Nationalpark in Äthiopien:Gejagte Jäger

In den Bale Mountains im Hochgebirge Äthiopiens sind die kleinen Wölfe eine Attraktion - noch. Die Hunde der Hirten könnten sie bald ausrotten.

Von Bernd Dörries

Es ist die Frage, wer eigentlich erstaunter ist, wen zu sehen. Die Touristen darüber, so nah an einem der seltenen Wölfe zu sein. Oder die Wölfe, so nah an einem der seltenen Touristen zu sein. Und so steht man sich eine Weile gegenüber, hier im Süden Äthiopiens, auf 4000 Meter Höhe.

Der Äthiopische Wolf sieht ein bisschen aus wie ein Fuchs. Zwei bis drei Jahre geben die Forscher dem Tier noch, dann könnte der Bestand des Äthiopischen Wolfes in den Bale Mountains am Ende sein. Und es sind nicht die Touristen, die ihm Probleme machen.

Die sind hier fast so selten wie der Wolf, zehn sind es im Durchschnitt pro Tag. Es ist womöglich der am wenigsten besuchte Nationalpark der Welt. Dabei hat sich Äthiopien durchaus zu einem Reiseland entwickelt, es ist nicht mehr das total exotische Ziel, das es noch vor 20 Jahren war, es kommen nicht mehr nur Archäologen und Völkerkundler, sondern auch richtige Touristen. Sie fahren meist in den Norden, zu den fantastischen Felsenkirchen von Lalibela. Oder nach Aksum, der alten Hauptstadt. In den Süden verschlägt es wenige, was sicherlich nicht am Süden liegt.

Abessinischer Fuchs Aethiopischer Wolf Canis simensis auf der Jagd Aethiopien Oromiya Bale Mo

Sieht aus wie ein Fuchs, ist aber keiner: Geschätzt 200 Exemplare gibt es noch vom Äthiopischen Wolf. Hirtenhunde werden den Tieren zum Verhängnis.

(Foto: imago/Blickwinkel)

In den Nationalpark der Bale Mountains führt einer dieser nagelneuen Highways, die die Chinesen gebaut haben. Er bringt einen in eine magische Landschaft, die nichts mit dem Bild zu tun hat, das viele in Europa von Äthiopien haben. Man fährt durch Steppen, durch Urwald auf ein Hochplateau auf 4000 Meter, das so wirkt, als ob sich die Gletscher hier nicht vor Tausenden Jahren zurückgezogen hätten, sondern erst in der vergangenen Woche.

Einsame Täler, endlose Schluchten, rauschende Wasserfälle und ein Nebelwald. Es gab hier lange wenig Mensch und viel Getier, was den Tieren ganz gutgetan hat. Es gibt nur wenige Regionen auf der Welt, die so viele endemische Arten haben, Tiere also, die es sonst nirgends gibt.

Etwa 300 Vogelarten gibt es im Bale Nationalpark, sieben davon kommen nur hier vor. Und man muss im Bale Park noch nicht mal lange suchen, dann sieht man den Goldhalspieper, den Gelbkopfpapagei und den Strichelbrustkiebitz.

"Einzigartige und bewahrenswerte Natur", so beurteilt die Unesco den Bale Park. Was klingt wie eine Tourismuswerbung, stammt aus einer Analyse des Nationalparks, der seit 2008 Anwärter auf den Weltkulturerbe-Status ist. Ein schlüssiges Konzept zum Schutz der seltenen Tierarten und des Wolfes mahnte die Unesco damals an. Die Konzepte hat die äthiopische Regierung zwar zum Teil erarbeitet, auch, weil der Wolf Touristen anlocken soll - das Land will die Zahl der Besucher in den nächsten Jahren auf insgesamt zwei Millionen verdoppeln. Aber ob künftige Gäste den Äthiopischen Wolf tatsächlich noch in den Bale Mountains sehen werden, das ist die große Frage.

Gushuralle Peak Aethiopien Oromiya Bale Mountains Nationalpark Harenna Forest Gushuralle Peak E

Weit oben im Bale-Gebirge findet man auch dichten Nebelwald, überragt vom felsigen Gushuralle Peak.

(Foto: imago/Blickwinkel)

"Es steht schlecht um ihn", sagt Guy Levene. Der Engländer war viele Jahre lang bei der britischen Armee, hat Friedenssoldaten in Somalia ausgebildet, die dort keinen Frieden brachten, und sich in Addis Abeba niedergelassen. Irgendwann stieß er auf die Bale Mountains, einen Nationalpark ohne angemessene Unterkunft, mit der man Touristen aus dem Ausland anziehen könnte. Und baute sie einfach selbst.

Sechs schöne Hütten, verstreut in einem kleinen Tal, mit Blick auf die riesigen Berge. Eine Lodge also, wie sie in Kenia und Tansania Standard ist, in Äthiopien aber noch die Ausnahme. Einheimische Investoren fanden sich nicht, also nahm Levene zwei Millionen Euro in die Hand und baute die Lodge. Alles musste über Hunderte Kilometer herangekarrt werden.

Wer ist wichtiger: der Mensch oder der Wolf

Ganz billig sind die Übernachtungen dort nicht, Gewinn wirft das Projekt aber auch nicht ab, weil wegen des Ausnahmezustandes im Land wenig Gäste kommen, weil sehr viel Geld an die vielen Angestellten geht, die aus dem Dorf in der Nähe kommen, wo Levene auch eine Krankenstation gebaut hat. Die Lodge wird eher wie ein Entwicklungsprojekt betrieben, nicht wie ein touristisches Unternehmen.

Man kann hier als ganz normaler Tourist kommen, der einfach nur den Luxus genießen und einmal am Tag eine Ausfahrt mit dem Land Cruiser machen will. Zu den Wölfen und den Löwen, die in den Nebelwäldern umherstreifen. Man kann aber auch ins Dorf Rira fahren und dort sehen, was der große Zwiespalt ist für die äthiopische Regierung, was den Tourismus in den Bale Mountains angeht. Es geht um die Frage, wer wichtiger ist, der Mensch oder der Wolf. Oder ob vielleicht auch beide von den Urlaubern profitieren können.

Viele Regierungen in Afrika haben sich entschieden, ihre Nationalparks gemeinnützigen oder privaten Betreibern zu übergeben und voll auf Tourismus zu setzen. Die Parks werden umzäunt, die Menschen, die dort lebten, umgesiedelt. In Bale ist alles offen. Aus dem Dorf Rira ziehen die Hirten mit ihren Tieren auf das Hochplateau und bringen dort das empfindliche ökologische Gleichgewicht durcheinander.

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Es liegt eine ziemliche Tragik darin, dass der Wolf durch seine Artverwandten ausgerottet wird, durch die Hunde, die das Vieh der Hirten bewachen sollten, aber gerne Wölfe jagen. Und sie mit Tollwut infizieren. Nur noch 120 bis 200 Wölfe soll es in Bale geben. Die Zoologische Gesellschaft Frankfurt und andere Nichtregierungsorganisationen engagieren sich für den Schutz der Tiere. Die Lage werde trotzdem immer dramatischer, sagt Lodge-Besitzer Levene. Ein Impfprogramm wurde von der Regierung erst mit großer Verspätung genehmigt, die versprochene Zuzugsbeschränkung in den Park wird nicht durchgesetzt. Die Menschen werden mehr im Nationalpark, die Tiere weniger.

Äthiopien ist ein Land, in dem die Bevölkerung so schnell wächst und sich ausbreitet wie in kaum einem anderen Land der Welt. Und weil so viele Menschen hier Hirten sind, fressen sich deren Weidegründe in den Nationalpark hinein, wo sie eigentlich gar nicht sein dürften. Immer mal wieder hat die Regierung über eine Umsiedlung nachgedacht. Aber wohin mit den Leuten? Land ist knapp in Äthiopien.

Im Dorf sitzt einer der Ältesten unter einem Baum im Schatten und trinkt einen Kaffee. Zehn Söhne habe er, die alle Viehhirten seien, erzählt er. Seine Söhne werden wohl ebenso viele Kinder bekommen. "Wir brauchen das Land für unser Vieh", sagt er. "Tourismus ist schön, aber es kommen zu wenig Leute." In seinem Dorf wurde einmal der Versuch gemacht, Öko-Touristen in einfachen Hütten unterzubringen. Es sieht nicht so aus, als ob in letzter Zeit einmal jemand da war. Der Älteste, der namenlos bleiben will, kennt die Überlegungen, das Dorf umzusiedeln. Dass es mal so weit kommt, glaubt er nicht. Aber: "Wenn man uns einen guten Preis zahlt", sagt er, "dann gehen wir."

Bislang jedoch scheint es eher der Wolf zu sein, der verschwinden wird. "Der Wolf ist der Grund, warum die Touristen kommen, wenn er nicht mehr da ist, geht auch der Nationalpark zugrunde", sagt der Lodge-Besitzer Guy Levene.

Noch aber kann man den Wolf sehen im Park. Es dauert nur wenige Minuten, bis man auf ein Rudel Wölfe trifft. Und man hat sie für sich, es jagen nicht Dutzende Geländewagen hinter den Tieren her, wie es in vielen anderen Parks üblich ist. Manche Rudel haben ein paar Junge dabei in diesem Frühjahr. Die Impfungen scheinen Wirkung zu zeigen.

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