Amerika, der Länge nach (XX):Unter Schmugglern

Im Überlandbus zwischen Honduras und Nicaragua sitzen stämmige Frauen auf großen Paketen. Und verstecken sie an der Grenzkontrolle. Dabei sehen die Frauen gar nicht aus wie Drogenkuriere.

Robert Jacobi

In Leon sehe ich einen Mann, der wenig später der Präsident von Nicaragua sein wird. Schwarz-rote Fahnen hängen über den Straßen. Autos mit Lautsprechern fahren vorbei. Ich esse einen Hamburger an einem Straßengrill. Drei schmale Jungs bleiben stehen und betteln. Nicht um Geld, sondern um Nahrung. Wir teilen den Hamburger. Ich kaufe ihnen noch einen und weiß nicht, ob das richtig ist.

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(Foto: Grafik: Thiessat)

Nicaragua ist nach Haiti das ärmste Land in Lateinamerika. Einige Familien sind mit Kaffee und Bananen sehr reich geworden. Besonders reich sind die Ortiz Gurdian. In Leon haben sie vor fünf Jahren zwei Häuser im Kolonialstil renoviert. Dort stellen sie ihre Gemäldesammlung aus, kostenlos. Der Ort wirkt beruhigend. Moderne Kunst aus Nicaragua, Kolumbien und Urguay. Wunderwerke, im Westen ignoriert.

Am Abend zuvor bin ich von Honduras eingereist, mal wieder über eine Brücke. Auf einer Tafel über der Panamericana wünscht Japan den Besuchern eine gute Reise. Das verwirrt mich, bis mir ein Nachbar im Bus erklärt, dass die Japaner nach dem letzten Hurrikan alle Brücken hier wieder aufgebaut haben. Der Mann kommt aus El Salvador. Sein Unternehmen läuft gut. Er lebt in Nicaragua. Das ist sicherer.

Zwei Jungs haben mir über die Grenze geholfen und mich um zwanzig Dollar betrogen. Auf dem Weg nach Leon wird es dunkel. Rund um mich sitzen stämmige Frauen. Als der Bus sich einer Kontrolle nähert, verstecken sie dicke Pakete. Wenig später laden sie die Pakete in einen schwarzen Kombi. Die Frauen schmuggeln nicht Drogen, sondern Softdrinks und Kartoffelchips. In Honduras sind sie billiger.

In Leon sind die Menschen lieb. Es gibt zwei Hostels. Im "ViaVia" wohnen nur Deutsche und Holländer. Gegenüber liegt das "Bigfoot". Da wohnen nur Amerikaner. Abends trinke ich ein Bier mit zwei Schweizerinnen und zwei Deutschen. Bald wird mir langweilig. Lärm dröhnt durch dunkle Gassen. Vor der Kathedrale steht eine Bühne. Ein mittelalter Mann mit dunklem Schnauzbart spricht.

Nach jedem Satz macht der Mann eine Pause. Er schaut in die Menge. Hunderte Menschen schwenken schwarz-rote Fahnen. Hugo Chavez wird bald einen Öltanker schicken, verspricht der Mann. Der Handel mit Amerika sei wichtig, aber die Armen müssten daran teilhaben. Auch Kuba kommt vor. Die Ideen des Sozialismus will der Mann erhalten, aber verspricht, auch die Wirklichkeit anzuerkennen.

Ein Fahrradfahrer bleibt stehen. Ich frage ihn, wer da spricht. "Das ist Daniel Ortega, der nächste Präsident von Nicaragua." Bald ist Wahl. Zeitungen sehen Ortega als Außenseiter. Ortega gewinnt. Eine schlechte Nachricht für das Weiße Haus. Die US-Botschaft in Managua hat Wahlkampf gegen Ortega geführt. Als junger Mann raubte Ortega eine Filiale der "Bank of America" aus. Geld für die Revolution.

Daniel Ortega war schon mal Präsident. In den achtziger Jahren. Als Chef der Sandinisten hatte er einen amerikatreuen Diktator gestürzt. Ronald Reagan wiederum wollte Ortega stürzen. Deshalb kaufte er den Contras Waffen. Dem Kongress in Washington gefiel das nicht. Der Geheimdienst half. Agenten verkauften heimlich Waffen an Iran und schleusten das Geld zu den Contras nach Nicaragua.

Unter Schmugglern

Die Wahl Ortegas ist Zeichen des Aufbegehrens, das von Südamerika nach Mittelamerika gelangt ist. Früher handelte es sich um ein Kolonialgebiet mit Regierung in Washington. Honduras ist noch heute ein riesiges Gewächshaus für Supermärkte in Chicago und Atlanta. Und auch Ortega erkennt an, dass Nicaragua den Export braucht und Geld, das Auswanderer aus Amerika schicken.

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Nachts bewacht Mario das Hostel in Leon. Morgens gießt er die Mangobäume im Garten. Dann kümmert er sich um seine Familie. Die Besitzer des Hostels sind Belgier. Sie zahlen Mario hundert Dollar im Monat. Mario hat vier Kinder. Ein Sohn brauchte neulich einen orthopädischen Schuh. Dafür zahlte Mario fünfzig Dollar. Am Ende des Monats gab es nur noch Reis im Haus.

Mario hält nichts von Ortega. Nicaragua habe sich gerade erst erholt von den Fehlern der Vergangenheit. Auch Mario findet aber, dass die Menschen wieder stolz auf sich selbst werden müssten. Die Vulkane und die Strände und die Seen gelten heute als das Kapital des Landes. Sogar ein Reisender wie ich, der mit Rucksack auftaucht und nicht viel Geld ausgibt, bringt Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

An der Pazifikküste gibt es schon Surferorte, in denen amerikanische Makler die Grundstücke anbieten und Subway-Filialen ihre Sandwichs verkaufen. Ich fahre nicht dorthin, sondern nach Granada. In Managua muss ich umsteigen. Auf einem Plakat verspricht Ortega "Null Arbeitslosigkeit". Hunderte Busse versperren die Straßen. Fahnen hängen aus den Fenstern. Auch Schilder mit frommeren Sprüchen.

Hunderttausende Menschen kommen in die Hauptstadt, um gegen Abtreibung zu protestieren. Die Gesetze sind schon streng. Nur wenn drei Ärzte bestätigen, dass die Mutter sterben könnte, ist Abtreibung erlaubt. Neun von zehn Menschen in Nicaragua sind Katholiken. Kurz nach der Wahl unterschreibt der noch amtierende Präsident ein Gesetz, das Abtreibung komplett verbietet. Ortega findet das gut.

Haie im Süßwassersee

Die Fassaden der Hotels in Granada sind frisch gestrichen. Die Kathedrale ist renoviert und glänzt in gelb und orange, als hätten die Spanier sie gerade erst gebaut. Schwitzend belegen Arbeiter die Straße zum See mit Asphalt. Ich nehme ein Boot zu den Inseln. Am Horizont sind Wolkenstreifen zu sehen und Berge. Achtzehn Mal würde der Bodensee der Fläche nach in den Lago de Nicaragua passen.

Das Motorgeräusch macht einen Affen neugierig. An seinem Schwanz hängt er sich von einem Ast und beobachtet uns. Reiher stehen im Schilf. Im See leben Haie. Aus dem Meer haben sie sich verirrt und dem Süßwasser angepasst. Eine andere Theorie behauptet, dass der See mal eine Bucht im Pazifik war. Dann fiel der Wasserspiegel. Die Haie blieben zurück. Ich bemühe mich sehr, aber sehe keinen Hai.

Auf dem Rückweg zum Ufer kommen wir an einer Bastion der Spanier vorbei. Als sie kamen, regierte Stammesführer Nicarao das Land. Auch sahen sie viel Wasser. Deshalb nannten sie das Land Nicaragua. Ich würde gerne bleiben, nehme aber den nächsten Bus zur Grenze. In Costa Rica bin ich mit einer Freundin verabredet. Ich freue mich darauf, mal wieder mit einem anderen Menschen zu reisen.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der Süddeutschen Zeitung als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin. Durch seine journalistische Arbeit hat er bereits mehrere Preise gewonnen, unter anderem den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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