Tourismus in Ägypten:Urlaubsland in der Warteschleife

Karnak-Tempel, Ägypten, Luxor

Besucher im Karnak-Temple in Luxor - in Scharen kommen sie derzeit nicht.

(Foto: picture alliance / AP Photo)

Die Menschen in Ägyptens Touristenzentren warten sehnlich auf die Rückkehr der Kultururlauber - an Herzlichkeit mangelt es nicht.

Von Martin Bernstein

"Lasst euch Zeit", sagt der Feluken-Kapitän, als er den Obstteller bringt, "ich sitze dort und warte." "Wenn ihr euch drei Königsgräber angeschaut habt, fahre ich euch ins Tal der Affen", sagt Ahmed Soliman, Hotelier und Taxifahrer, "ich bin beim Parkplatz und warte."

"In ein paar Wochen", sagt Ali Reda, der Chef der Antikenverwaltung von Luxor, "haben wir hier eine neue Attraktion für Touristen." Ein internationales Archäologenteam hat Statuen des Pharaos Amenophis III. aus dem sumpfigen Grünland geborgen und direkt an der Straße zum Tal der Könige aufgerichtet. Jetzt schauen die steinernen Giganten nach Norden - in die Richtung, aus der die Kulturtouristen kommen sollen. "Wir warten", sagt Ali Reda.

"Wir erwarten eine Steigerung beim Kulturtourismus", verkündete der zuständige Minister Hisham Zaazou noch am Tag seiner Absetzung Anfang März. Ein neuer Mann soll es nun richten - der verschreckte potenzielle Urlauber gleich einmal mit der Überlegung, dass Visa künftig im Voraus beantragt werden müssen. Der Plan wurde nach Protesten zunächst wieder auf Eis gelegt. Aber man müsse die weitere Entwicklung dazu abwarten, heißt es beim Auswärtigen Amt.

"Wollen Sie mit mir frühstücken?" Der junge Polizeioffizier am Tempel Medinet Habu freut sich, seine Deutsch- und Englischkenntnisse auspacken zu können. Und seine morgendliche Stärkung: das Bohnenmus Ful, die Sesampaste Tahina, rohe Zwiebeln. Dass er auf die Fahrräder der Touristen aufpasst, während die den Tempel besuchen - kein Problem. Denn auch die Polizisten warten, tagein, tagaus.

Ägypten im Frühjahr 2015: immer noch ein Urlaubsland in der Warteschleife. Zumindest fühlt es sich in Oberägypten so an, in und um Luxor. Die Zahlen, die Tourismusminister Zaazou kurz vor seiner Demission noch übermitteln ließ, sind vor allem geeignet, Auskunft über die Grundhaltung ihrer Interpreten zu geben. 2014 war besser als das Jahr zuvor, in dem die Muslimbrüder gestürzt wurden, sagt der Optimist. 2014 war noch schlechter als das Revolutionsjahr 2011, sagt der Pessimist. Es geht endlich aufwärts mit einer der wichtigsten Einnahmequellen Ägyptens, sagt der Optimist. Nichts geht voran, sagt der Pessimist. Und selbst ein Optimist wie der Ex-Minister Zaazou musste einräumen: Steigerungsraten gibt es lediglich in den Baderesorts am Roten Meer. Kairo? Von Touristen abgemeldet. Und Luxor?

Ach, Luxor. Auf der Westbank solle man sich ein Hotel suchen, also auf dem der Stadt gegenüberliegenden Nilufer, empfehlen Reisehandbücher aus Vorrevolutionstagen. Beschaulicher gehe es dort zu als im überlaufenen Luxor. Der Tipp ist immer noch gut. Aber nicht, weil man in Luxor das Gefühl hat, in den Touristenströmen unterzugehen. Die Corniche, die Uferpromenade, wurde mit großem Aufwand erneuert. Doch sie ist gesäumt von zahllosen Kreuzfahrtschiffen. Schiffe, die erkennbar schon Monate, zum Teil Jahre vor Anker liegen. Sechs Tage Luxor - der vielleicht nicht repräsentative, aber doch ziemlich eindeutige Augenschein ergibt: Zwei Kreuzfahrtschiffe legen in dieser Zeit ab Richtung Assuan. Und weil die Kulturreisenden nicht kommen, sind die wenigen Individualtouristen ziemlich allein auf der neuen Corniche - ihresgleichen treffen sie jedenfalls kaum.

Angebote prasseln auf die Gäste ein - irgendwann wird das anstrengender als gewollt

Dafür können sie sich schier nicht retten vor Dienstleistungsangeboten, die im Minutentakt auf sie einprasseln: Kutschenfahrt? Faltplan? Spezialführung? Taxi? "Laa, shukran", nein, danke! Irgendwann, beim zehnten, zwanzigsten Angebot ist der Reisende genervter, als er es zu sein beschlossen hat. "Sie müssen entschuldigen", sagt der Bootsführer, der einem gerade wieder einmal eine Überfahrt angeboten hat. "Sie fühlen sich belästigt, das verstehen wir. Aber Sie müssen auch uns verstehen: Wir müssen davon leben, und wir warten, warten, warten."

Auf der Westbank passiert einem das auch, natürlich. Vor allem rund um die Fähranlegestelle in el-Gezira. Und wahrscheinlich würde man viel öfter auf eines der Angebote eingehen und sich für umgerechnet 60 Cent mit einem Motorboot übersetzen lassen, hätte man nicht aus Selbstschutzgründen schon längst auf Durchzug gestellt. Oder man würde sich von einem der Taxis zu einem der Tempel und Gräber bringen lassen, die bis zum Tal der Könige nacheinander aufgereiht liegen. Und die sich deshalb so wunderbar mit dem Fahrrad entdecken lassen.

"Wir sind oft viel zu zurückhaltend"

Mit dem Fahrrad? "Ihr spinnt wohl." Solche Sätze hört man zu Hause vor der Reise oft. Soll wohl Fürsorge ausdrücken. Ägypten? Auf eigene Faust? So etwas verunsichert. "Kein Problem!", sagt Ahmed Soliman beim abendlichen Gespräch im begrünten Innenhof des Amon-Hotels in el-Gezira. So familiär das Hotel ist, so familiär ist auch Ahmed Solimans Bemühen um das Wohlergehen seiner Gäste.

Natürlich stehen am nächsten Morgen zwei Fahrräder bereit. Und natürlich steht der Hotelier persönlich bereit mit den aktuellen Tipps zur Verkehrslage auf der Westbank: vorne nicht geradeaus zur Hauptstraße, zum Beispiel, da ist gerade eine Baustelle.

Nach zehn Minuten der erste Pflichtstopp: die Memnonkolosse, riesige Sitzstatuen, die einst den Totentempel des Pharaos Amenophis III. bewachten. Griechische und lateinische Inschriften beweisen, dass schon in der Antike kaum ein Reisender an ihnen vorbeikam, ohne Halt zu machen. Nur, damals waren es lediglich zwei Statuen, heutzutage sind es vier. Ein internationales Archäologenteam um die Deutsch-Armenierin Hourig Sourouzian gräbt seit mehr als 15 Jahren das riesige Tempelareal aus. Ein konservatorisches Großprojekt, eine Arbeitsstelle für mehr als 300 einheimische Grabungshelfer - und eine künftige Touristenattraktion. Die nach Norden blickenden Kolossalstatuen des stehenden Königs sollen von einer Holzplattform aus besonders gut zu studieren sein, verspricht Antikenchef Ali Reda. Aber warum werden dieses und andere für Kulturtouristen anziehende Projekte wie die Eröffnung des Sonnenheiligtums am Hatschepsut-Tempel so wenig beworben? Warum ist auch während eines einwöchigen Aufenthalts in Ägypten und nach vielen Gesprächen mit Leuten, die dafür zuständig sind, nicht exakt in Erfahrung zu bekommen, wer wann und zu welchem Preis das für seine Fresken weltberühmte Nefertari-Grab besichtigen darf, das angeblich doch schon seit vergangenem Herbst wieder geöffnet ist?

"Öffentlichkeitsarbeit ist bestimmt keine ägyptische Erfindung", sagt Ali Reda. "Wir sind oft viel zu zurückhaltend."

Der Tourist auf der Corniche von Luxor mag die Selbsteinschätzung kaum glauben, denn Zurückhaltung begegnet ihm kaum. Und auch der Besucher des Ramses-Tempels in Medinet Habu bekommt Zweifel - vor allem dann, wenn außer einer Handvoll westlicher Individualtouristen lebhafte Schulklassen aus Mittelägypten das weitläufige Areal bevölkern. Auf den Wänden zeigen Reliefs, wie der Pharao den Ansturm der mysteriösen "Seevölker" abwehrt - eines aus dem Norden kommenden Völkergemischs, dessen Angehörige zum Teil mit Asterix-Bärten und Wikingerhelmen dargestellt werden. 3000 Jahre später wird jeder Besucher aus dem Norden selbst zur Sehenswürdigkeit und hundertmal Ziel eines einzigen Wunsches: "Foto? Foto?"

Nur so viel Bezahlung, wie man geben will

Ägypten? Auf eigene Faust? Und auch mal mit dem Fahrrad? Jederzeit wieder. Wer das andere, das unaufdringliche Ägypten erleben will, ist auf der Westbank von Luxor bestens aufgehoben. Weil er dort Menschen trifft wie Ahmed Soliman. Wie Ali Reda und Hourig Sourouzian. Oder wie Ahmed Nofal, Eigentümer und Kapitän der Feluke Queen of Love und des Motorboots King of Love. Der abseits des Trubels der - wieder einmal - mittelägyptischen Schulklassen über die Bananeninsel führt. Der mit ein, zwei knappen Sätzen und einer einladenden Handbewegung auf die Sitzpolster hinweist, die er für seine zwei Passagiere aufs Schiffdach hat legen lassen. Der sein Schiff zu nächtlicher Stunde ein Stück gegen den Strom steuert, um es dann lautlos mit der Strömung des Nils treiben zu lassen. Der am Ende der Fahrt sagt: "Ihr zahlt, was ihr gerne zahlen wollt." Der sagt, was so viele sagen in diesen Tagen in Ägypten: Dass er sich freue über ein Wiedersehen - und dass er warte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: