Bahntickets im Internet buchen:Die App-Fahrer

Mehr als fünf Millionen Menschen kaufen ihre Zugtickets im Internet statt am Schalter. Das hat die Deutsche Bahn deutlich besser im Griff als ihre Gleise. Doch auch online finden sich die Kunden noch nicht optimal zurecht - was künftig anders werden soll.

Michael Kuntz

Die Reise begann so einfach, mit ein paar Klicks. Doch die online gebuchte Platzkarte garantiert nicht immer einen Sitzplatz in der Eisenbahn. "Heute funktioniert in diesem Zug die Reservierungsanzeige leider nicht." All zu oft verdirbt diese Ansage dem Reisenden seine gute Laune. Der Bahnkunde ist zwar noch lange nicht am Ziel, aber in der Wirklichkeit angekommen.

Wohl bei kaum einem Unternehmen klaffen die Erfahrungen, die der Kunde in der virtuellen und in der realen Welt macht, so weit auseinander wie bei der Deutschen Bahn. Was online problemlos funktioniert, klappt vor Ort nicht unbedingt.

Pannen bei der Bahn sind bei jeder Party ein beliebtes Gesprächsthema. Kein Wunder bei 35.000 Zugbewegungen täglich. Der schieren Größe der Veranstaltung Eisenbahn wegen hat die Bahn dasselbe Problem wie McDonald's. So wie die Fastfood-Kette ist die Deutsche Bahn der mit Abstand größte Anbieter auf ihrem Sektor. Die Bahn befördert an drei Tagen so viele Menschen wie die Lufthansa im ganzen Jahr.

Entsprechender Andrang herrscht beim Online-Portal der Bahn. Auf 5,5 Millionen registrierte Kunden kommt sonst niemand. Die Webseite der Bahn wird täglich von 1,4 Millionen Menschen angeklickt, die schon mal vier Millionen Reiseauskünfte einholen und bis zu 130.000 Tickets kaufen. Die höchste Zahl an Online-Tickets wird meist Mitte Oktober verkauft, dann nämlich beginnt der Vorverkauf für die Weihnachtstage.

Über das ganze Jahr gesehen kaufen die Bahnkunden bereits 40 Prozent aller Fahrkarten im Fernverkehr online. Den Regionalverkehr mit seinen vielen Pendlern und Gelegenheitsfahrgästen eingerechnet, sind es 23 Prozent.

Damit rangiert der Internet-Verkauf heute zwischen den Automaten und vor den Schaltern in den Reisezentren. Noch ist das so. Im kommenden Jahr könnten online zumindest in einzelnen Monaten bereits mehr Fahrkarten verkauft werden als an den Automaten, erwartet Mathias Hüske. Im Jahr 2010 setzte der Bahnmanager im Netz immerhin Tickets für 1,4 Milliarden Euro ab.

Die Folge: Es gibt immer weniger Fahrkartenschalter in den Reisezentren, mehr Automaten. Und: Die Kunden verlangen eine ähnlich kompetente Beratung im Internet.

Hüske, 43, ist seit Sommer Chief Information Officer bei der Vertriebs-GmbH der Bahn. Der oberste Onliner stieg 1998 von Siemens in die Bahn um. Er sagt: "Zukünftig sollen die Informationen noch spezifischer und besser werden, aber vor allem der Ticketkauf soll deutlich vereinfacht werden."

Sitzplatz online buchen

Konkret sieht das in der Welt der Schienen und Weichen so aus: Im Großraum München lässt sich nicht nur auf den Bahnsteigen ablesen, in wie vielen Minuten die nächste S-Bahn kommt. Die Fahrt der Züge lässt sich auch auf einer Landkarte im Internet verfolgen - live. Noch ist das ein Pilotversuch. So etwas kann Hüske sich auch woanders vorstellen, zum Beispiel in Berlin.

Das Preissystem der Bahn ist so kompliziert, dass es oft nicht einfach ist, das günstigste Angebot zu finden. Ein spezieller, Anfang des Jahres eingeführter Sparpreisfinder soll dem Kunden im Netz dabei helfen. Er wird demnächst auch um wichtige europäische Zugverbindungen erweitert.

Reiseauskünfte werden neuerdings nicht nur stur aus dem halbjährlichen Kursbuch gegeben, sondern bereits beim Kauf der Fahrkarte unter Berücksichtigung der aktuellen Verkehrslage, bei Baustellen zum Beispiel. Schließlich lässt sich Anfang kommenden Jahres auch auf den Umgebungskarten der großen Bahnhöfe erkennen, wo gerade Mietfahrräder und -wagen vorhanden sind.

Der Bahnkunde wird sich seinen Sitzplatz online aus einem Plan aussuchen können. Züge verkehren bekanntlich nicht nur von Punkt zu Punkt, sondern legen auf einer Fahrtstrecke von tausend Kilometer bis zu 13 Halte ein. Das macht die Sache viel komplizierter als bei den Fliegern, betont Hüske.

Gearbeitet wird bei der Bahn an einem Navigator für Tablet-Computer und an einem Dienst, wie ihn Fluggesellschaften für Vielreisende bereits haben: Bei Verspätungen erhält der Fahrgast eine Nachricht auf sein Handy oder sein Tablet. Die Bahn will auch präsent sein in den sozialen Netzen.

Zuhören und lernen

"Wir wollen zuhören, lernen und uns dem Dialog stellen", sagt Hüske. Der Staatsfirma bleibt gar nichts anderes übrig. Denn ihre Kunden twittern längst aus den Zügen und teilen via Facebook ihren Freunden mit, was bei der Bahn läuft - und was nicht. Die Sache steckt noch in den Anfängen. Es werden täglich via Twitter gerade einmal 80 bis 100 Anfragen beantwortet.

Die Bahn setzt dabei im Social Web nicht auf externe Callcenter, sondern eine eigene Mannschaft aus Dutzend Mitarbeitern, die sich im Unternehmen auskennen. Sonderangebote sollen Nutzer auf die Seiten locken. Für Hüske muss das Social Web mehr als ein netter Zeitvertreib sein. Schließlich will er dafür sorgen, dass die Kunden die Bahn im Internet nicht mehr suchen müssen, "sondern überall dort finden, wo sie Mobilität benötigen".

Wer ein Hotel bucht, einen Flug kauft, eine Reise oder Tickets für ein Musical in Hamburg - er soll auf Webseiten wie HRS, Opodo oder L'tur Schnittstellen vorfinden zur Bahn. Diese und andere Partner sollen neue Stammkunden zur Bahn bringen, hofft Hüske. Bislang fahren viele Menschen nur ein- oder zweimal pro Jahr mit der Bahn.

In den Online-Communitys wird zwar viel kritisiert an der Bahn, schlechte Erfahrungen werden ausführlich beschrieben. Doch die Verbraucherverbände äußern sich eher positiv über die Aktivitäten der Bahn im Internet. Bei Pro Bahn hält man den Webauftritt für zeitgemäß, lobt die Barrierefreiheit.

Es gebe noch ein paar unglückliche Situationen, etwa beim Auffinden bestimmter Sparpreise wie dem Ostsee-Ticket. Die Allianz pro Schiene sieht den Handlungsbedarf ebenfalls eher bei Details: "Das DB-Online-Portal ist sogar das beste bei den europäischen Bahnen." Vor allem bei Verbindungen mit Umwegen und Zwischenhalten aber "treten recht häufig Fehler auf". Die könne man melden und meist würden sie dann in ein bis zwei Wochen behoben.

Der Bahn droht also keinesfalls der Oops-Award. Das ist ein Preis, den niemand haben will. Denn er wird verliehen für den größten Fauxpas im Social Web. Die "Netzpiloten" nominierten dieses Jahr den Geflügelanbieter Wiesenhof, den Autohersteller Mercedes-Benz und die Geschirrspülmarke Pril.

Warum können Stammkunden nicht zehn Wochenendfahrten auf einmal buchen? Wieso passt ein Ticket nicht auf ein Blatt Papier? Antworten zu diesen und weiteren Fragen finden Sie hier.

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