Zweiter Weltkrieg:Wie Adolf Hitler von Drogen abhängig wurde

Dr. Theodor Morell, 1944 Adolf Hitler Drogen Pervitin

Der Tyrann und sein Leibarzt: Adolf Hitler verleiht Theodor Morell 1944 das Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Vitamine, Opioide, Steroide aus toten Schweinen: Norman Ohler hat recherchiert, wie sich der Diktator aufputschte. Im SZ-Gespräch schildert er Hitlers Drogenkonsum - und die Sucht nach seinem Leibarzt.

Interview von Oliver Das Gupta

Norman Ohler, Jahrgang 1970, ist Publizist und lebt in Berlin. Er absolvierte die Hamburger Journalistenschule, veröffentlichte mehrere von der Kritik gelobte Romane und war unter anderem Stadtschreiber von Ramallah.

In seinem ersten Sachbuch "Der totale Rausch" (Kiepenheuer & Witsch; ISBN: 978-3-462-04733-2) dokumentiert er den Konsum von Drogen während der NS-Zeit. Demnach wurden nicht nur Soldaten mit Aufputschmitteln versorgt. Sondern auch Diktator Adolf Hitler ließ sich von seinem Leibarzt Theodor Morell (1886-1948) allerlei Substanzen spritzen - möglicherweise eine Ursache von körperlichen Verfallserscheinungen, die Zeitzeugen wie sein Leibwächter Rochus Misch (hier mehr dazu) bei dem Diktator beobachten konnten. Der Konsum dieser Substanzen, betont Autor Ohler, schmälere nicht Hitlers Schuld für seine monströsen Menschheitsverbrechen.

Norman Ohler Hitler Perviton Morell Drogen

Autor Norman Ohler

(Foto: Joachim Gern)

SZ: Hitler rührte als Vegetarier kein Schnitzel an, vertraute aber Morell so sehr, dass er sich von ihm Substanzen aus Schweinekadavern spritzen ließ. Wie kam der Arzt zu seiner Stellung?

Norman Ohler: Für Hitler war er ein harmloser Hausdoktor. Hitler hatte Angst vor Fachleuten und misstraute Ärzten generell, wohl weil er fürchtete, dass sie mehr über ihn wissen könnten, als er selbst. Morell war ein Einzelgänger, hinter ihm stand kein Apparat, keine Organisation, kein Militär - ideal für Hitler.

Wie sind sie einander begegnet?

Das war bei Hitlers Leibfotograf Heinrich Hoffmann in München im Jahr 1936. Morell hat es geschafft, Hitlers Verdauungsprobleme zu beheben. Als ihn der Arzt mit einer probiotischen Darmkur von Blähungen und Krämpfen befreien konnte, hatte der Diktator seinen Wunderdoktor gefunden. Er machte ihn zum Leibarzt. Und der spritzte dem "Patient A" genannten Machthaber fortan Vitamine, wie er es auch bei Schauspielern tat. Das waren aber noch keine Drogen, auch wenn das Einspritzen direkt in die Vene kurzfristig aufputschende Wirkung gehabt haben dürfte. Hitlers Drogenkarriere begann später, während des Zweiten Weltkrieges.

Was war der Auslöser?

Wohl als klar war, dass der Feldzug gegen die Sowjetunion nicht so verläuft, wie vom NS-Regime erhofft. Ab Herbst 1941 hat Hitler sehr viele Steroide und Hormoninjektionen bekommen.

Welche Wirkungen haben diese Substanzen?

Sie wirken aufputschend und leistungssteigernd. Im Grunde genommen sind es klassische Dopingmittel. Morell ließ sich nach der Eroberung der Ukraine die gesamten Organe von Schlachttieren sichern.

Was fing der Arzt mit solch einer Menge Innereien an?

Er ließ sie waggonweise zu seinen Fabrikationsstätten liefern, die sich in der mährischen Stadt Olmütz (Olomouc) befanden. Immer wieder hat er neue Produkte entwickelt aus den Organen. Während des Krieges wurden neue Arzneimittel nicht mehr zugelassen. Aber auch das kümmerte Morell nicht. In einem Brief ans Reichsgesundheitsamt verwies er stolz darauf, seine Präparate erfolgreich im Führerhauptquartier anzuwenden. So wurden seine Produkte ohne Verfahren zugelassen. Morells Produkte waren sehr fragwürdig. Heute würde man für solche Substanzen hinter Gittern landen.

Demnach sind sie gefährlich.

Allerdings. Bei solchen Produkten ist die Gefahr groß, dass Menschen autoimmunologisch reagieren: Der Körper wehrt sich gegen die fremden organischen Injektionen. Auch bei Hitler scheint das der Fall gewesen zu sein. Zumindest wäre so sein sichtbarer körperlicher Verfall in den letzten Kriegsjahren erklärbar. Diese Hormone nahm Hitler bis zum Schluss, wobei dann eben noch Eukodal dazukam.

Das ist ein Schmerzmittel. War Hitler ein Junkie?

Ein Junkie ist man dann, wenn man nach Opiaten süchtig ist. Das war er zumindest im Herbst 1944, als er sich Eukodal spritzen ließ. In einer von Morell gut dokumentierten Septemberwoche hat er sich jeden zweiten Tag spritzen lassen. Auch die Dosis wurde verdoppelt. Eine Menge von 0,005 Gramm ist die medizinische Applikation. Hitler ließ sich die vierfache Menge verabreichen. Da entsteht sehr schnell eine Sucht, weil es sich um ein sehr starkes Opioid handelt.

Zweiter Weltkrieg Drogen Pervitin

"Stimulans für Psyche und Kreislauf" - Werbung für die Droge Pervitin

(Foto: Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln)

Morell versorgte auch andere NS-Größen, aber er war den Obernazis suspekt.

Das lag wohl auch daran, dass kaum ein anderer Mensch mehr Zeit mit Hitler verbrachte, auch nicht Eva Braun. Und auch Morells Ehefrau sah ihren Mann nur mehr selten. Hitler hatte sich den Arzt regelrecht gekrallt. Keiner hat mehr Zeit mit ihm verbracht, keiner wusste mehr als er. Morell hatte immensen Einfluss auf ihn. Jeden Tag erhielt er mehrere Spitzen, Hitler muss regelrecht süchtig nach Morells Spritzengabe gewesen sein.

Sie beschreiben auch, wie deutsche Soldaten mit dem Methamphetamin Pervitin in den Krieg zogen - Bestandteil der Droge Crystal Meth. Wusste Hitler, dass seine Landser berauscht kämpften?

Es gibt kein Dokument, das dies belegt. Aber Militärhistoriker halten es für sehr wahrscheinlich, dass es ihm bekannt war. Er hat sich sehr genau informieren lassen über die Truppe. Im April 1940 wurde der Weckmittelerlass verabschiedet, worin der Einsatz von Pervitin beim Frankreichfeldzug festgelegt wurde. Unterzeichnet wurde das Dokument vom Oberbefehlshaber des Heeres. Es ist davon auszugehen, dass dieses Papier auch über Hitlers Schreibtisch ging. Dass der Sieg auch einem Aufputschmittel zu verdanken ist, dürfte allerdings nicht in sein Weltbild gepasst haben.

Mehr zur Rolle von Drogen bei der deutschen Kriegsführung in der SZ-Reportage von Matthias Drobinski bei SZplus.

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