Zweitstimmen-Kampagne der FDP:Mit gespaltener Zunge

Lesezeit: 2 min

"Wer Merkel haben will, wählt FDP", sagt FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle - und wirbt offensiv um Zweitstimmen von CDU/CSU-Anhängern. Nun könnte man sagen: Alles wie immer. Aber so ist es nicht. Denn diesmal droht der Union noch mehr Ungemach von der FDP als sonst. Wegen des neuen Wahlrechts.

Von Robert Roßmann, Berlin

Mit dem Wahlrecht ist es ja so eine Sache: Es betrifft jeden, aber kaum einer versteht es. Das hat sich schon mancher zunutze gemacht. Besondere Kunstfertigkeit entwickelte dabei aber die FDP. Seit 1953 dürfen Deutsche bei Bundestagswahlen zwei Stimmen abgeben. Aber auch 60 Jahre danach wissen viele noch nicht, dass eigentlich nur die Zweitstimme über die Mehrheitsverhältnisse entscheidet. Die Liberalen haben diese Unkenntnis bei vielen Wahlen ausgenutzt.

In ihrer Not klammert sich die FDP auch jetzt wieder an die Union. "Wer Merkel haben will, wählt FDP", sagt Rainer Brüderle - und wirbt offensiv um Zweitstimmen von CDU-Anhängern. Nun könnte man sagen: Alles wie immer. Aber so ist es nicht. Denn diesmal droht der Union noch mehr Ungemach von der FDP als sonst. Schuld daran ist das neue Wahlrecht.

Schwarz-Gelb sei "durch geschicktes Stimmensplitting wählbar", sagt Patrick Döring - und will damit CDU-Wähler locken: Erststimme für den Direktkandidaten der Union, Zweitstimme für die Liberalen - so sei beiden Koalitionären geholfen. Doch der FDP-Generalsekretär ignoriert dabei absichtlich das neue Recht.

Von dem Splitting wird künftig nur noch die FDP profitieren

Bisher konnte man mit einem Stimmensplitting à la Döring tatsächlich die FDP stärken, ohne die CDU zu schwächen. Die wichtigere Zweitstimme half zunächst einmal den Liberalen. Dafür konnte die Union von der Erststimme profitieren, wenn sie damit ein Überhangmandat gewann. Wie das funktioniert, zeigt Baden-Württemberg.

Bei der Bundestagswahl 2009 holte die CDU dort 34,4 Prozent der Zweitstimmen. Die Christdemokraten hätten damit Anspruch auf 27 Abgeordnete gehabt. Die CDU gewann in dem Land aber dank eines noch besseren Erststimmen-Ergebnisses 37 der 38 Wahlkreise.

Den 37 Siegern konnte man den Einzug ins Parlament nicht verwehren. Deshalb sitzen jetzt zehn baden-württembergische CDU-Abgeordnete mehr im Bundestag als der Partei eigentlich zugestanden hätten. Das sind zehn der 24 Überhangmandate, die die Union insgesamt erhielt. Mit diesen Extra-Mandaten konnte die CDU Zweitstimmen-Verluste an die FDP wettmachen.

Dass von diesem Stimmen-Splitting nicht nur ein paar Wahlrechtsexperten Gebrauch machen, zeigt ein Blick auf das FDP-Ergebnis von 2009. Die Liberalen bekamen damals fast 15 Prozent der Zweitstimmen, aber nur 9,4 Prozent der Erststimmen. Ein Gutteil der Differenz landete bei Direktkandidaten der Union - siehe Baden-Württemberg.

Kluge Wähler konnten also durch Splitting ihr Stimmengewicht erhöhen. Doch damit ist es am Sonntag vorbei. Das Verfassungsgericht hat das bisherige Wahlrecht verworfen, der Bundestag hat sich ein neues gegeben. Darin gibt es zwar weiterhin Überhangmandate, diese werden aber durch Ausgleichssitze für die anderen Parteien kompensiert. Von einem schwarz-gelben Stimmen-Splitting wird künftig also nur noch die FDP profitieren.

Kein Wunder also, dass sich die Union jetzt gewaltige Sorgen macht. "Wir haben keine Stimme zu verschenken - beide Stimmen für die CDU, das ist das Motto", sagt Angela Merkel. Ob die Kanzlerin mit dieser Warnung an ihre Anhänger Gehör findet, wird man erst am Sonntag um 18 Uhr wissen.

© SZ vom 18.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: