurierungsarbeiten. Aschenputtel putzt sich zur Prinzessin raus, das Armenviertel mausert sich zur Ausgehmeile.

Sind die Häuser erstmal restauriert, stellt sich die Frage nach geeigneten Nutzungskonzepten. Die etwa 90 Landhäuser tun sich damit besonders schwer. Meist auf einem Hügel gelegen, umweht sie eine angenehme Brise, die einst lediglich den Plantagenbesitzern das Leben angenehmer machte. In solch exponierter Position konnten sie sich von Landhaus zu Landhaus leicht verständigen, wenn ein Sklave entlaufen war. "Sklave, Hui, Hui . . ." klang es dann wie ein Echo von Hügel zu Hügel.

Von Landhäusern und Legenden

Jan Kocks Landhaus ist eines dieser Überbleibsel der einstigen Sklavenwirtschaft. Die spätere Eigentümerin Madame Jeanette, deren Vorfahren noch als Sklaven in den Tümpeln Salz für die holländische Heringswirtschaft schaufeln mussten, sahen ihre Nachbarn mit vielen bösen Geistern im Bunde. So, als könne es nicht mit rechten Dingen zugehen, dass nun eine Schwarze das prächtige Landhaus bewohnte. Zumindest musste Madame Jeanette bei ihrem nächtlichen Auftritt als schwarzes Gespenst in weißem Nachthemd eine Einbrecherbande so verschreckt haben, dass sie seither Fenster und Türen auch dann offen stehen lassen konnte, wenn sie gerade nicht zu Hause war.

Doch ihre Geschichten von Landhäusern, Legenden und Gespenstern konnten den Unterhalt des Gehöfts nicht sichern. Vor allem private Eigentümer sind gezwungen, sich um neue Konzepte zu bemühen. Renovierungsarbeiten sind teuer, müssen doch denkmalgeschützte Häuser mit Originalmaterialien restauriert werden. War der Fußboden aus Mahagoni, das damals aus Afrika billig beschafft werden konnte, wird die Restaurierung heute zum kostspieligen Unterfangen. Deshalb musste Jeanette Leito ihr Anwesen schließlich verkaufen. Auch andere Landhäuser haben inzwischen eine neue Nutzung als Museum oder Restaurant gefunden.

Wer Schuhe trug, musste zahlen

Die Zeit ist um, es ist dunkel geworden. Anko van der Woude beendet seinen Stadtspaziergang. Er will noch die "Schwingende alte Lady" erreichen. 168 Meter lang, auf 16 Pontons im Wasser schwimmend, verbindet die Königin Emma Brücke Otrobanda und Punda. Immer, wenn ein Schiff in den Hafen einläuft, fährt oder besser gesagt schwingt die Fußgängerbrücke zur Seite. Gebaut hat diese Lady 1888 der amerikanische Konsul L.B. Smith. Um die Baukosten zu finanzieren, verlangte er Gebühren von allen Brückenüberquerern, die Schuhe trugen. Um die Armen zu schonen, die sich keine Schuhe leisten konnten, mussten diese nichts bezahlen. Doch die noble Geste des Konsuls ging nicht auf. Denn die Armen wollten sich ihre Armut nicht ansehen lassen und liehen sich Schuhe aus. Die Reichen dagegen waren so geizig, dass sie die Schuhe auszogen, nur um nichts bezahlen zu müssen.

Wer reich war auf Curaçao, ließ sich stets etwas einfallen, damit das auch immer so blieb. So finden sich auf der Insel so gut wie keine weißen Häuser. Gouverneur Kekkert, der vor mehr als 170 Jahren in der holländischen Kolonie das Sagen hatte, soll weiße Farbe unter Strafe gestellt haben, weil er durch die starke Sonneneinstrahlung von Weiß derart geblendet war, dass er ständig unter Kopfschmerzen litt. Nach seinem Tod kam der wahre Grund ans Licht. Der Gouverneur war Eigentümer einer Farbenfabrik.

Informationen: Fremdenverkehrsamt Curaçao, Arnulfstraße 44, 80335 München, Telefon 089/598490, Fax: -/592391, Internet: http://www.curacao.de Oder vor Ort: Curaçao Tourism Development, Pietermaai 19 Willemstad, Telefon 00599/94616000. Hier werden auch Stadtspaziergänge durch architektonisch interessante Viertel organisiert.

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