Am Amazonas:Leicht entflammbar

Am Amazonas: Alfred Russel Wallace: Abenteuer am Amazonas und am Rio Negro. Galiani Verlag, Berlin 2014. 620 S., 24,99 Euro.

Alfred Russel Wallace: Abenteuer am Amazonas und am Rio Negro. Galiani Verlag, Berlin 2014. 620 S., 24,99 Euro.

Alfred Russel Wallace sammelt auf seiner vierjährigen Südamerikareise Tiere und Pflanzen. Bei der Rückfahrt verbrennt alles auf dem Schiff. Was ihn nicht davon abhält, einen humorvollen Reisebericht zu verfassen.

Von Nicolas Freund

Fasziniert von den Reiseberichten Alexander von Humboldts und William Henry Edwards', möchte er die Tropen und ihre noch weithin unerforschte Artenvielfalt unbedingt mit eigenen Augen sehen: Im Mai 1848 kommt Alfred Russel Wallace im Amazonasbecken an. Vier Jahre bleibt er in Südamerika, reist den Amazonas und den Rio Negro hinauf, sammelt Tiere und Pflanzen, fertigt unzählige Zeichnungen an.

Ein Großteil dieser Arbeit wird vergeblich sein: Auf der Rückreise nach England fängt das Schiff Feuer. Mit der Brigg Helena gehen fast alle der lebenden und präparierten Tiere, die Wallace in England an Sammler verkaufen wollte, sowie ein Großteil der Aufzeichnungen unter.

Man muss sich vorstellen, was dem knapp 30-Jährigen durch den Kopf gegangen sein wird, als er, im Rettungsboot sitzend, ein paar übrig gebliebene Zeichnungen und Notizen an sich drückte. Aber Wallace hat sich in diesen vier Jahren als zu zielstrebig erwiesen, um die Reise auf diese Weise scheitern zu lassen. Wenige Monate nach der Rückkehr beginnt er mit der Niederschrift eines Berichts, also mit der Rekonstruktion der auf dem Schiff verloren gegangenen Notizen. Mehr als 160 Jahre nach seinem Erscheinen liegt dieser Reisebericht nun als "Abenteuer am Amazonas und am Rio Negro" zum ersten Mal komplett in deutscher Übersetzung vor.

"Fast wähnten wir uns auf dem Flusse Styx, denn es war schwarz wie Tinte, wohin man auch blickte, nur an manchen Stellen schimmerte weißer sandiger Grund aus einigen Fuß Tiefe durch die dunklen Wellen herauf und zeigte sich in einem goldenen Ton." Wallace hält sich an die Tradition der Reiseberichte des 18. Jahrhunderts, die weit entfernte Länder und Völker möglichst detailliert beschreiben wollen. Wie in dieser Skizze des Rio Negro ist er aber nie nur an der Oberfläche interessiert. Westliche Mythen, wie die vom griechischen Totenfluss Styx, lässt er ebenso einfließen wie indianische Legenden. Seine Naturbeschreibungen der Tiere und Pflanzen sind ausführlich und präzise.

Der Hinweis auf die Abenteuer im Titel ist insofern irreführend, als Wallace stets nüchtern bleibt in seinen Beschreibungen: "Die Alligatoren schnaubten keine zwanzig Yards von uns, doch wir ließen uns durch solche Kleinigkeiten nicht stören." Das britische Understatement legt er weder im Urwald noch in seiner schriftlichen Rekonstruktion der Reise ab. Ein trockener Humor zeichnet Wallace aus, so wie die Neigung, auch im tiefsten Dschungel nicht auf den Genuss von Kaffee verzichten zu wollen. Um diesen zu beschaffen, betreibt der Brite großen Aufwand.

Aber nicht nur in seinem Kaffeekonsum erscheint Wallace modern: Auch in seinen Überlegungen zu den Möglichkeiten nachhaltiger Wirtschaft im Urwaldklima und den Alternativen zum Streben nach Profitmaximierung wirkt der Forscher seiner Zeit voraus. Für die meisten Indianer hat er nur Lob übrig, verkörpern sie doch in seinen Augen einen alternativen Lebensstil, der die Vorstellungskraft der meisten Europäer übersteigt. Auch gegen die von ihm angestellten Indianer, die ihn immer wieder im Urwald sitzen lassen, weil ihnen gerade Besseres eingefallen ist, als mit dem kauzigen Weißen auf Schmetterlingsjagd zu gehen, hegt er scheinbar keinen Groll.

Am Ende seiner Expedition sehnt Wallace sich dennoch, geplagt von Krankheiten und Rückschlägen, zurück nach England. Dass diese Reise in einer Katastrophe enden wird, ahnt er noch nicht. Dass er einmal als einer der größten Naturforscher seiner Zeit und als Mitentdecker der Evolutionstheorie gelten wird, auch nicht.

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