Amerika, der Länge nach (XXIV):Weit weg vom Dollarland

In Ecuador kann man an einem Tag im Dschungel wandern, durch Schneeberge fahren und am Sandstrand liegen. Wenn nicht das leidige Backpacker-Problem wäre.

Robert Jacobi

Als ich morgens im Amazonas schwimme, verliere ich eine Sandale. Ich hatte beide Sandalen an einem trockenen Fleck am Ufer abgestellt. Nach dem kurzen Bad in kaltem Wasser ist der trockene Fleck nass. Nur eine Sandale steht noch da. Eine Welle muss die andere Strandsandale fortgespült haben.

Das Wasser sprudelt hier noch über Felsen. Erst viel weiter abwärts sammeln sich die einzelnen Arme zu dem bräunlichen Strom, der sich quer über den ganzen Kontinent zieht. Eine Stunde flussaufwärts von meiner Badestelle steigen Berge aus der Ebene. Noch weiter oben liegen die Quellen.

Ich gehe zurück ins Dschungeldorf und schenke meiner Gastfamilie die übrig gebliebene Strandsandale. Vielleicht fischen sie die verschwundene Sandale irgendwann weiter unten aus dem Fluss. Es sei denn, die Sandale schwimmt auf dem Amazonas bis nach Manaus, oder sogar bis zum Meer.

Streng genommen fließt der Amazonas gar nicht durch Ecuador. Der Fluss entspringt in den Anden von Peru und läuft in nördliche Richtung die Hänge hinab. In Iquitos, der Stadt des "Fitzcarraldo" von Werner Herzog, biegt der Amazonas nach rechts ab. Dann streift er Kolumbien und durchquert Brasilien zum Atlantik.

Trotzdem nennen die Ecuadorianer das Gebiet östlich der Berge ihren Amazonas. Durch den Dschungel zieht sich ein Flusssystem. Tiger leben hier. Amerikanische Firmen pumpen Öl aus der Erde. Und geographisch haben die Ecuadorianer sogar recht, denn die Gegend ist Teil des Amazonasbeckens. Alles flach.

Auf dem Landweg bin ich nach Ecuador eingereist. Kurz vor der Grenze liegt Ipiales. Das ist die südlichste Stadt Kolumbiens. Auf meinem Bett in der Pension stapeln sich vier Wolldecken. Heizung gibt es nicht. Draußen hat es fünf Grad. Abends hatte ich den Wetterbericht aus Deutschland gelesen. Wärmer dort.

Ein Taxifahrer bringt mich zu einem Haus aus Ziegelsteinen, in dem ich meinen Ausreisestempel bekomme. Der Morgennebel hebt sich. Ein Geldwechsler betrügt mich, indem er in letzter Minute ein scheinbar besseres Angebot macht. In Wirklichkeit bekomme ich weniger Dollar für meine Pesos, nicht mehr.

Ich bin weit weg vom Dollarland. Aber auch Ecuador hat seine eigene Währung aufgegeben. Eine Nacht bleibe ich in Otavalo. Der Ort ist für den Markt bekannt, auf dem es Teppiche mit Andenmuster gibt. Eine Amerikanerin fragt mich, ob mir der Wollpulli für ihre Tochter gefällt. Ich lächle. Der Pulli gefällt mir nicht.

Am nächsten Morgen stapfe ich am Stadtrand durch Müllberge. Ich will zu den grünen Hügeln, den Ausläufern der riesigen Vulkane, die sich in den Wolken verstecken. Dort begegnet mir ein Viehhüter mit drei Kühen und einem Hund. Alte Frauen schleppen riesige Holzbündel. Ein Schwein grunzt mich an.

Die Fassaden mancher Häuser sind mit Wahlplakaten zugeklebt. Quito ist nicht weit. In der Hauptstadt regiert ab nächster Woche ein lebhafter und noch recht junger Mann namens Rafael Correa. Er hat gegen den größten Bananenpflanzer des Landes gewonnen, obwohl der öffentlich auf die Knie gefallen war, um zu beten.

Correa ist gut bekannt mit Hugo Chavez aus Venezuela.

Weit weg vom Dollarland

Ab Montag dieser Woche regieren linksgerichtete Präsidenten in fast allen großen Ländern in Südamerika. Vor zwanzig Jahren regierte noch das Militär den halben Kontinent. Einzige Ausnahme ist Alvaro Uribe in Kolumbien, der sogar Soldaten in den Irak geschickt hat.

Amerika, der Länge nach (XXIV): undefined

Auf dem Weg nach Quito läuft im schwankenden Bus eine Raubkopie von "Snakes on a Plane". Manchmal bewegen sich Schatten über den Bildschirm. Der Film ist mit einer Videokamera von der Leinwand abfotografiert. Frauen, Kinder und alte Männer schauen begeistert zu. Südamerikaner lieben Action- und Gruselfilme.

In Quito schaue ich mir an einem Tag mindestens zehn Kirchen an. Ich verneige mich vor dem Grab des Mariscal Sucre. Der hat zusammen mit Simon Bolivar die Gegend von den Spaniern befreit. Mit 18 Jahren war Sucre Oberstleutnant, mit 20 gewann er seine erste Schlacht, mit 31 wurde er Präsident und mit 35 ermordet.

Nach dem Abendessen im "Secret Garden" gehe ich mit dem Stab des Hostels und anderen Touristen in die Nacht. Auf dem Rückweg bilden sich Paare. Es ist leicht, in einem Hostel anzubandeln. Dann aber kommt das typische Backpackerproblem: Wie geht es weiter, wenn das Geld bei beiden nur fürs Dormitorium reicht?

Zwei Tage lang verlasse ich Quito, um mit zwei Holländern und einem Bergführer aus Ecuador den Cotopaxi zu besteigen. Alexander von Humboldt hat es nicht bis zum Gipfel geschafft. Wir schon. Die letzten Schritte auf fast sechstausend Meter sind ein harter Kampf. Anders als wir hatte Humboldt weder Seil noch Schneeschuhe.

Inzwischen befinde ich mich südlich des Äquators. Leider habe ich den genauen Moment verpasst, weil ich im Bus "Snakes on a Plane" angeschaut habe. Oben auf dem Berg freue ich mich. Der Weg aus der Arktis zum Äquator war ziemlich weit. Geflogen bin ich nur einmal, sehr kurz, weil es keine Straße nach Kolumbien gab.

Auf dem Weg in den Dschungel verbringe ich ein Wochenende in den Thermalbädern von Papallacta. Das lockert die Muskeln. In Tela erklärt mir der Besitzer des Internetshops, dass er vor einem Jahr bei Walter Greiner in Frankfurt am Main promoviert hat. Das ist einer der berühmtesten Physiker Deutschlands.

Ecuador ist das einzige Land in Südamerika, das sich auch für einen Kurzurlaub eignen würde: Innerhalb eines Tages kann man im Dschungel wandern, durch Schneeberge fahren und am Sandstrand liegen. Das mit dem Strand machen Ausländer gerne in Montanita, vor allem wenn sie ein Surfbrett dabei haben.

Ich übernachte ein paar Kilometer nördlich, in Olon. Ruhig dort. Ein alter Ladenbesitzer erzählt mir, dass er zehn Kinder großgezogen hat, nur mit ein wenig Geld aus dem Laden und aus dem Meer. Fast alle Männer hier sind Fischer. Die Kinder kommen nicht mehr mit hinaus.

Sie üben Surfen.

Als Surflehrer verdient es sich gut.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) war bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Korrespondent in Berlin tätig. Für seine journalistische Arbeit hat er mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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