Amerika, der Länge nach (XVI):Eine Hochzeit und ein Härtefall

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Durch den Norden Mexikos: Die ersten hundert Kilometer sind langsam, aber harmlos. Dann beginnt die Todeszone.

Robert Jacobi

In Las Nieves nehme ich an einer Hochzeit teil. Der Sohn eines Bauern heiratet die Tochter eines Nachbarbauern. Alle männlichen Gäste tragen Cowboyhüte und Cowboystiefel.

Das Dosenbier der Marke Modelo kostet zehn Pesos. An Werktagen versteigern die Bauern in der Halle ihr Vieh. Auf der Bühne stehen acht Männer in hellblauen Anzügen und spielen Norteno. Die Menschen tanzen.

Das Dorf liegt in der Sierra Madre. Es regnet. Im Winter schneit es.

Mein Zimmer im Hotel "Los Alpes" kostet umgerechnet drei Euro. Die Bauern leben von Kühen und Mais und Bohnen. Es gibt eine Tankstelle, einen Billardsalon und eine Bar. Frauen dürfen da nicht hin.

An den Hauswänden verbleichen Slogans von den Präsidentschaftswahlen. Schwarze Geier kreisen über dem Ort.

Seit vier Tagen fahre ich durch Mexiko. Auf der Panamericana südlich der Grenze suchte ich stundenlang eine jener Bars, in der Antonio Banderas die Gäste erschießt und Salma Hayek sich in einen Vampir verwandelt. Solche Bars gibt es nicht.

Nur Mautstationen und Billigmotels. Viele Busse überholen mich. Ich bin müde und ärgere mich, dass ich noch im eigenen Auto unterwegs bin.

Chihuahua ist die nächste größere Stadt. Als ich dort ankomme, ist es dunkel. Ich finde den Weg ins Zentrum nicht. Im Keller der Jugendherberge in Sacramento stand ein Regal mit Büchern zum Tausch. Ich habe einen fünf Jahre alten Lonely Planet für Mexiko mitgenommen.

Leider hatte ich kein Buch, das ich dort hätte lassen können. Der Reiseführer empfiehlt das Hotel San Juan. Irgendwann finde ich es.

Ich verhandle mit dem gehbehinderten Parkplatzwächter über meinen Ford Thunderbird. Wir einigen uns auf einen Preis. Am nächsten Tag ist der Parkplatzwächter verschwunden. Die Gebrauchtwagenhändler wollen das Auto auch nicht.

An der Grenzstation durfte ich nur eine Fahrerlaubnis für zwei Monate kaufen. Danach würde es sich um einen gesetzeswidrigen Autoimport handeln.

Wenn ich schon mal in Chihuahua bin, beschäftige ich mich mit der Stadt. Die Spanier haben hier vor zweihundert Jahren den Pfarrer Miguel Hidalgo eingesperrt und erschossen. Hidalgo hat dafür gekämpft, dass Mexiko unabhängig wird.

Als er beinahe die Hauptstadt erobert hatte, zog er seine Truppen zurück. Niemand weiß, warum. Am Palast der Staatsregierung lebt Hidalgo in einem Wandgemälde weiter.

Viele Fahnen hängen in Chihuahua. Die Mexikaner feiern ihren Unabhängigkeitstag einen Monat lang. Auf der Plaza Mayor bleiben sieben Mädchen in Schuluniformen vor mir stehen. Judith und Julia wollen sich mit mir fotografieren lassen.

Dann fragen sie, ob ich eine Freundin habe. Zum Abschied bekomme ich ein kurzes Konzert mit Papiertrompeten. Ich merke, dass ich an meinen Spanischkenntnissen arbeiten muss.

In Chihuahua biege ich wegen der teuren Maut von der Panamericana ab und fahre auf einer Landstraße durch die Berge. Bei Kilometer 253 blutet eine tote Kuh am Straßenrand. Mein Kühlergrill färbt sich gelb, weil die Zitronenfalter zu langsam fliegen.

Die verrückteste Autofahrt

Im Straßenrestaurant "El Canal" esse ich eine Forelle aus dem Stausee. Lalo steht am Grill, seine Frau am Herd, und die Tochter bedient.

Die nächste Stadt heißt Hidalgo de Parral. Ich halte kurz an der Stelle, wo unbekannte Attentäter vor achtzig Jahren Pancho Villa erschossen haben. Das ist ein anderer mexikanischer Held.

Eine Mischung aus Räuber und Dichter und Kämpfer. Passt zu der Gegend.

Mit der Hilfe amerikanischer Söldner hat Pancho einen bösen Diktator aus dem Land vertrieben. In fast jedem Ort steht eine Pancho-Statue.

(Foto: Grafik: Thiessat)

Zwei Stunden später bin ich in Las Nieves. Am Morgen nach der Hochzeit scheint die Sonne und die Blumen blühen so fröhlich, dass ich schon im nächsten Dorf anhalte. Es handelt sich um El Canutillo.

Pancho hat hier seine letzten Jahre auf einer Farm verbracht. Jose, Bernardo und Antonio ziehen ihre Sombreros und laden mich auf ein Dosenbier ein. Jose deutet auf meine Reifen und sagt, dass sie bald platzen werden.

Weil ich amerikanische Nummernschilder und blaue Augen habe, denken die meisten Mexikaner, dass ich ein Gringo bin. Schnell habe ich gelernt, Gespräche mit dem Hinweis zu beginnen, dass ich nicht Amerikaner, sondern Deutscher bin.

Sofort werden die Mexikaner freundlich. Amerikaner mögen sie nicht.

Den Freihandel halten die Menschen hier für ein imperialistisches Ausbeutungssystem.

Auf der Landstraße denke ich mal wieder an Jack Kerouac. Im letzten Kapitel von "On the Road" fährt dessen vergnügte Reisegruppe ebenfalls nach Mexiko. Kerouac ist daran schuld, dass ich mich überhaupt auf den Weg gemacht habe.

Genauso wie der junge Che Guevara mit seiner langen Reise. Und mein Freund Christian, den ich immer mal in Buenos Aires besuchen wollte. Und Johnny Cash natürlich.

Bald schwindet der Tag. In Durango schlafe ich schlecht. Abends habe ich drei aufgewärmte Burritos gegessen. Mein Bettlaken im Hotel "Buenos Aires" ist schmutzig. Das Zimmer hat keine Fenster. Es riecht deutlich nach Abwasser.

Den Burritoladen und das Hotel habe ich aus dem Lonely Planet. Ich brauche die Landkarten und Stadtpläne. Sonst würde ich das dicke Buch gleich wegwerfen.

In den Kurven stehen Kreuze

Frühmorgens beginnt die verrückteste Autofahrt meines Lebens. Der Portier im Hotel versucht, mich um mein Wechselgeld zu betrügen. Dann warnt er mich, die Straße über die Sierra Madre nach Mazatlan am Pazifik zu nehmen. Die ersten hundert Kilometer sind langsam, aber harmlos.

Dann beginnt die Todeszone. Statt Leitplanken stehen in manchen Kurven gleich mehrere Kreuze über dem Steilhang.

Vor ein paar Tagen kam Hurricane Lane vorbei. Entgegen den Vorhersagen ist Lane vom Pazifik nach Osten abgebogen und hat die Gegend überflutet. Zweimal muss ich durch einen Fluss fahren, der mindestens hundert Meter breit ist. Die Reifen versinken im Wasser.

Bäume und Felsen liegen schräg über der Straße. Nur eine schmale Spur bleibt für die vielen Lastwagen und meinen Ford.

In Mazatlan schwimme ich zum ersten Mal auf meiner Reise im Meer. Netter Strand, aber eine Stadt für Gringos. Nur teure Hotels und Bars, in denen Baseball im Fernsehen läuft.

In der Zeitung steht, dass die Regierung für viele Millionen Pesos die Straße ausbauen will, von der ich gerade komme. Irgendwie schade.

Nach meinem Badegang fahre ich weiter. Achttausend Kilometer seit Seattle.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin.

Durch seine journalistische Arbeit hat er bereits mehrere Preise gewonnen: den Alexander-Rhomberg-Preis für deutsche Sprache, den Georg-von-Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftspublizistik und den Arthur-F.-Burns Journalistenpreis des Auswärtigen Amtes. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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