Zypries über Jugendgewalt:"Die Verrohung nimmt zu"

Die CSU will nach dem S-Bahn-Mord das Jugendstrafrecht verschärfen - Justizministerin Zypries hält das für "hilflosen Aktionismus". Der SZ erläutert sie ihren Lösungsansatz.

A. Ramelsberger

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hält Forderungen nach höheren Strafen für gewalttätige Jugendliche für Aktionismus. Sie will lieber mehr Geld für die Erziehung aufwenden.

Brigitte Zypries; dpa

"Ich erwarte von allen Ländern, dass sie noch mehr Geld in die Bildung investieren": Bundesjustizministerin Brigitte Zypries

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Bayern rühmt sich, das sicherste und wohlhabendste Bundesland in Deutschland zu sein. Warum kommt es gerade hier immer wieder zu solchen Eruptionen der Gewalt?

Zypries: Ich kann nur vermuten, dass dort, wo der Reichtum so deutlich zu sehen ist, sich manche Menschen umso mehr als Verlierer betrachten und Aggressionen dadurch noch stärker wachsen.

SZ: Ist die Hemmungslosigkeit, mit der Jugendliche andere Menschen wegen Nichtigkeiten töten, in den vergangenen Jahren gewachsen?

Zypries: Ja, ich habe den Eindruck, dass die Verrohung unter Jugendlichen seit Jahren zunimmt. Das mag vor allem daran liegen, dass es bei vielen jungen Menschen an einem vernünftigen Sozialverhalten fehlt. Wir müssen wieder dazu kommen, dass Jugendliche ihre Freizeit gemeinsam mit anderen bei Sport oder Theater verbringen und dabei lernen, Kompromisse zu schließen. Sie müssen erkennen, dass es kein Angriff auf das eigene Selbstwertgefühl ist, wenn sie sich der Meinung anderer beugen müssen. Viele Jugendliche haben heute zu wenig Frustrationstoleranz.

SZ: Was kann die Politik tun? Bayerns Regierung fordert, dass für über 18-Jährige in der Regel das Erwachsenenstrafrecht gelten soll und nicht, wie in der Mehrheit der Fälle, das Jugendstrafrecht.

Zypries: Es ist bemerkenswert, dass ausgerechnet in Bayern wesentlich häufiger Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren nach Jugendstrafrecht verurteilt werden als in anderen Ländern. Bundesweit wenden die Gerichte in 62 Prozent der Fälle Jugendstrafrecht an, während Bayern hier bei 70,3 Prozent liegt. Offensichtlich sind die Richter hier in der überwiegenden Zahl der Fälle davon überzeugt, dass ein Heranwachsender in seiner Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichsteht.

Das Jugendstrafrecht hat aber auch viel für sich. Sie können mit dem Jugendstrafrecht viel mehr die Erziehung der jungen Täter fördern und sie von künftigen Straftaten abhalten als mit den Strafen nach Erwachsenenrecht. Das Jugendstrafrecht ist kein Kuschelstrafrecht. Sozialstunden oder ein sozialer Trainingskurs sind schmerzhafter und lehrreicher als eine Geldstrafe oder ein Gefängnisaufenthalt.

SZ: Die bayerische Justizministerin fordert die Erhöhung der Höchststrafe für Jugendliche von zehn auf 15 Jahre.

Zypries: Das ist für mich hilfloser Aktionismus. Jugendliche begehen Straftaten in der Regel spontan und unüberlegt und denken doch nicht darüber nach, welche Höchststrafe ihnen drohen könnte. Wichtig ist, die Ursache solcher Gewaltexzesse an der Wurzel zu packen, indem wir uns verstärkt um die Jugendlichen durch Sozialarbeit in der Schule und durch Jugendarbeit kümmern.

Viele Jugendliche erleben heute keinen geregelten Tagesablauf mehr. Wir müssen verhindern, dass sie erst später im Jugendknast lernen, wie man sich selbst ein Brot schmiert und die Wäsche wäscht. Hier sind vor allem die Länder gefordert, für eine bessere Personalausstattung zu sorgen, statt ausgerechnet bei der Schulsozialarbeit zu sparen.

SZ: Meinen Sie Bayern?

Zypries: Ich erwarte von allen Ländern, dass sie noch mehr Geld in die Bildung investieren. Ein Gefängnisaufenthalt kostet etwa 85 Euro. Da können Sie sich ausrechnen, wieviele Sozialarbeiter man für eine zehnjährige Haftstrafe eines Jugendlichen beschäftigen könnte.

SZ: Das sind langfristige Lösungen. Kurzfristig fordern viele Kommunen die flächendeckende Videoüberwachung.

Zypries: Videoüberwachung macht nur Sinn, wenn sofort Hilfe zur Stelle ist. Sonst ist das nur der Versuch, Personal zu sparen und sich die Arbeit leichter zu machen, es ist die Vortäuschung falscher Sicherheit.

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