Amerika, der Länge nach (VIII):Endlich Kanada und zurück

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Whitehorse ist die größte Stadt in der kanadischen Provinz Yukon. Aber selbst ein einziger Straßenblock in Los Angeles hat mehr Einwohner. Weil die Menschen so wenige sind, behandeln sie sich gegenseitig sehr freundlich und freuen sich über Fremde.

Robert Jacobi

Fremde werden derart penetrant angelacht, dass die Fremden sich irgendwann im Spiegel auf Essensreste zwischen den Zähnen überprüfen.

Direkt hinter dem Gold Rush Hotel wohnt Dave in einem Bungalow mit Garten. Dave ist Busfahrer und leitet dazu das Büro seiner Buslinie "Alaska Direct" in Whitehorse. Als er noch jung war, hat er mit einem Freund aus Sperrholz ein Boot gebaut und ist damit den ganzen Yukonfluss bis zur Beringsee gepaddelt.

Dort kamen sie im Herbst an und froren ein. Eskimos halfen ihnen. Der Freund flog nach Hause. Dave blieb, heiratete eine Eskimofrau und war bald Bürgermeister von Pilot Station.

Leider lebt Daves Frau nicht mehr, "das Leben ist eine Lotterie, kein Geschenk, da muss man nehmen, was kommt". Einer seiner Söhne lebt mit einer Eskimofrau auf Nelson Island, "er lebt mein Leben weiter".

Dave ist nach Kanada zurückgekehrt. Dreimal die Woche fährt er den weinroten Kleinbus, ein Ford, auf dem Alaskan Highway von Whitehorse über die amerikanische Grenze nach Tok und zurück, jeweils 1400 Kilometer. Der Tacho steht auf ziemlich genau 416.000 Meilen.

Einen Ort gibt es entlang der Strecke nicht, nur Truckstops, die Dave mit Tageszeitungen und Kaffeebohnen beliefert. Wenn Dave vorfährt, springen die Hunde und die Menschen lächeln. Im Laden von Dorothy und Jim am Meilenstein 1164 bekommt Dave einen hausgemachten Borscht vorgesetzt.

Sonst isst er den ganzen Tag über nichts, weil er sonst am Lenkrad irgendwann einschlafen würde.

Während der Fahrt hören wir erst die Rockband Georgia Sattelittes, dann Vivaldis Vier Jahreszeiten und dann Johnny Cash, alles auf Musikkassette.

Der Bär darf noch weiterleben

Davon überwältigt schlafe ich eine Weile auf der hintersten Bank, dann sitze ich vorne auf dem "Shotgun Seat", wie Dave sagt. Leider ohne Gewehr, und der Grizzlybär, der über den Highway läuft, darf noch länger leben.

Im Bus befindet noch ein seit 26 Jahren verheiratetes Ehepaar aus Alabama. Die Frau schreibt Kinderbücher, die man bei Amazon bestellen kann. Der Mann unterstützt meine Reisepläne, weist mich aber darauf hin, dass ich unbedingt an die Altersvorsorge denken und die Krankenversicherung nicht vergessen soll.

Mittels eines schnellen Abgangs in Whitehorse vermeide ich einen Antrag auf Adoption.

Kurz vor der Grenze steigt eine Frau aus dem Stamm der Northern Tutshioni mit ihrem Sohn ein. Ihre Vorfahren lebten hier in Beaver Creek, lange bevor jene willkürlichen geographischen Einheiten existierten, die sich Kanada und Vereinigte Staaten von Amerika nennen.

Deshalb dürfen die Tutshioni ohne Ausweis hin- und herreisen, wie sie wollen. Dave kennt die Frau, denn vor seiner Reise auf dem Fluss hat er in Beaver Creek gearbeitet und gelernt, wie Indianer in der Wildnis zu leben.

Auf dem Highway ist wenig Verkehr. Die Fahrt dauert trotzdem zehn Stunden. In Alaska regnet es, in Kanada nicht. Das Land ist wild und weit und wundervoll. Berge ohne Namen. Wolken ohne Form. Seen ohne Ufer. Dann kommt Kanada.

Wenn ich in ein Land komme, in dem ich noch nie vorher war, fühle ich mich wie früher als kleiner Junge am Geburtstagsmorgen. Ein Schild erklärt, dass es in Kanada eine Stunde später ist; ein anderes, dass nicht Meilen zählen, sondern Kilometer.

Im "Caribou Pub" in Whitehorse trinke ich jeweils ein "Yukon Gold" und ein "Canadian", dann ist Sperrstunde. Vor der Tür treffe ich Angelina aus dem Stamm der Southern Tutshioni, deren Großvater der Stammeschef war. Sie ist auf einem Reservat in Haines Junction aufgewachsen, arbeitet als Accountant für die Regierung in Calgary und sieht aus wie eine Mischung aus Hale Berry und Björk.

Vor ein paar Jahren war sie "Miss Yukon". Dave kennt ihren Onkel und freut sich darüber.

Die Nacht verbringe ich in Daves Gästezimmer. Morgens gibt es Tee und Kekse in einer sehr schmutzigen Küche. Dave zeigt mir einige Astronomiezeitschriften aus den achtziger Jahren. Darin hat er Fotos vom Nordlicht veröffentlicht. Ein Jahr lang hat er mal von einem Bildschirmschoner mit einer Reihe von Nordlichtbildern gelebt.

Touristenläden im Yukon haben die CD vor allem an Japaner verkauft, die im Winter massenweise nach Alaska und Kanada reisen, um das Nordlicht zu bestaunen.

Eine Stunde später sitze ich wieder in dem weinroten Kleinbus, diesmal auf einer anderen Route, aber wieder mit Dave. Ich will zur Fähre nach Skagway, zwei Stunden südlich von Whitehorse. Lustigerweise liegt Skagway wieder in Alaska.

Dort angekommen, stelle ich fest, dass ich meine Kamera in Daves Haus vergessen habe. Meine Fähre geht erst am nächsten Tag. Ich fahre also mit Dave zurück nach Whitehorse, dann wieder nach Skagway, und überquere vier Mal in zwei Tagen die Grenze.

Diplom-Journalist Robert Jacobi (29) arbeitete bei der SZ als Wirtschaftsredakteur und Parlamentskorrespondent in Berlin. Nach seinem Harvard-Abschluss in Internationaler Wirtschaft hat er sich auf den Weg gemacht - von Alaska nach Chile.

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