Alpenfotografie:"Berge werden zum Event"

Die Fotoarbeiten des Schweizers Jules Spinatsch stellen den Kommerz hinter der Alpenromantik bloß - in schrillen bis abstrakten Bildern.

Hans Gasser

7 Bilder

Alpenfotografie Snow Management Jules Spinatsch

Quelle: SZ

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Der Künstler Jules Spinatsch, geboren 1964 in Davos, fotografiert und filmt seit 2003 im Rahmen seines Langzeitprojektes "Snow Management" den Apparat hinter dem Ski- und Eventzirkus, der alle Winter wieder rund um die Berggipfel aufgeführt wird. Fangzäune, Raupenfahrzeuge, Kunstlicht und Schneekanonen gehören immer mehr zur Realität der Berge, obwohl meist nur die Illusion der unberührten Landschaft von der Tourismusindustrie abgebildet wird. Spinatsch erklärt, was ihn an diesem Widerspruch reizt. Seine Arbeiten wurden bereits im Museum of Modern Art in New York sowie im Haus der Kunst in München gezeigt. Ein Interview.

Foto: Jules Spinatsch, Courtesy Galerie Luciano Fasciati, Chur

Alpenfotografie Snow Management Jules Spinatsch

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SZ: Was interessiert Sie am Schnee als Gegenstand der Kunst?

Spinatsch: Ich habe die ersten sieben Jahre meines Lebens im Bergrestaurant meiner Eltern auf dem Jakobshorn über Davos verbracht. Bis ich 20 war, stand ich drei Mal pro Woche auf Skiern, auch heute gehe ich regelmäßig zum Snowboarden. Wenn mir etwas wirklich fehlen würde, wäre es, länger nicht in die Berge gehen zu können. Als Fotograf bin ich zum Schluss gekommen, dass nur Langzeitarbeiten wirklich interessant sind. Und da finde ich es besser, sich mit etwas zu beschäftigen, mit dem man sich auskennt, in das man tiefer einsteigen kann. Eines dieser Themen ist der Wintertourismus und der Schnee - beziehungsweise das, was mit ihm angestellt wird.

Foto: Jules Spinatsch, Courtesy Galerie Luciano Fasciati, Chur

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SZ: Man sieht rote Fangzäune auf Ihren Bildern, Lichtkegel von Schneekanonen im Dunkeln, Kabelrollen, Pistenraupen - alles, was der Tourist sonst kaum mitbekommt.

Spinatsch: Bilder aus meinem Zyklus "Snow Management" wurden bisher nur in Ländern rund um die Alpen gezeigt. Die Leute kennen diese Welt eigentlich, und trotzdem sehen sie darin offenbar etwas Neues. Das ist für mich ein Kompliment. Mir geht es aber auch darum, die visuelle Geschichte der Alpen fortzuführen und die neueren Erscheinungen zu zeigen.

Dazu gehört die Nachtarbeit der Pistenraupenfahrer und die ganze Infrastruktur, die für ein Event wie etwa das Laserlicht-Spektakel "Hannibal" auf dem Gletscher in Sölden aufgebaut wird. Wenn Sie als Zuschauer zu einem Skirennen gehen, haben Sie permanent das ganze "Making of" vor sich, die Kameras, die Absperrungen, die Schneekanonen. Im Fernsehen sehen sie nur die perfekten, ausgewählten Einstellungen mit den richtigen Sponsorenlogos. Mich interessiert der Nebenschauplatz, das, was hinter der Bühne passiert.

Foto: Jules Spinatsch, Courtesy Galerie Luciano Fasciati, Chur

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SZ: Wollen Sie damit Missstände enthüllen oder anklagen?

Spinatsch: Nein, für mich steht die Dialektik des Ganzen im Vordergrund. Ich gebe kein klares Statement im Sinne von gut oder schlecht ab. Ich will ein bisschen visuelle Bildung betreiben, weil ich finde, dass das allgemeine Rezeptionsniveau für Bilder noch schlechter ist als das für Text. Es gibt Unmengen von gleichen und auch gleich schlechten Bildern, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden. Wenn ich mit meinen ein paar neue Erkenntnisse fördern kann, wäre das gut. Welche Schlüsse die Leute daraus ziehen, ist deren Sache.

Foto: Jules Spinatsch, Courtesy Galerie Luciano Fasciati, Chur

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SZ: Sie zeigen aber gerade das Gegenteil des touristischen Klischees der unverbrauchten Schneelandschaft. Das ist schon eine klare Botschaft.

Spinatsch: Natürlich geht es mir auch darum zu zeigen, was noch kaum einer gezeigt hat. Die Schönwetterbilder werden ja sowieso gemacht, die muss man nicht mehr machen. Es ist in der Tat die Gegenwelt, die ich darstelle. Andererseits stelle ich fest, dass man bestimmte Dinge heute auch in einem Prospekt abbilden kann, die man vor 20 Jahren nicht gezeigt hätte: zum Beispiel Schneekanonen. Die fotografiere ich ja auch. Touristiker nutzen heute auch unverhohlen den Begriff "Schneekompetenz", ein Euphemismus für den hochgradig technisierten Berg, die beherrschbare Natur.

Foto: Jules Spinatsch, Courtesy Galerie Luciano Fasciati, Chur

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SZ: Haben denn die Österreicher mehr "Schneekompetenz" als zum Beispiel die Schweizer?

Spinatsch: Was Events im Schnee betrifft, haben die Österreicher die Nase vorn. Wenn Sie etwa die Abfahrten am Lauberhorn und am Hahnenkamm vergleichen, wird Ihnen ein Unterschied auffallen. In Kitzbühel wird das halbe Dorf beschallt, es werden alle möglichen Fanartikel verkauft. Dieser Fußballfestcharakter fehlt etwa in Wengen. Auch Après-Ski gibt es in der Schweiz kaum noch, im Gegensatz zu Österreich.

Foto: Jules Spinatsch, Courtesy Galerie Luciano Fasciati, Chur

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SZ: Überwiegt bei Ihnen der Abscheu oder eher die Faszination für solche Spektakel?

Spinatsch: Einerseits faszinieren sie mich, andererseits finde ich sie natürlich auch bedenklich. Es kann sein, dass manche meiner Bilder vermitteln zwischen der Ästhetik der menschengemachten Künstlichkeit und jener der unberührten Natur. Und je öfter man etwas abbildet, desto gewöhnlicher wird es, desto mehr gehört es dazu. Ich sehe darin auch eine gewisse Unausweichlichkeit, dass das Bild der Berge zunehmend vom Eingriff des Menschen mitbestimmt wird und die Bilder von deren Einfluss erzählen: die Schneekanonen und die symmetrischen Rillen einer frisch präparierten Piste, das Kunstlicht der Spektakel und die Okkupation des Berge durch Werbung.

Die Snow-Management-Ausstellung mit Bildern und Videos ist noch bis 6. Februar im FO.KU.S Foto Kunst Stadtforum in Innsbruck zu sehen: "Alpenglühen um Mitternacht. Triptychon der Schneekompetenz", Mo.-Fr. 11-18 Uhr, Sa. 11-15 Uhr, btv-fokus.at

Foto: Jules Spinatsch, Courtesy Galerie Luciano Fasciati, Chur

(Hans Gasser, SZ vom 7.1.2010/kaeb)

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