Gebrauchtwagen

Deutschland steht unter Elektro-Schock

Fast niemand kauft gebrauchte E-Autos: zu teuer, zu wenig Reichweite, veraltete Technik. So landen die Leute am Ende doch wieder beim Verbrenner – und torpedieren die Mobilitätswende.

Gebrauchtwagen

Deutschland steht unter Elektro-Schock

Fast niemand kauft gebrauchte E-Autos: zu teuer, zu wenig Reichweite, veraltete Technik. So landen die Leute am Ende doch wieder beim Verbrenner – und torpedieren die Mobilitätswende.

6. Juni 2023 - 6 Min. Lesezeit

Seit Kurzem hat Autohändler Wolf Warncke eine neue Kundengruppe. Er nennt sie die „Verzweiflungsverbrennerkäufer“. In Tarmstedt, nordöstlich von Bremen, verkauft Warncke Wagen aus dem VW-Konzern, besonders gerne Elektroautos. Viele seiner Kunden würden gerne umsteigen auf ein Auto mit Elektroantrieb. Doch es gibt da ein Problem: „Ich kann den Leuten immer öfter nicht das anbieten, was sie suchen.“ Zu teuer, zu wenig Reichweite, veraltete Technik, diese Argumente hört Warncke dann. So kauften manche doch den gebrauchten Verbrenner, obwohl sie eigentlich gerne elektrisch fahren würden – Verzweiflungsverbrennerkäufer eben. Und er könne das irgendwo auch verstehen, sagt der überzeugte E-Mobilist Warncke. Das Angebot bei gebrauchten E-Autos sei momentan noch klein und für das Budget des typischen Gebrauchtwagenkäufers oft zu teuer.

Laut einer aktuellen Umfrage der Online-Autobörse Mobile.de sind Menschen bereit, im Schnitt 19 500 Euro für einen gebrauchten Verbrenner auszugeben. Bei E-Autos liegt das Budget rund 4500 Euro höher. Damit würde man bei Wolf Warncke, der mit 2o Prozent seiner Flotte vergleichsweise viele E-Autos im Bestand hat, gerade mal einen gebrauchten elektrischen Kleinwagen bekommen. Ein E-Kombi oder ein elektrischer Van? Entweder gar nicht im Angebot oder mit dem Durchschnittsbudget unerschwinglich. Keine guten Nachrichten für die Antriebswende.

Denn eigentlich müsste schnell etwas passieren. 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen bis 2030, so lautet immer noch das Ziel der Bundesregierung. Um diese Zahl zu erreichen, fehlen allerdings noch fast 14 Millionen, also mehr als zwei Millionen pro Jahr. Damit das gelingt, muss das Elektroauto-Angebot schnell so groß und attraktiv werden, dass sich der Umstieg vom Verbrenner auf ein Elektroauto für möglichst viele Menschen lohnt – oder überhaupt finanziell machbar ist. Doch danach sieht es gerade nicht aus. Die Förderungen für neue E-Autos laufen schrittweise aus, während gebrauchte Modelle erst nach und nach auf den Markt kommen zu hohen Preisen.

Mobile.de hat für die SZ Daten zum Gebrauchtwagenmarkt ausgewertet. Dieser Blick ist deshalb so wichtig, weil viel mehr Menschen ein gebrauchtes Auto kaufen als ein fabrikneues Modell. Bei Neuwagen gehen zwei Drittel aller Fahrzeuge in gewerbliche Flotten, dort spielt der Anschaffungspreis oft eine kleinere Rolle, die Autos werden nur zwei oder drei Jahre gefahren, E-Modelle lohnen sich dort schon aufgrund der Steuervorteile. Der überwiegende Teil der Autofahrer schaut sich aber auf dem Gebrauchtwagenmarkt um – und nutzt das dort gekaufte Fahrzeug im Schnitt sieben Jahre.

Laut der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse planten 2022 rund sechs Millionen Menschen in Deutschland, in den nächsten ein oder zwei Jahren ein Auto zu kaufen. Bei mehr als zwei Drittel der Befragten soll es ein Gebrauchtwagen sein – eigentlich ein riesiges Potenzial für die E-Mobilität. Laut dem neuesten DAT-Report hat sich zuletzt ein Drittel aller Gebrauchtwagenkäufer auch für alternative Antriebe interessiert, gekauft haben sie dann doch meist einen Verbrenner. Auch zukünftig können sich 44 Prozent aller Befragten ein E-Auto-Kauf grundsätzlich vorstellen. Allerdings liegt bei der Mehrheit der Zeitpunkt eines geplanten Umstiegs weit in der Zukunft – also später als in fünf Jahren. Die Top-Gründe für die Skepsis: Reichweite, Ladedauer – und der Preis.

Das spiegeln auch die Daten von Mobile.de wider: Das Angebot an Elektroautos ist aktuell klein, dafür aber teuer. Nur rund 51 000 gebrauchte E-Fahrzeuge hat Mobile.de im April gelistet, dem stehen rund 1,1 Millionen Verbrenner gegenüber.

Im Schnitt wird ein gebrauchtes Elektroauto für rund 43 000 Euro angeboten, bei Diesel- oder Benzinfahrzeugen liegt der Durchschnittspreis nur bei 29 000 Euro. Bei der Umfrage des Autoportals gaben allerdings nur 13 Prozent der Menschen an, mehr als 40 000 Euro für ein gebrauchtes E-Auto ausgeben zu wollen.

Natürlich sind bei den angebotenen Verbrennern auch viele Wagen dabei, die älter sind oder mehr Kilometer auf dem Tacho haben als Elektroautos – dennoch haben die Interessenten zumindest mehr Optionen, für ein geringeres Budget in allen Modellgrößen fündig zu werden. Elektroautos für um die 20 000 Euro gibt es zwar auch, allerdings hauptsächlich Wagen mit wenig Platz und vergleichsweise kleiner Reichweite. Dabei interessieren die Menschen sich durchaus für einen E-Auto-Kauf: „Unsere Daten zeigen, dass die Nachfrage nach E-Autos rund doppelt so hoch ist wie das Angebot,“ sagt Ajay Bhatia, Chef der Online-Autobörse.

Bisher galt, dass ein Auto nach einem Jahr etwa ein Viertel seines Wertes verliert, nach drei Jahren ist es fast die Hälfte. Doch bei vielen E-Autos geht diese Rechnung momentan nicht auf. So zeigen die Daten von Mobile.de etwa für ein gebrauchtes Tesla Model Y einen Durchschnittspreis von 53 000 Euro – das ist mehr, als (je nach Ausstattung) der Wagen aktuell neu kostet. Dass viele gebrauchte E-Autos kaum an Wert einbüßen, liegt aber nicht nur an der hohen Nachfrage, sondern auch daran, dass die Erstkäufer sie mit einer hohen Förderung von bis zu 9000 Euro erworben haben. Im Ausland, wo es diese staatlichen Prämien nicht gibt, lassen sich auch gebrauchte E-Autos immer noch teuer verkaufen. So verschwinden viele Tausend junge Gebrauchte aus dem deutschen E-Auto-Markt ins Ausland.

Auch Klaus Philipp, Geschäftsführer des Autohauses Kölbl in Unterschleißheim bei München merkt, dass es gerade schwierig ist mit der Elektromobilität.

Letztes Jahr habe er noch rund 200 E-Autos verkauft, dieses Jahr seien es bisher gerade mal 60 Fahrzeuge. Der günstigste Stromer, den Philipp gerade anbietet, ist ebenfalls ein Kleinwagen – immerhin neu, aber selbst nach Abzug aller Prämien noch bei knapp 24 000 Euro. Selbst gebraucht liegt das Modell laut Mobile.de gerade bei rund 20 000 Euro. Noch vor wenigen Jahren hätte man für diesen Preis locker einen neuen Verbrenner mit mehr Platz bekommen. Zum Beweis kramt der Autohändler einen Werbeprospekt von 2016 aus seinem Schreibtisch. „Schauen Sie, da!“, sagt er fast ein bisschen ungläubig. Ein VW Golf für 13 590 Euro wird dort als „Neujahrskracher“ angeboten. So günstig gibt es zwar auch heute keinen neuen Golf mehr, doch bei Gebrauchtwagen wird man zu diesem Preis gut fündig. Ein gebrauchter Elektro-Golf liegt laut Mobile.de dagegen gerade bei rund 22 000 Euro.

„Im Moment warten viele ab, was passiert“, sagt Klaus Philipp. Wie geht es mit den Prämien für E-Autos weiter? Wie entwickelt sich die Inflation? Was passiert mit dem Strompreis? Das alles halte viele Menschen davon ab, sich jetzt für ein Elektroauto zu entscheiden. Die hohen Strom- und Anschaffungspreise oder die geringe Verfügbarkeit seien aber nicht die einzigen Gründe für die E-Auto-Zurückhaltung. Da sei auch noch die Angst, möglicherweise eine veraltete Technik zu kaufen. Tatsächlich sind die Fortschritte bei der Ladeleistung und der Reichweite innerhalb weniger Jahre enorm. Und gerade weil für viele Autofahrer bei der Elektromobilität wichtig ist, dass sie möglichst weit fahren und schnell laden können, fallen gebrauchte Modelle – die zudem vergleichsweise teuer sind – durchs Raster.

Während es bei Verbrennern rund sieben Jahre dauert, bis ein Nachfolgemodell einer Baureihe auf den Markt kommt und die größten Verbesserungen dann meist in der Software liegen, passiert das bei E-Autos in kürzeren Abständen, und sie machen vor allem in der Batterietechnik riesige Fortschritte. Vor ein paar Jahren schafften die meisten elektrischen Kleinwagen nur 100 bis 150 Kilometer, mittlerweile sind bei vielen bis zu 300 Kilometer möglich. Auch das Laden geht bei neuen Modellen deutlich schneller. „Natürlich gibt es Kunden, für die eine kleinere Reichweite keine so große Rolle spielt“, sagt Autohändler Warncke. Doch das seien die wenigsten. „Die Reichweitenangst und die Sorge, vielleicht für viel Geld eine bald veraltete Technik zu haben, darf man nicht unterschätzen.“

„Die große Sorge der Menschen gilt der Batterie“, berichtet Klaus Philipp von Gesprächen mit E-Auto-Interessenten. Gerade bei Gebrauchtwagen seien die Kunden unsicher, wie gut der Zustand des Akkus noch sei und wie lange er noch hält. Hatten Elektroautos der ersten Generation oft noch fünf Jahre oder 100 000 Kilometer Garantie auf die Antriebsbatterie, sind es inzwischen bei den meisten Herstellern acht Jahre oder 160 000 km. Allerdings gibt es Unterschiede, ab welcher Grenze der Batteriekapazität ein Garantiefall vorliegt, meist definieren die Hersteller sie bei 70 Prozent.

Der ADAC oder der TÜV bieten mittlerweile Batteriechecks für Gebrauchtwagen an, auch Klaus Philipp möchte bald in seinem Autohaus einen solchen Service aufbauen, um potenziellen E-Auto-Käufern zumindest ihre Batterie-Sorgen zu nehmen. Und auch beim Preis gibt es zumindest eine positive Tendenz: Während gebrauchte Verbrenner weiterhin immer teurer werden, hat sich laut der Daten von Mobile.de die Lage bei den E-Autos nach einem Allzeithoch im vergangenen Sommer wieder etwas verbessert. Wann es allerdings keine Frage des Budgets mehr ist, welchen Antrieb das nächste Auto hat, ist noch nicht absehbar.

Text: Christina Kunkel, Digitales Storytelling: Vivien Timmler, Infografik: Julia Schubert, Illustration: Stefan Dimitrov