Amerika, der Länge nach (XXIX):Che hatte Recht

Reisen verändert, diese Erfahrung hat der Bürgersohn und spätere Revolutionär bei seinen Motorrad-Exkursionen gemacht. Auf Che Guevaras Route Richtung Endstation, Richtung Buenos Aires.

In Bariloche ist es schwierig, durch die Stadt zu kommen. Auf den Gehwegen stehen riesige Gruppen von jungen Argentiniern, die übernächtigt wirken. Es ist die Zeit, in der junge Schüler und Studenten auf Abschlussfahrt gehen. Die Bergstadt in Patagonien, an einem stürmischen See unter weißen Gipfeln, ist ihr Lieblingsziel.

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(Foto: Grafik: Samuel Schrott)

Vor ein paar Jahren wurde den Menschen in Bariloche der Lärm zu viel. Seitdem müssen die jungen Reisegruppen eine Sondersteuer bezahlen. Das soll einerseits abschreckend wirken, andererseits helfen, die zerstörten Blumentöpfe zu ersetzen. Ich vergnüge mich, indem ich mich spontan zu den Gruppenfotos dazustelle.

Die Argentinier finden das erst irritierend, dann lustig. Als Hintergrund für die Fotos dient das Rathaus, das aussieht wie eine Schweizer Almhütte. Oder der Nahuel Huapi. Das ist der See. Nahuel Huapi kommt aus der Sprache der Mapuche-Indianer und bedeutet "Insel des Tigers". Auch wenn es hier keine Tiger gibt.

Von Puerto Montt in Chile bin ich mit dem Bus über die Grenze nach Bariloche gekommen. Das ist dieselbe Strecke, die Che Guevara auf seiner ersten Südamerikareise genommen hat, nur in die andere Richtung. Damals gab es keine geteerten Straßen. Che Guevara war auf dem Motorrad unterwegs.

Argentinien ist das Land von Ernesto Guevara de la Serna, wie Che wirklich heißt. Der Name hat sich vollständig gelöst von dem Menschen, der ihn trug. Che war kein Extremist aus einem Armutsviertel, sondern Kind einer großbürgerlichen Familie aus Buenos Aires. Er studierte Medizin und nutzte die Ferien, um zu reisen.

Die Geschichte des Che ist der Beweis dafür, wie radikal eine Reise einen Menschen verändern kann, auch wenn sie nur ein paar Monate dauert. Die Unfreiheit und Unterdrückung der Indios in Chile, Bolivien, Ecuador und Peru erschütterte ihn derart, dass er nicht mehr in sein vorheriges Leben zurückkehren wollte.

Die Tante der Familie, mit der ich im Jeep durch die bolivianische Wüste gefahren war, hat mir erzählt, dass ihr Großonkel Che Guevara vor vierzig Jahren in La Higuera erschossen hat. Ich hatte keine Zeit, den Großonkel zu besuchen und ihn zu fragen. Sein Name ist Mario Téran, damals Feldwebel der bolivianischen Armee.

An einem Flughafen in Ecuador habe ich eine Biographie über Che Guevara gekauft. Vor meiner Reise hatte ich den Film über die Motorradfahrt gesehen. Nicht wirklich ein Film über die Gedanken des Revolutionärs, sondern eine Reisereportage mit wundervollen Bildern aus Valparaiso, Machu Picchu und dem Amazonas.

Während der Busfahrt überlege ich, wie sehr mich meine Reise verändert. Ich denke, dass ich das erst merke, wenn ich wieder daheim bin. Dann wird sich das altbekannte Leben mit der Kraft der Gegenwart vor das frisch Erlebte schieben. Ein neuer Mensch werde ich nicht sein. Ein in vielen Dingen anders denkender Mensch schon.

Che hatte Recht

Am ersten Morgen in Bariloche will ich mit Christian einen Berg besteigen. Christian ist aus dem Allgäu erst nach Berlin und dann nach Argentinien ausgewandert. Im Land kennt er sich aus. Nachdem ich mir monatelang meine Wege selbst erarbeitet habe, lässt mich seine Gegenwart mich sicher fühlen und entspannen.

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Die Endstation des Busses ist vor dem Hotel Llao Llao. In meinem Reiseführer steht, dass es sich um das berühmteste Hotel Argentiniens handelt. Das Llao Llao steht auf einem Hügel außerhalb von Bariloche, nichts zu sehen als Berge, Himmel und Seen. Kein Wunder, dass die Argentinier ihre Flagge weiß-blau angemalt haben.

Das Problem ist, dass der Bergpfad auf den Cerro Lopez erst zehn Kilometer weiter anfängt. Wir treiben uns in der Lobby herum und schauen die Gäste an, die rund 500 Euro pro Nacht für ihre Zimmer bezahlen, umgerechnet in argentinische Kaufkraft ist das fast doppelt so viel. Vor allem Amerikaner logieren hier.

Als wir den Portier nach dem Weg fragen, hält er uns für Hotelgäste und ruft einen Fahrer, der uns zum Berg bringt. Drei Stunden später stehen wir im Schnee und schauen hinab auf den ältesten Nationalpark Argentiniens. Ganz hinten die Häuser von Bariloche, auch ein Mapuche-Wort, für "Menschen hinter dem Berg".

Hier oben stehe ich an der Schwelle zwischen West und Ost, zwischen Pazifik und Atlantik. Am Atlantik war ich zum letzten Mal in Panama, seither bin ich entlang der Westküste Südamerikas gereist. Argentinien ist das fünfzehnte Land auf meinem Weg. Ich liebe es, Grenzen zu überqueren, vor allem zu Fuß.

Zwei Tage später bringt mich der Bus durch flaches Land nach Osten. Ich steige in Mar del Plata aus, einem Urlaubsressort am Atlantik. Christian und ich wollen ein Wochenende am Strand liegen und feiern, bevor das Leben wieder ernster wird. In einer Freiluftdisco geht die Post ab. Christian tanzt auf dem Dach.

Mehrere hundert Argentinier jubeln ihm zu. Ich will das auch, steige hinterher, dann zieht uns einer der Wächter herunter. Er will mich rauswerfen. Ich verschwinde in der Masse. Nicht so schwierig, denn in Argentinien gibt es Menschen, die zumindest annähernd so groß sind wie ich. Ich wirke nicht mehr ganz so fremd hier.

Die Sonne ist über dem Meer aufgegangen. Das irritiert mich. Dann erinnere ich mich, dass ich am Atlantik bin. Als der Club um sieben Uhr morgens schließt, tanzen wir mit den verbliebenen Argentiniern auf der Straße weiter. Wir steigen in ein Auto mit Touristen aus Kolumbien. Die Fahrt ist ziemlich weit. Eine andere Party.

Christian und ich haben kein Geld mehr, um den Eintritt zur Afterparty zu bezahlen. Auch zurück nach Mar del Plata kommen wir ohne Geld nicht. Wir sind fast schon in Miramar. Che Guevara hat dort vor seiner Reise seine Freundin sitzen lassen. Ein anderer Kolumbianer leiht uns ein paar Pesos für den Bus.

Ich stehe im Gang. Neben mir sitzen zwei junge Missionare der Mormonen. Ich erzähle, dass ich in Utah eine hübsche Mormonin getroffen habe. Wir kommen an zwei schweren Verkehrsunfällen vorbei. Ein Mann liegt mit offener Bauchwunde am Straßenrand. Er scheint noch zu leben. Die Mormonen schenken mir eine Bibel.

Mar del Plata ist hässlich, die Strände sind überfüllt, es ist Hochsommer. Nach meinen Fahrten durch die Wildnis freue ich mich über diese Art von Zivilisation. In einer Parilla essen wir Steaks und Kartoffeln. Auch das ist schön, nach mehreren Monaten Reis. Kellnerin Nadia hat uns in der Nacht auf dem Dach tanzen sehen.

Am nächsten Tag geht es nach Buenos Aires. Ich fliege heim.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) war bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Korrespondent in Berlin tätig. Durch seine journalistische Arbeit hat er mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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