Mardi Gras in New Orleans:Wie Karneval und Fußball-WM zusammen

Mardi Gras New Orleans Karneval

Beim Faschingsumzug zelebriert die Stadt ihr Anderssein.

(Foto: REUTERS)

Wenn in New Orleans Super Bowl und der Mardi Gras zusammenfallen, ist die Stadt eine einzige große Partyzone. Für die Einheimischen aber bedeutet der Karneval mehr als nur ein Fest. Er fördert den Zusammenhalt in den Familien und zwischen den Kulturen, den Hurrikan "Katrina" stark belastet hatte.

Von Christoph Leischwitz

Die Hubschrauber. Wahrscheinlich sind es bloß Kamerateams, die darin sitzen. Doch sie kreisen Tag und Nacht über der Stadt, denn New Orleans ist gerade der Mittelpunkt der Partywelt. Manch Anwohner hat dabei allerdings ein ungewolltes Déjà-vu. "Mich und viele meiner Freunde macht das nervös", sagt Kelley Wilson, die sich als Fotografin der Alltagskultur der Stadt durchschlägt. Im September 2005 war der Himmel ebenfalls voll von Hubschraubern gewesen. Damals filmten Menschen aus ihnen, wie Sandsäcke auf gebrochene Deiche flogen. Wie Menschen auf ihren Dächern standen, inmitten eines Meeres aus Abwasser. Viele wurden nicht geholt, weil es letztlich zu wenige Hubschrauber waren. 1400 Menschen kamen während und nach Hurrikan Katrina um. Offiziell. In den USA gibt es nur eine lose Meldepflicht, und einige Opfer wurden nie gefunden.

Es sind die Tage der Super Bowl, dem American-Football-Finale. 164 Millionen Menschen haben dieses Spiel vor den Fernsehern verfolgt, das sind 37 Millionen mehr, als 2012 zur Präsidentschaftswahl gingen. Und wenn das Finale in New Orleans ausgetragen wird, fällt es oft zusammen mit dem Mardi Gras, dem Fasching der Südstaaten. Es ist, als ob man nächstes Jahr in Brasilien den Karneval in Rio mit dem Finale der Fußball-WM zusammenlegen würde. In und um die Stadt sind 37.000 Hotelzimmer belegt, offiziellen Angaben zufolge gibt jeder Tourist etwa 2800 Dollar in dieser Woche aus.

Super Bowl und Mardi Gras verschmelzen zur "Super Gras". Die Einheimischen sind an den goldenen Trikots ihrer eigenen Mannschaft, der New Orleans Saints, zu erkennen, auf ihnen prangt das Emblem der Stadt, die bourbonische Lilie. Dazu haben sie purpurne und grüne beads um den Hals, Perlenketten, die aus Plastik sind. Die beads hängen überall, an den Balkonen, in den Kabeln der Straßenbahn, am Autorückspiegel. Frauen bekommen sie umgehängt, wenn sie ihr T-Shirt gelüftet haben. Nackte Haut, das ist die eine Todsünde im Rest der USA, die in New Orleans keine ist. Die andere: Das French Quarter, die Altstadt von New Orleans, ist einer der ganz wenigen Orte in diesem Land, an dem man auf dem Bürgersteig Alkohol trinken darf, nicht nur während Mardi Gras.

Mardi Gras bedeutet "fetter Dienstag", der Tag vor dem Fasten. Entlang der Golfküste wird der Begriff für die gesamten zwei Wochen vor dem Aschermittwoch verwendet. Und natürlich wird ordentlich gefeiert. Kelley Wilson zum Beispiel trinkt nachmittags erst einmal einen Jägermeister aus der Flasche, bevor sie mit der Fähre von Algiers Point übersetzt auf die andere Seite des Mississippi - "Vorglühen".

Die ursprüngliche Idee des Karnevals war es, die soziale Ordnung auf den Kopf zu stellen. Der König wird für kurze Zeit zum Narren, einer aus dem Volk zum König. Und vielleicht passt der Karneval nirgendwo besser hinein als in diese Stadt, die ihr Anderssein so gerne zelebriert. Schon früh wuchs hier eine multikulturelle Mittelklasse heran. In New Orleans gab es bald so viele Schattierungen, dass die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß verschwammen. Es gab Straßenzüge, in denen Reich und Arm nebeneinander lebten. Die Kreolen, Nachfahren der Einwanderer aus der Karibik und Europa, baten deshalb die weißen Amerikaner, als diese Anfang des 19. Jahrhunderts kamen, sie sollten doch bitte ihre eigene Stadt bauen, denn ihre Kulturen wollten nicht zusammenpassen.

Die Grenze verlief entlang der Canal Street, und das ist noch heute gut sichtbar: Auf der einen Seite das schmutzige, laute French Quarter, auf der anderen Seite der aufgeräumte Business District mit seinen Häuserschluchten. Einst wurden an der Canal Street Zehn-Dollar-Scheine ausgegeben, die auf der einen Seite englisch und auf der anderen französisch beschriftet waren. Man nannte diese Banknoten Dixies, für das französische Zehn - womöglich leitet sich daher der Begriff Dixie als Synonym der Südstaaten ab.

Mittlerweile dürfen sogar die Angelsachsen mitmachen. Mardi-Gras-Paraden verkehren zum Großteil im alt-amerikanischen Teil, weil dort die Straßen breiter sind. Die Einheimischen legen viel Wert darauf, dass dahinter mehr als Trinken und Sündigen steckt. "Im Mardi Gras geht es nicht nur um Party", sagt der 46-jährige Danny Pitre, "es geht um den Zusammenhalt." Mardi Gras bedeutet für ihn, dass die ganze Familie bei demjenigen zusammenkommt, der am nächsten an einer der Paraden wohnt, um von dort gemeinsam loszuziehen, am besten mit einem King Cake in der Hand, dem Äquivalent zum Krapfen, um throughs abzubekommen, Süßigkeiten, die aus den Wagen geworfen werden. Als Kind hat Danny keine Parade verpasst, vor 14 Jahren trat er einer Mardi-Gras-Gesellschaft bei, einer krewe. Sie sei zu seiner zweiten Familie geworden, sagt er.

Goldene Maske, lila Federschmuck

Krewes sind eine Mischung aus amerikanischer Bruderschaft und Faschingsgilde. Man trifft sich das ganze Jahr über, plant den nächsten Umzug, bastelt an Kostümen und den Wagen. Dannys krewe nennt sich Knights of Sparta, Ritter von Sparta, die meisten der etwa 75 krewes in New Orleans greifen altgriechische Themen auf, obwohl keiner so richtig weiß, warum. Die Spartaner kommen gar nicht spartanisch daher: Weil jeder sein eigenes Kostüm anfertigt, sind sie nicht aufeinander abgestimmt; hier ein Ritter mit goldener Maske und lila Federschmuck, dort ein römischer Legionär mit türkisfarbenem Oberhemd, das bis zu den Knien reicht. Alles ist verspielt und vor allem glitzernd. Die Umzugswagen sind jenen eines Rosenmontagszugs in Köln nicht unähnlich, an der Spitze meist geschmückt mit einem riesigen Kopf aus Pappmasché.

Die Paraden sind ein Symbol dafür, dass in New Orleans die Rassentrennung nie richtig Fuß gefasst hat. Es gibt seit jeher eine indianische krewe, seit 1894 gibt es eine schwarze. Die afrikanische Zulu-Parade um acht Uhr morgens am Faschingsdienstag ist ein Muss für den Einheimischen.

An einen Umzug denkt Danny besonders gerne zurück, jenen von 2006 - fünf Monate nach Hurrikan Katrina. "Wir wussten bis wenige Tage davor nicht, ob wir überhaupt fahren", erzählt er. Denn jeder Umzug muss von der Polizei geschützt werden, und damals waren fast alle Polizisten damit beschäftigt, die Stadt sicher zu machen. Die Parade wurde dann von 18 Uhr auf 12 Uhr vorverlegt - und die Straßen waren voll mit Menschen, die Tränen des Glücks in den Augen hatten. "Wir haben das gebraucht", sagt Danny über diese Zeit, über die er ansonsten nicht gerne spricht. Er erwähnt kurz, dass seine Mietwohnung nicht überflutet, dafür aber heimgesucht worden war. Diese Plünderungen sind es, die eine besonders tiefe Narbe hinterlassen haben: ein Misstrauen, dass der soziale Zusammenhalt, der diese Stadt so besonders macht, auch schnell verloren gehen kann.

Andere sagen, man muss darüber reden. "Katrina ist ein Teil unserer Geschichte, den wir nicht vergessen sollten", sagt Morgan Molthrop, Manager für Touristenführungen in New Orleans. Er bietet Bus-Stadttouren an, die einen kurzen Besuch in den damals am schlimmsten betroffenen Gebieten beinhaltet. Die Spuren, die Katrina hinterlassen hat, sind im Großteil der Stadt kaum noch sichtbar. Doch im Lower Ninth Ward im Osten gibt es Orte, die aussehen, als läge die Katastrophe erst wenige Tage zurück: schiefe Häuser ohne Fenster und mit Dreck an den Fassaden. Seit Katrina ist die Einwohnerzahl von 484.000 auf 360.000 geschrumpft - vor allem schwarze Einwohner aus den ärmeren Stadtteilen kehrten nicht zurück. Katastrophentourismus? "Es gibt einfach Interesse an diesen Touren", sagt Molthrop, der 2008 nach New Orleans zurückkehrte, um seinen Eltern beim Wiederaufbau zu helfen. Die Touren sind in der "Super-Gras"-Woche besonders gut besucht.

Während der Mardi Gras die Einheimischen verbindet, weckt der Super Bowl die Aufmerksamkeit des ganzen Landes. "Vor gut sieben Jahren stand die Stadt fünf Meter unter Wasser, in dieser Woche sind wir der Gipfel der Welt", sagte New Orleans' Bürgermeister Mitch Landrieu zum Auftakt der Super-Bowl-Woche. New Orleans setzte sich bei der Bewerbung um die Ausrichtung der Super Bowl Nummer 47 im Jahr 2009 gegen Miami und Glendale, Arizona, durch. Man hätte den Zuschlag nicht bekommen, wenn die Stadt nicht fit wäre für dieses Großereignis.

Die Stadt und der Bundesstaat Louisiana haben viel getan, zumindest die äußeren Wunden zu heilen. Das Tagungszentrum ist größtenteils neu, der Louis-Armstrong-Flughafen wurde für 300 Millionen Dollar renoviert. Es gibt eine neue Straßenbahnlinie, hin zum Superdome. Dieser wiederum hat ebenfalls gut 300 Millionen gekostet. Das überdachte Stadion war 2005 zum Symbol der Katastrophe geworden, als es Tausende Verletzte beherbergte und dann selbst evakuiert werden musste. Der Stolz der Fans auf ihre Footballmannschaft New Orleans Saints hat auch damit zu tun, dass der Verein in den Jahren des Wiederaufbaus nicht in eine andere Stadt umzog - und weiter im Superdome spielt.

New Orleans ist wie eine eifersüchtige Liebhaberin, sagen viele, zu der man immer wieder zurückkehrt. Also halfen sie mit, ihre große Liebe wieder aufzubauen. Einiges, sagt Morgan Molthrop, sei sogar besser als vorher: Es gebe zum Beispiel mehr Restaurants und mehr Touristen. Der Nachteil: Die Mietpreise steigen. Wer bis heute nicht zurückgekehrt ist, wird es wohl auch nicht mehr tun.

Der nächste Hurrikan kommt bestimmt, und trotz milliardenschwerer Deichschutzprogramme könnte die Stadt dann schnell wieder im Wasser versinken. Warum also nicht ganz wegbleiben? "Der Mut Tausender zurückzukehren, damit das Erbe dieser Stadt erhalten bleibt, genau das macht diese Stadt erst aus", sagt Morgan Molthrop. New Orleans wird gerne The Big Easy genannt. Vermutlich, weil es sich nirgendwo sonst in den USA so unbeschwert anstrengend leben lässt.

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