Wikipedia übernimmt Reiseportal Wikivoyage:Reisetipps von jedermann

Eiffelturm

Wer war schon da, wer weiß noch mehr? Auf Wikivoyage können Leser ihr Wissen über Reiseziele teilen.

(Foto: T&G / photocase.com)

Informationen von Lesern für Leser, und das kostenlos: Das Erfolgsrezept der Online-Enzyklopädie Wikipedia wird auch im Portal Wikivoyage umgesetzt, das zum "weltweiten Reiseführer" werden soll. Buchverlage sehen diese Konkurrenz dennoch gelassen.

Von Katja Schnitzler

Der Tourist steht am Hafen, an dem eigentlich eine Fähre ablegen sollte. So hatte er es in seinem Reiseführer gelesen. Doch hier verkehrt schon seit Monaten kein Schiff mehr, die politische Lage hat sich in der Zwischenzeit geändert. Papier ist geduldig, heißt es, Reisende sind es in dieser Situation jedoch nicht. Daher setzen Urlauber bei der Planung nicht nur auf gedruckte, einmal im Jahr überarbeitete Reiseführer, sondern suchen mittlerweile nach aktuellen Tipps im Internet. Doch wer auf dem Online-Nachschlagewerk Wikipedia Reiseinformationen etwa zu Ägypten sucht, findet dort kaum praktische Informationen. Das ändert sich nun mit dem neuen Schwester-Portal Wikivoyage.org.

Hier schreiben Leser für Leser, jeder darf mitmachen und keiner muss zahlen. Die Nutzer aktualisieren eigenständig und bessern Fehler im Idealfall aus. Mit diesem Prinzip wurde schon Wikipedia zur erfolgreichen Online-Enzyklopädie, die zur US-Stiftung Wikimedia Foundation gehört. Diese betreibt ihre Internet-Angebote werbefrei allein auf Spendenbasis, so dass Leser für derzeit mehr als 12.200 Artikel auf der deutschen Seite von Wikivoyage ebenfalls nichts zahlen müssen. Ein Konzept, das den bisherigen Wikivoyage-Betreibern entgegenkommt.

Denn das Portal gibt es schon länger. Viele Autoren hatten einst für "Wikitravel" geschrieben, das allerdings nur den Namen mit Wikimedia gemein hat: Denn die Gründer verkauften "Wikitravel" 2006 an die US-amerikanische Werbefirma Internet-Brands. Nun war Werbung nicht mehr tabu, was den deutschen Autoren nicht ins Konzept passte. Sie nahmen ihre Reiseberichte und gründeten im selben Jahr einen gemeinnützigen Verein: Wikivoyage.

Das bedeutet, das neue Wiki-Reiseportal ist eigentlich nicht neu, sondern erscheint von nun an unter dem Dach von Wikimedia, so dass die bessere Infrastruktur genutzt werden kann und auch die Zahl der treuen Autoren weiter wächst - auf der deutschsprachigen Seite sind es derzeit etwa 500. Auch die Qualität der Beschreibungen von Stadt, Land und Leuten soll so steigen: Auf Wikipedia sind detaillierte Quellenangaben inzwischen üblich, auf Wikivoyage fehlen sie oftmals noch.

Dafür bietet das Reiseportal neben den Tipps zu einzelnen Zielen in derzeit neun Sprachen nicht nur Ziele des Monats und "abseits der Touristenpfade", sondern auch Koffer-Checklisten oder Informationen zu landesspezifischen Stromsystemen. "Wir wollen einen weltweiten Reiseführer aufbauen, der mehr als langweilige Hotelinfos vermittelt, sondern ein lebendiges Bild der Ziele", sagt der Projektverantwortliche Stefan Fussan. Um Schleichwerbung zu vermeiden, schreiben die Regeln vor, dass ein möglichst objektives Bild vermittelt werden soll, "und wer sich nur anmeldet, ein paar Hotels einträgt und dann wieder verschwindet, dessen Einträge löschen wir", sagt Fussan.

Trotz des umfassenden kostenlosen Angebots sehen Buchverlage das neue Wiki-Portal gelassen. "Die Verkaufszahlen unserer Reiseführer sind seit Jahren extrem stabil und das Internet ist ja schon recht alt. Also hat diese Konkurrenz keinen Einfluss auf unseren Absatz", sagt Stephanie Mair-Huydts, Verlegerin bei Mairdumont. Hier sind bekannte Reiseverlage wie Baedeker, Marco Polo, Stefan Loose oder Lonely Planet vereint, die gemeinsam 53 Prozent des deutschen Reiseführermarktes abdecken. Mair-Huydts vertraut darauf, dass Urlauber vor allem während der Planung und unterwegs weiterhin auf Bücher setzen und diese mit Apps für ihr Smartphone ergänzen. "Bücher kann ich auch am Strand oder im Dschungel nutzen, wo es keine Internetverbindung gibt."

Zudem habe der Verlag die Erfahrung gemacht, dass es den Verkauf nicht beeinflusst, wenn dieselben Inhalte im Netz zu finden sind, wie bei der Marco-Polo-Reihe. Eine Herausforderung für die Verlage sei es vielmehr, vom gedruckten Buch über Apps bis zum E-Book alles anzubieten, damit die Marke im Bewusstsein bleibe. "Bei Reiseführer-Reihen steht ein Autor dahinter, der Leser kennt zudem die Ausrichtung der jeweiligen Reihe und weiß zum Beispiel, ob ihm die empfohlenen Bars und Hotels zusagen. Bei Communities wie Wikivoyage weiß der Leser nicht, wer da etwas wie bewertet", sagt Mair-Huydts.

Auch Catrin Schoneville, Sprecherin von Wikimedia Deutschland, sagt: "Wir Wikipedianer lieben Bücher, sie sind oft die Basis unserer Plattformen." Es hänge eben von den individuellen Lesegewohnheiten ab, ob jemand längere Texte gedruckt oder online lese. Der Vorteil der Webseiten sei aber, dass im Gegensatz zum Buch der Platz nicht begrenzt sei und "verschiedene Perspektiven einfließen, da es ja ein Gemeinschaftsprojekt ist". Auf Änderungen bei Sehenswürdigkeiten, Reisewegen und -ländern könne Wikivoyage schnell reagieren.

Damit keiner ratlos am Hafen zurückbleibt.

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