20 Jahre M94.5:Wo sich Radioküken in Moderatoren verwandeln

M94,5

Joanna Alencar Baban war gerade mal ein Jahr alt, als M94.5 seine ersten Sendeversuche startete - heute steht sie hinterm Mikro.

(Foto: lukasbarth.com)

Von Christiane Lutz

Wie lang der Juli 1996 tatsächlich schon her ist, erkennt man, wenn man sich die Charts aus der Zeit anschaut. Damals tanzte man zu "Macarena" von Los del Rio und zu "Get Down" von den Backstreet Boys. Diese Tatsache allein rechtfertigt schon die Gründung von M94.5. Ein Sender, der die Stadt von Anfang an mit anderer, mit alternativer, mit besserer Musik versorgen wollte. So ging M94.5 am 1. Juli 1996 on air.

Die Überlegungen der Bayerischen Landesmedienzentrale, die zur Gründung von M94.5 als Teil der gemeinnützigen afk, der Aus- und Fortbildungs-GmbH für elektronische Medien, führten, waren freilich etwas nüchternerer Natur. Defizite in der Ausbildung im Privaten Hörfunk in Bayern wollte man kompensieren. Studierende sollten sich unter echten Bedingungen ausprobieren können. Mehr als 2500 junge Menschen haben das bis heute getan.

Joanna Alencar Baban ist eine von ihnen. Sie hat wohl nie zu "Get Down" von den Backstreet Boys getanzt, denn sie war gerade mal ein Jahr alt, als M94.5 seine ersten Sendeversuche startete. Es ist zehn vor vier an einem Freitag im Sender in der Rosenheimer Straße, ab 16 Uhr moderiert Alencar Baban die "Hörbar am Nachmittag", ein zweistündiges Studentenmagazin. Themen heute: die neue medizinische Fakultät der Uni Augsburg, Polizeigewalt und der Besuch der israelischen Band Ouzo Bazooka.

Baban ist trotzdem noch entspannt. Sie ist seit etwas mehr als einem Jahr dabei und schon ziemlich routiniert. Inzwischen schaut sie beinahe täglich im Sender vorbei. "Die Herausforderung heute ist sicher der Besuch der Band", sagt sie. "Die kommen aus Tel Aviv und sprechen nur Englisch. Das bedeutet, ich interviewe auf Englisch und fasse die Antwort dann für die Hörer auch schnell noch auf Deutsch zusammen." Die 21-Jährige wird das Interview kurze Zeit später mit einer jungen, angenehm klaren Radiostimme meistern.

M94.5 gelingt es, in kurzer Zeit aus unsicheren Radioküken souveräne Nachrichtensprecher, Redakteure und Moderatoren zu machen. Wolfgang Sabisch, 63, im rechtlichen Sinne der Chef des Senders, erklärt das so: "Normalerweise ist da ein Ressortleiter, ein Vorgesetzter, der es schon richten wird, wenn du es nicht tust. Das haut hier nicht hin. Wer hier mitmacht, ist immer auch mit einer Teilverantwortung belastet. Das gibt einen enormen Push."

In sogenannten Tagesteams muss jeder, der mitmacht, einen festen Tag die Woche im Sender von 8 bis 18 Uhr arbeiten. Jeder ist Teil eines oder mehrerer der acht Ressorts des Senders (Politik/Hochschule, Kultur, Wissenschaft, Unterhaltung, Sport, Musik, Online/Games, Eventplanung/Öffentlichkeitsarbeit), produziert Beiträge, spricht sie selbst ein oder moderiert eigene Sendungen.

Wie beim professionellen Radio hat jeder Mitarbeiter seine Spezialgebiete und Vorlieben, manche kümmern sich nur um die sozialen Netzwerke und finden die Vorstellung, zu moderieren, ganz fürchterlich. Und wie beim professionellen Radio wird der Ablauf auch bei M94.5 von einem Chef vom Dienst koordiniert und überwacht.

Die Redaktion hat auch die Party zum 20. Geburtstag organisiert, die am Freitag in den Kammerspielen stattfindet und auf der die Sterne, Drangsal, die Kytes und die Monday Tramps auftreten. Wolfgang Sabisch hält sich bewusst raus. Entscheidungen, welche Nachricht gebracht wird, welche Band eingeladen wird, ob ein Beitrag zu lang oder zu provokant ist, treffen die Mitarbeiter in der Regel selbst. Er steht beratend zur Seite, falls gewünscht.

Simon Kerber, 27, ist seit einem Jahr immer freitags Chef vom Dienst. Sein Germanistikstudium an der LMU hat er, wie er vorsichtig ausdrückt, in diesem Semester "etwas vernachlässigt" zugunsten des Senders. Alle zwei Wochen moderiert er die Hip-Hop-Sendung "Monaco Breaks". "M94.5 ist zum Hauptbestandteil meines Lebens geworden. Alles andere rückt total in den Hintergrund." Es scheint ihm bestens damit zu gehen. Er erzählt, wie die Band Milky Chance bei M94.5 zum allerersten Mal überhaupt im Radio gespielt wurde. "Und heute touren sie durch die USA und singen bei Jimmy Fallon." Volltreffer.

Das Angebot für junge Hörer oder Menschen, die mit dem Hauptprogramm der öffentlich-rechtlichen oder privaten Radiosender nichts anfangen können, ist in München immer überschaubar gewesen. 1996 war M94.5 praktisch allein auf weiter Flur, der österreichische Indie-Sender FM4 war damals hier noch nicht zu empfangen. Heute gibt es immerhin "EgoFM", einen Privatradiosender, ebenfalls jung, etwas elektronischer als M94.5. Und es gibt "Puls", das junge Radioprogramm des Bayerischen Rundfunks, das allerdings noch immer nur digital zu empfangen ist.

Ansonsten ist "Puls" von außen betrachtet am ehesten als Konkurrenzprogramm zu bezeichnen. Auch dort finden junge Themen und die Musik neuer Bands ihren Platz, auch dort ist die Publikumsansprache kumpelig. Dennoch ist von Konkurrenz keine Rede, schließlich hat ein großer Teil der Puls-Redaktion mal bei M94.5 angefangen, der BR profitiert von der guten Vorbildung der M94.5-Kollegen, diese wiederum von den guten Kontakten zum BR. "Warum sollte ich jemanden zwingen, sich für einen der beiden Sender zu entscheiden?", sagt Sabisch, "ich freue mich über jeden, der hier anfängt und den Sprung in ein professionelles Medium schafft."

Bei all der freundschaftlichen Kuscheligkeit und dem Trial-and-Error-Prinzip des Senders gilt aber dennoch: M94.5 ist ein richtiges Radioprogramm. Was gesendet wird, ist unwiderruflich draußen. "Wer hier arbeitet, erlebt: Ich bekomme Vertrauen geschenkt, und durch die Übernahme von Verantwortung zeige ich, dass ich dieses Vertrauen auch verdient habe", sagt Sabisch. "Manchmal denke ich, das ist ein bisschen antiquiert. Aber ich weiß, es funktioniert." Es funktioniert.

20 Jahre M94.5 - Laut Indie Stadt, Party und Konzerte am Freitag, 15. Juli, 20 Uhr, Kammerspiele, Infos unter muenchner-kammerspiele.de

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