1. Station: Der Entschluss:Auf zwei Rädern über den Brenner

Felix Berth

(SZ vom 11.5.2001) - München, Dienstag, 10 Uhr. Ja, ich fahre mit. In fünf Tagen gemeinsam mit 250 anderen Radlern von München an die Adria. Ja, ich will das schaffen: 150 Kilometer pro Tag, meistens steil rauf oder steil runter. Ja, mich lockt die Strecke: Am Samstag vom Odeonsplatz losfahren, am Mittwoch südlich von Ravenna ankommen. Dazwischen der Brenner, dazwischen 800 Kilometer, dazwischen - ach, egal. So eine Tour, das wär's einfach.

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Ist für die Tour über den Brenner der Durchblick eines Jan Ullrich nötig?

München, Dienstag, 14 Uhr. Nein, ich bleibe daheim. Am Samstag eine kleine Radtour in den Hirschgarten. Kein Muskelkater, keine Knieschmerzen. Keine Gebirgspässe in den Alpen, keine Nudelberge im Restaurant. Soll doch mitfahren, wer will. Der ADFC, der die Höllentour organisiert, wird schon genug Raser finden - dieser Leistungsschmarrn ist eigentlich nichts für mich. Überhaupt: Hab ich das nötig? Männliches Imponiergehabe ist das, sonst nichts.

München, Dienstag, 18 Uhr. Vielleicht fahre ich doch mit? Auf der alten Römerstraße rauf auf den Brenner, drüben auf der Landstraße hinunter nach Bozen. Und danach gehts sowieso nur flach dahin. Soll ja mehr so ein Rollen in der Ebene sein, hat jemand erzählt. Ein Kollege aus der Bildredaktion hat gehört, dass ich eventuell dabei bin. Er hat die Tour im letzten Jahr gemacht, erzählt er und lächelt milde. Und, wie wars, frage ich. Er macht eine Pause, bevor er antwortet: "Von Sixtus gibt's eine gute Gesäßsalbe", sagt er.

München, Mittwoch, 9 Uhr. Heut morgen zum ersten Mal im Westpark gejoggt. Irgendwie müsste man sich ja vorbereiten auf so eine Tour. Ein blöder Sport, dieses Gerenne: Jeder Schwan im Park schaut einen an, als sei man bescheuert: Wieso rennt da einer, obwohl nirgends Gefahr droht? Ein paar andere Jogger waren auch unterwegs - und manche der ganz Aktiven hatten schon dieses Joschka-Fischer-Gesicht: babyhaft und trotzdem faltig. Kein Spaß.

München, Mittwoch, 19 Uhr. Die Sixtus- Gesäßcreme aus dem Sportgeschäft riecht gut. Ein bisschen Thymian, ein bisschen Minze und ein paar andere Kräuter. Der Text auf der Packung will Mut machen: "Die im Radsport besonders belasteten Gesäßpartien intensiv einreiben. Dadurch erhalten Sie eine elastische und strapazierfähige Haut, verhindern Wundreiben und schützen vor Wolf-Bildung." Wie bitte? Wolf-Bildung? Wirklich, es steht da. Vielleicht verzichte ich auf Krankheiten, die ich nicht kenne, und bleibe daheim.

München, Donnerstag, 7 Uhr. Schon wieder joggen? Wär heute bestimmt ganz wichtig. Aber draußen regnet es. Wenn ich in ein paar Tagen losradle, scheint bestimmt die Sonne. Heute zu laufen wäre also das völlig falsche Training. Und Joschka Fischer sah gestern in der Tagesschau auch wieder ein bisschen rundlicher aus. Der rennt auch nicht mehr bei jedem Wetter, das sehe ich.

München, Donnerstag, 8 Uhr. Schlechtes Gewissen. Das mag ja was werden, wenn mich schon ein paar Regentropfen abschrecken. Wahrscheinlich breche ich kurz hinter dem Odeonsplatz zusammen, liege drei Tage im Bett und nehme dann einen Zug an die Adria. Oder meine Gesäßsalbe wirkt nicht und ich leide an der geheimnisvollen Wolfskrankheit. Oder mir geht am Brenner die Luft aus und ich muss mich im Bus nach oben karren lassen. ("Wär bestimmt auch nett, so eine Busfahrt", sagt meine Freundin.) Nein, vielleicht ist mir das alles doch zu viel und zu schnell. Mal abwarten.

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