Zweites Konjunkturpaket:Geben und ausgeben

Die Debatte über Steuersenkungen im Bonsai-Format versperrt den Blick. Die Regierung hat ein Bündel geschnürt, das die tiefste Rezession seit dem Krieg zumindest abmildern kann.

Claus Hulverscheidt

Sind es nun 7,70 Euro pro Monat und Familie? Oder doch 11,80 Euro? Noch sitzen die Experten über ihren Tabellen und berechnen, was die von der Koalition beschlossenen Steuersenkungen dem einzelnen Bürger bringen werden. Doch was auch immer am Ende unter dem Strich stehen wird, so viel ist bereits jetzt klar: In den meisten Fällen wird das Geld nicht einmal reichen, um die Heizkostennachzahlung für 2008 zu begleichen, die demnächst auf viele Mieter zukommt.

Zweites Konjunkturpaket - Geben und ausgeben, rtr

Präsentierten die "größte Maßnahme in der Geschichte der Republik": Seehofer, Steinmeier und Merkel

(Foto: Foto: Reuters)

Es war eine jener Gespensterdebatten, die in Berlin so gerne geführt werden. Wochenlang drehte sich die Diskussion - und mit ihr die Berichterstattung in den Medien - beinahe allein um die Frage, ob zum zweiten Konjunkturpaket der Regierung auch ein Steuerteil gehören wird. Die Antwort lautet ja , und die CSU wird sicher nicht müde werden, sich dafür zu rühmen.

Tatsächlich jedoch ist der Steuerteil ein Steuerteilchen, das so erbärmlich klein ist, dass die Koalition besser darauf verzichtet hätte. Die Steuersenkungen im Bonsai-Format werden nämlich nicht nur für Enttäuschung bei den Bürgern sorgen. Sie versperren auch den Blick darauf, dass die Regierung jenseits aller Phantomdiskussionen ein Bündel geschnürt hat, das durchaus das Zeug hat, die tiefste Rezession seit dem Krieg zumindest abzumildern.

Der wichtigste - und am wenigsten beachtete - Beschluss ist der Umbau der Kurzarbeit. Sie war bisher für viele Firmen keine Option, weil die Betriebe während einer Flaute zwar Arbeitszeiten und Gehälter der Mitarbeiter kürzen durften, das Gros der Sozialbeiträge aber weiterzahlen mussten. Künftig übernimmt der Staat bis zu 100 Prozent dieser Zahlungen. Damit wird die Kurzarbeit auch für solche Firmen finanzierbar, die kaum Rücklagen haben.

Da zugleich viele Betriebe aus Angst vor Facharbeitermangel zurückhaltender Stellen abbauen als vor Jahren, kann die Reform dazu beitragen, dass diesmal weniger Menschen entlassen werden als in früheren Krisen. Das wäre für die Stimmung im Land von unschätzbarem Wert, denn kaum ein Gefühl hat so gravierende Folgewirkungen für die Gesellschaft wie für die Volkswirtschaft wie die Angst von Millionen Menschen vor einem Verlust des Jobs.

Um Arbeitsplätze in Handwerk und Industrie zu sichern, will der Staat darüber hinaus Milliarden in Kindergärten, Schulen, Hochschulen und Krankenhäuser investieren. Wichtiger als die schiere Summe ist, dass die "Infrastrukturmittel" nicht einfach in Umgehungsstraßen oder Prestigeobjekte gesteckt werden, wie das früher häufig der Fall war, sondern dorthin fließen, wo sie mit Blick auf die Zukunft am ehesten gebraucht werden.

Das ist auch unter dem Aspekt der Generationengerechtigkeit bedeutsam, schließlich sind es die heutigen Schüler, die die jetzt aufgenommenen Kredite werden zurückzahlen müssen. Wofür das Geld verwendet wird, ob für die Reparatur eines Daches, den Bau einer Kantine oder die Anschaffung neuer Computer, sollen zudem nicht Bürokraten in Berlin, sondern Praktiker in den Kommunen entscheiden.

Ein Paradigmenwechsel in der deutschen Wirtschaftspolitik

Richtig ist schließlich, dass sich die Koalition nach vielem Hin und Her am Ende doch entschieden hat, die heftig umstrittenen Konsumgutscheine zu verschicken. Nichts anderes nämlich ist der einmalige "Kinderbonus" von 100 Euro pro Sprössling, den Familien mit geringem und durchschnittlichem Einkommen erhalten sollen.

Das Geld - immerhin 1,8 Milliarden Euro - kommt damit bei denjenigen an, die es am nötigsten haben. Und weil das so ist, und weil der Zuschuss anders als bei den geplanten Steuersenkungen nicht bröckchenweise, sondern auf einen Schlag ausgezahlt wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es umgehend ausgegeben wird und damit den Konsum stützt. Das ist durchaus ein Paradigmenwechsel in der deutschen Wirtschaftspolitik.

Kaum etwas bringen wird dagegen die Abwrackprämie für Altautos, die in erster Linie dazu führen dürfte, dass die Pkw-Händler ihre üppigen Neuwagenrabatte einschränken. Auch die Reduzierung des Krankenversicherungsbeitrags ist eine Mogelpackung, schließlich hatte die Koalition den Beitragssatz erst vor Tagen um just jene 0,6 Prozentpunkte erhöht, um die er jetzt wieder sinken soll.

Auf dem richtigen Weg

Man kann über den Sinn und Unsinn von Konjunkturprogrammen endlos diskutieren. Dass die Lage derzeit aber gefährlicher ist als je zuvor, wird kein ernsthafter Beobachter mehr bestreiten, denn es sind gleich drei Brände, die sich zu einem Großfeuer vereinigt haben: ein normaler konjunktureller Abschwung, die Finanzkrise und Strukturschwächen, insbesondere in der Autoindustrie. Entsprechend muss auch die Antwort des Staats eine andere sein.

Blickt man sich in Europa um, so wird deutlich, dass Deutschland mit den beiden Konjunkturpaketen im Gesamtvolumen von 75 Milliarden Euro bei aller berechtigten Kritik im Detail seiner Bedeutung als größte Volkswirtschaft der EU gerecht wird - und zwar schneller, als mancher selbstverliebte Präsident dies noch vor kurzem zu erkennen vermochte. Um es mit den Worten des Franzosen Nicolas Sarkozy zu sagen: Frankreich denkt, Deutschland handelt. Grund zur Genugtuung ist das nicht, denn die Rezession wird allen staatlichen Bemühungen zum Trotz hässliche Spuren hinterlassen. Auf dem richtigen Weg aber ist die Bundesregierung.

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