15. Station: Kurs auf die Malediven und die Seychellen:Den großen Blitz im Gedächtnis

Ausgerechnet kurz vor Hiroshima trifft an Bord die Nachricht vom beginnenden Irak-Krieg ein. Und dann taucht SARS auf.

Klaus Podak

War es ein Schock? Dazu kamen die Begegnungen nicht plötzlich genug. Irritationen waren es aber, die sich schon während der Anreise aufbauten, sich steigerten, die zusätzliches Futter erhielten durch Wahrnehmungen und durch die von ihnen angestoßenen Assoziationen.

15. Station: Kurs auf die Malediven und die Seychellen: Die Silhouette Shanghais, morgens von der MS Deutschland aus gesehen. Rechts im Bild: chinesische Hausboote

Die Silhouette Shanghais, morgens von der MS Deutschland aus gesehen. Rechts im Bild: chinesische Hausboote

(Foto: Foto: Podak)

Die sich verfestigten, die andauerten mindestens bis Da Nang, wo sie noch einmal aufgefrischt wurden. Da Nang ist die Hafenstadt, ungefähr in der Mitte der Küste, wo am 8. März 1965 zwei Bataillone Marines landeten, die ersten amerikanischen Bodentruppen in Vietnam. Mit den Folgen, die alle kennen.

Aufgekommen waren die Irritationen der Weltreisenden auf der MS Deutschland zehn Tage vor dem Stopp in Da Nang. Der Ort, wo das geschah, war Hiroshima. Das Datum, das sich dort jedem Besucher einbrennt, der es noch nicht oder nicht mehr im Gedächtnis hat, ist der 6. August 1945, der Tag der Atombombe. Wir kamen in Hiroshima an, kurz nachdem der Krieg im Irak losgetreten worden war.

Es war ein klarer, sonniger Tag, ein Feiertag in Japan. Aber nicht einmal die Japaner, nicht die Touristikleute, nicht die Taxifahrer, konnten uns sagen, was für einer das war. Vier Stunden Zeit für die Passagiere, um sich vertraut zu machen mit der Stadt, die lebendig und vor allem modern auf die Touristen wirkte. Musste doch alles neu gebaut werden.

Geschichtslos wirkt Hiroshima natürlich trotzdem überhaupt nicht. Die ganze Stadt ist, gerade für schnelle Besucher, zu einem Gesamt-Mahnmal geworden. Zynisch, aber wahr: Hiroshima lebt zu einem guten Teil von dem Schrecken, der seinem Namen für alle Zukunft eingeschrieben bleibt. Die Stadt lebt so intensiv mit dieser Erinnerung, dass Erschütterung und Wut über das, was dort geschehen ist, sich mit keiner Touristen-Abgebrühtheit abwehren lassen.

Zwei Objekte überleben im Kopf

Um die Stelle herum, wo die Bombe einst alles wegbrannte, sind die Gedenkzeichen konzentriert. Unter all dem, was da mahnt, gedenkt, erinnert, zu Bekenntnissen und tatkräftigen Verpflichtungen sehr zu Recht animieren möchte, waren es zwei Objekte, die auch in den von Bildern überfüllten Köpfen der Weltreisenden überleben werden.

Das eine ist die Atomic Dome genannte Ruine der Handelskammer mit ihrem schauerlich schwarz gegen den hellen Himmel gerichteten Kuppelgerippe. Das andere ist ein Ginkgo-Baum. Ein zersplitterter Überlebender in der Zone des Todes. Dieser Ginkgo stand einst verbrannt unter den Resten, die der Blitz nicht verdampft hatte, unbeachtet. Es gab viel Wichtigeres zu beachten. Dann trieb dieses Fossil wieder Blättchen, Blätter aus sich hervor. Man hatte ihn auch mit der Superbombe nicht totmachen können.

Das Kuppelskelett und der Baum, sie standen außerhalb der Bilder- und Reliktesammlungen, die an Menschen erinnerten, umringt von den Mahnungen, so etwas nie wieder zuzulassen. Die Nachricht vom Start des Irak-Kriegs war noch frisch. Wir Weltreisenden bekamen heftig Welt zu kosten. Dann wieder "Alle Mann an Bord!" und "Leinen los!" und "Sail away!" - "mit einem Glas Sekt und Musik des Orchesters Chris Luca". Die MS Deutschland machte sich auf nach Shanghai, 1204 Kilometer weit weg, in südwestlicher Richtung. Es wurde wieder wärmer. Für Shanghai waren 28 Stunden Liegezeit vorgesehen.

Festland, Rotchina, Vorurteile. Die freilich lösten sich auf in der dunstigen Luft. Die Auflösung begann schon bei der Einfahrt in den Hafen, beim Anblick der Skyline, erreichte Intensität durch die lockeren, witzigen Sprüche (auf Deutsch) der chinesischen Begleiterinnen und Begleiter, die in den Shuttle-Bussen vom Liegeplatz zum Friendship Store kurze Kommentare zur Stadt und zum Leben in ihr von sich gaben.

Besonders amüsierte sie, dass Shanghai einen deutschen Transrapid hat, Deutschland aber noch keinen. Endgültig dahin war so gut wie jeder misstrauische Vorbehalt auf der berühmten Promenade "Bund" am Wasser, auf den Straßen und Plätzen, auf den quicklebendigen Märkten, vor den Garküchen und in den Teestuben.

Ungefähr hundert Studenten, erzählte ein junger chinesischer Germanist, lernen (ein vorzügliches) Deutsch an der Universität, keiner von ihnen war je in Deutschland. "Zu wenig", sagte er, "für eine Stadt mit 17 Millionen Einwohnern." Selbst mit einer Gruppe von im Großstadtgewirr verloren wirkenden Bauern aus der nahe gelegenen Provinz Guandong konnte man sich verständigen. Für sie war der kurze Ausflug nach Shanghai wie eine Reise in ein ihnen ganz und gar fremdes Land, in dem zufällig ihre Sprache gesprochen wird. Wir haben miteinander viel gelacht.

Den großen Blitz im Gedächtnis

Shanghai ist nicht China

Bombenrelikt in Hiroshima: die Atomic Dome genannte Ruine der Handelskammer

Bombenrelikt in Hiroshima: die Atomic Dome genannte Ruine der Handelskammer

(Foto: Foto: Podak)

Es war gleich klar, was wir uns vorher schon an Bord immer vorgesagt hatten: Wer ein bisschen dieses großartige, vitale, geschäftige, lebenslustige Shanghai geschnuppert hat, darf nie und nimmer behaupten, er habe jetzt China kennen gelernt. Shanghai ist offenbar die absolute, überwältigend sympathische Ausnahme. Einige der Chinesen, mit denen wir in ein lockeres Gespräch gerieten, wünschten sich, Shanghai möge Vorbild sein für und Vorschau auf ein verändertes, dem Westen gleichwertiges oder sogar überlegenes China.

Wir, die ein Land immer nur knapp visitierenden Weltreisenden, dürfen uns ein Urteil darüber nicht erlauben. Wir ersetzten zerronnene negative Vorurteile durch ein neues, positives: Shanghai ist wunderbar, eine Stadt, in der man leben könnte. Abends, auf dem Fußweg zurück zum Schiff, sah man freilich kleine Stadtteile, aus denen die Bewohner rigoros vertrieben, Häuserzeilen, die abgerissen werden, auf dass noch mehr freie Fläche entstehe für den globalisierten Kapitalismus. Das dämpfte dann doch die Euphorie. Eine Restbegeisterung blieb, ist wohl unauslöschlich.

Vom Weltgeschehen eingeholt

Shanghai hinter uns gelassen. Wir kamen in Hongkong an. Die Klischees, die über diese große, wilde Stadt verbreitet werden, haben alle etwas Wahres an sich. Man kann sie mit ruhiger Skepsis glauben. Aber etwas war neu und anders, unerwartet. Die Konsequenzen der Lungenentzündungs-Seuche SARS wurden sichtbar, waren von Stunde zu Stunde stärker zu spüren.

Immer mehr Menschen trugen diese Mundschutzmasken, immer mehr Verkäufer priesen sie lautstark an, drei Stück für zehn Hongkong-Dollar, das ist etwas mehr als ein Euro. Die Gesundheitsbehörde ließ junge Mitarbeiterinnen ausschwärmen, die bunte Flugblätter in Chinesisch und Englisch verteilten, in denen Symptome beschrieben und Vorsichtsmaßnahmen vorgeschlagen wurden.

Die South China Morning Post, größte englischsprachige Zeitung der Stadt, versorgte ihre Leser jeden Tag ungeheuer ausführlich mit Reportagen, Antworten auf Fragen, Adressen und Tipps. Der große Fernsehschirm im quirligen Hafengelände strahlte ständig lange Berichte über die Ausbreitung der Seuche und ihre Folgen aus.

Im Herzen getroffen

Verkäufer in den sonst von Touristen belagerten Geschäften mit den zollfreien Schnäppchen jammerten über das Ausbleiben der Kunden, über rapide gefallene Umsätze. Banken schickten die Angestellten ganzer Etagen nach Hause, wenn auch nur ein Verdachtsfall zu beobachten gewesen war. Die Menschen blieben ruhig. Die Stadt zeigte sich in ihrem Herzen getroffen.

Kein Wunder, dass sich auch unter den Weltreisenden Sorge und Unruhe auszubreiten begannen. Die Schiffsleitung, mit der Stimme des Kapitäns, verbreitete Beruhigung, suchte aber ständig Kontakt mit informierten und informierenden Stellen.

Außerdem war noch die Änderung der Weltreiseroute bekannt gegeben worden, wegen Bushs Irak-Krieg: Die MS Deutschland lässt Indien aus (Zeitgründe), nimmt stattdessen Kurs auf die Malediven und die Seychellen und meidet den Landkontakt mit den Arabischen Emiraten.

Wir fuhren schließlich ab von Hongkong nach Da Nang in Vietnam. Die Kreuzfahrer waren eingekesselt worden vom Weltgeschehen, von Politik und Geschichte. Wenn man es recht bedenkt, dann ist das in Ordnung auf einer Weltreise. Auch wenn es manchem nicht gefällt.

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