Zweiter Weltkrieg:"Was haben wir hier zu suchen?"

Soldaten-Briefe WW2

"Unser Leben hat sich ganz gewaltig geändert": Felix Elger als Soldat an der Ostfront.

(Foto: privat)

Das fragt sich ein deutscher Soldat an der Ostfront im Jahr 1941. Fast täglich schreibt Felix Elger im Zweiten Weltkrieg an seine Frau, die er nie mehr wiedersehen soll. Einige Auszüge.

Zusammengestellt von Barbara Galaktionow

Wie lebte ein deutscher Soldat im Zweiten Weltkrieg? Was sah er, was dachte er? Darin geben die Briefe von Felix Elger einen Einblick. Der Jurist aus Reichenberg im Sudetenland - das heute tschechische Liberec - war gerade frisch verheiratet, als er im Februar 1940 eingezogen wurde, da war er 28 Jahre alt. Er stammte aus einem stark katholisch geprägten Umfeld, war nicht Mitglied in der NSDAP, wie seine Tochter Dorothea Schmolze sagt, die einen großen Teil der Briefe vor kurzem im Eigenverlag veröffentlicht hat (Soldat wider Willen. Briefe meines unbekannten Vaters, 2015).

Von 1940 bis zu seinem Tod auf einem Schlachtfeld in der Sowjetunion im Jahr 1942 schrieb Elger fast täglich Briefe an seine Frau daheim: Zunächst über sein Leben als Funker in Frankreich, das mit Einkäufen, Sprachstudium und Strandausflügen oft eher ein Urlaub zu sein schien. Später über die unglaublichen Härten des Soldatendaseins an der Ostfront, über Schmutz, Läusebefall und brennende Ortschaften.

Immer wieder geht es dabei auch um die Frage, wie der Kriegsgegner das alles wohl empfindet. Und es geht um die Sehnsucht nach einem normalen Leben - zu Hause. Das war Elger allerdings nicht mehr vergönnt. Auch seine Tochter, die Ende 1941 geboren wurde, lernte er nie kennen. Hier einige Auszüge aus seinen Briefen.

DEUTSCHLAND

Der erste Brief

6.3.1940, Kaserne in Kamenz, Sachsen

Meine innigst geliebte und so brave Frau!

Nach meinem Urlaub, der mir jetzt wie ein Traum vorkommt, will ich Dir diese ersten Zeilen senden. In Kamenz sind wir um 6 Uhr angekommen. Anschließend sind wir in das Hotel "Blauer Stern" gegangen und dort habe ich sehr gut genachtmahlt. Pilze mit Ei und Bratkartoffeln. Um halb acht waren wir dann in der Kaserne und um 9 Uhr bin ich schlafen gegangen. Wo meine Gedanken waren, das kannst Du Dir gewiss vorstellen. Das Seelische ist bei mir, ich kann wohl sagen, der wunde Punkt.

Gestern erhielt ich vom Oberbürgermeister in Aussig die Erledigung unseres Antrages auf Familienunterstützung. Leidlich wenig erhalten wir. Monatlich RM 26,50. Nun, ein gewisser Zuschuss ist es wenigstens, ungefähr die monatliche Miete, die Du zu bezahlen hast. (...)

Behüt Dich Gott und bleib gesund, Du meine zutiefst geliebte Frau.

Innigst küsst Dich Dein Mann

BELGIEN

Marsch durch Belgien

1.6.1940

Wir kamen an Orten vorbei, die deutlich Spuren des Krieges aufwiesen. Wiederum gab es auch Stellen, die völlig unbeschädigt waren. Einen ganz besonderen Eindruck auf mich machte der ununterbrochene Flüchtlingsstrom. Es ist ein Jammer, diese Menschen anzusehen.

Soldaten-Briefe WW2

"Es ist ein Jammer": Flüchtlinge in Belgien oder Frankreich, fotografiert von Felix Elger.

(Foto: privat)

Wo bleibt der Nationalsozialismus?

2.6.1940, Belgien

Übrigens, da ich das Wort Offizier niederschrieb, kann ich nicht umhin, Dir eine Episode wiederzugeben, die heute mir und noch zwei Kameraden passiert ist. Wir drei Soldaten hatten heute die Absicht gehegt, einmal in ein Restaurant speisen zu gehen. Vor allem wollten wir uns einmal einen Braten vorsetzen lassen. Als wir in das uns empfohlene Restaurant kommen, stießen wir noch im Vorraum auf einen Hauptmann der Artillerie. Gleich in einem harschen Ton fragte er uns, was wir hier zu suchen hätten. Auf unsere Antwort, wir wollten hier zu Mittag essen, erwiderte er uns: "Dieses Lokal ist natürlich nicht für Euch, geht in die Küche und esst dort!" Ein Kommentar hierzu ist wohl überflüssig.

So viel will ich jedoch sagen: Wo bleibt der so viel gepriesene Nationalsozialismus, wo bleibt die Kameradschaft? Vor dem Feind da darf und muss sich der gewöhnliche Soldat voll und ganz einsetzen, aber in einem öffentlichen Lokal mit den Herren Offizieren ein Essen einnehmen, das ist nicht erwünscht.

FRANKREICH

Marsch durch Paris

20.6.1940

Und nun eine Überraschung. Heute in den zeitigen Morgenstunden ist Dein Mann als deutscher Soldat durch die Hauptstadt Frankreichs, durch Paris, marschiert. Unsere Marschroute habe ich Dir auf beigegebener Karte eingezeichnet.

Soldaten-Briefe WW2

"Als deutscher Soldat durch die Hauptstadt Frankreichs": Deutsche Soldaten vor dem Arc de Triomphe in Paris.

(Foto: privat)

Mein persönlicher Eindruck von Paris war ein sehr positiver. Ich muss offen bekennen, eine schönere und elegantere Stadt habe ich bisher nicht gesehen. Die Bewohner überaus liebenswürdig, wie übrigens jeder Franzose. Gern würde ich mit Dir, geliebte Frau, diese schöne Stadt besuchen. Im starken Kontrast zu der prächtigen Innenstadt stehen die Vororte, die Industrieviertel mit den Elendsquartieren. Wenn man diesen Unterschied gesehen hat, dann versteht man, dass nur in dieser Stadt die größte aller Revolutionen entstehen konnte.

In Richtung St. Germain verließen wir dann die franz. Hauptstadt. Dabei kamen wir noch bei dem Institut Pasteur vorbei. Der Howorka aus Reichenberg fuhr neben mir.

Einkaufen im besetzten Frankreich

21.7.1940, Nordfrankreich

Heute war ich mit dem Fahrrad in Elbeuf, einer Stadt, die von hier ca. 10 km entfernt ist. Neben kleineren Einkäufen für meinen täglichen Bedarf dachte ich an Dich und kaufte eine Hemdhose aus reiner Naturseide mit einem bereits daran angebrachten Büstenhalter aus Spitzen. Wieder musste ich meine Unkenntnis hinsichtlich Deiner Körpergröße erfahren.

Franzosen und das deutsche Wesen

29.7.1940, Nordfrankreich

Wenn Du mich fragst, welchen Eindruck ich habe, wie die franz. Bevölkerung die ganzen Ereignisse aufnimmt, dann möchte ich Dir folgend antworten: Ich habe den Eindruck, dass der Franzose die Ereignisse mit ihren, vielleicht erst in Zukunft sich richtig auswirkenden Folgen, nicht entsprechend einschätzt. (...) Für ihn bedeutet schrankenlose Kritik, ausreichendes Debattieren und elegante Nachlässigkeit seine Welt. Und er scheint überzeugt zu sein, dass diese Welt für ihn wieder anbricht. Das deutsche Wesen, vor allem wie es der Nationalsozialismus geprägt hat, wird nach meiner Meinung dem Franzosen unverständlich bleiben.

Hausbesitzer sehen nach ihren Sachen

9.8.1940, Nordfrankreich

Unsere Hausbesitzer sind zurückgekehrt. Ein eigenmächtiges Betreten ihres Hauses gab es nicht. Der Bürgermeister musste uns ersuchen, ob die Leute einmal nach ihren Sachen sehen dürfen. Selbst in das Haus einziehen, wollten sie schon von sich aus nicht; es wäre wohl auch kaum durchzuführen gewesen, da wir ihnen nur 1 bis 2 Zimmer hätten zur Verfügung stellen können, und sie hätten dann mitten unter uns wohnen müssen. Einige Sachen ersuchten sie für ihren eigenen Bedarf mitnehmen zu dürfen. Es war wahrhaftig seltsam, wenn sie mich (ich habe sie durch das Haus geführt) fragten, ob sie dieses oder jenes Bild abnehmen und mitnehmen dürfen.

Ins Herz eines Franzosen blicken

12.8.1940, Nordfrankreich

Überhaupt seltsam, wie rasch sich die Franzosen mit den gewaltigen Veränderungen abgefunden haben. Oder soll das nur Schein sein? Gern möchte ich einmal in das Innere eines Franzosen schauen. Er muss doch irgendwelche besonderen Gefühle beim Anblick der vielen deutschen Uniformen, die das Straßenbild beherrschen, bekommen.

Französisches Mütterchen

2.1.1941, Frankreich, auf dem Weg in Richtung Süden

Als Vorkommando für unsere Übersiedlung ist auch gestern unter anderen ein Unteroffizier schon weggefahren. Er wohnte hier in einem Privathaus und ich war zufällig zugegen, als er von seinen französischen Quartierleuten Abschied nahm. Die franz. Frau, schon ein älteres Mutterl, umarmte den deutschen Soldaten, gab ihm einen Kuss auf die Wange und wünschte ihm eine gesunde Rückkehr in die Heimat, ja sie sagte, er solle nach dem Krieg sie wieder mit seiner Frau besuchen. Ich führe dieses Ereignis nur als Beispiel für den bestehenden "Völkerhass" an. Natürlich bleibt dieser Bericht wieder unter uns.

Vielleicht wird man in Europa nur deutsch sprechen

Soldaten-Briefe WW2

"Vermag man ein anderes Volk nur dann zu verstehen, wenn man sich mit ihm in seiner Sprache unterhalten kann": Felix Elger mit einer französischen Bekannten.

(Foto: privat)

19.1.1941, Frankreich, auf dem Weg in Richtung Süden

Nun habe ich noch eine Bitte: Vielleicht kannst Du Dich gelegentlich einmal nach einem kleinen Buch zum Selbstunterricht in der franz. Sprache erkundigen. Es dürfte aber nur 1 bis 2 RM kosten (...) In Europa vielleicht wird man nach dem Kriege nur Deutsch sprechen brauchen. Nichts aber ist schöner, wenn man in ein anderes Land kommt und seine Sprache kann. Auch vermag man ein anderes Volk nur dann richtig zu verstehen, wenn man sich mit ihm in seiner Sprache unterhalten kann .

Französische Mumien

28.4.1941, französische Atlantikküste, Bucht von Arcachon

Direkt widerlich finde ich ferner den Anblick von uralten Frauen, die sich noch immer die Lippen schminken. Ich sah gestern so eine Mumie, und noch dazu lief sie in Hosen herum!

Deutsche Landser verlangen Bier

3.5.1941, Frankreich, Bucht von Arcachon

Gewiss sind wir jetzt nun einmal in Frankreich die Herren, aber trotzdem sind wir im Interesse des Ganzen verpflichtet, diesen unseren Herrenzustand nicht bei jeder kleinsten Gelegenheit grenzenlos geltend zu machen. Es wäre gut, wenn mancher Landser (übrigens ein herrliches Wort) seinen Schrei nach Bier weniger laut hinausposaunen würde. Nicht selten habe ich den Eindruck, dass das franz. Volk in uns nur die rauhen Krieger, die Kriegsknechte sieht. Sie, die Franzosen, eingeschüchtert und verängstigt, gehorchen, aber im Grunde genommen dünken sie sich, vor allem kulturell, uns weit überlegen.

Krieg mit der Sowjetunion

22.6.1941, Frankreich, Bucht von Arcachon

Ja, könnte ich nur für einen Augenblick bei Dir sein, um mit Dir klar über das folgenschwere Ereignis eines Waffengangs mit Russland zu sprechen. Ich kann nicht verhehlen, die Mitteilung, dass wir mit USSR (die UdSSR bzw. Sowjetunion; Anm. d. Red.) die Waffen kreuzen müssen, wirkte auf mich sehr nachhaltend. Es ist wohl ein sehr schlimmer Schlag für uns alle.

Sprachstudium mit Franzose

14.7.1941, Frankreich, Bucht von Arcachon

Gestern bin ich doch nicht mehr zum Schreiben gekommen. Und warum nicht? Als ich von meinem Vermittlungsdienst nach Hause kam, da lernte ich zufällig einen Franzosen kennen, der Juwelier in Bordeaux ist, aber derzeit auf Urlaub in Taussat weilt. Er teilte mir mit, dass er in Bordeaux das deutsche Institut besucht, um die deutsche Sprache zu erlernen. Das war für mich eine gefundene Gelegenheit, und ich schlug ihm vor, nach Möglichkeit gegenseitig Konversationsstunden einzurichten, und so fingen wir gestern bereits an. Wir saßen zwanglos auf unserer Veranda und unterhielten uns eben so gut es ging.

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"Wir unterhielten uns eben so gut es ging": Felix Elger (links) mit einem französischen Bekannten.

(Foto: privat)

Abend am Strand

25.8.1941, Frankreich, Bucht von Arcachon

Unweit von uns saß franz. Jugend, Jungen und Mädels und sangen. Es war so eine friedliche Stimmung überall. Hier saßen deutsche Soldaten, zwei Meter entfernt junge Franzosen, und es war nichts von Völkerhass und Völkerneid zu spüren. Jedweder Lärm wäre in dieser feierlichen Stille grässlich störend gewesen.

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"Nichts von Völkerhass und Völkerneid zu spüren": Deutsche Soldaten am französischen Atlantik.

(Foto: privat)

Unvorstellbar waren mir die Gedanken, dass zur gleichen Zeit im Osten ein blutiges Ringen mit Jammer und Elend vor sich geht. Warum, oh Gott, lässt du dies zu?!

"Der Krieg mit Russland hätte nicht kommen sollen"

SOWJETUNION

Unsicherheit über Geburt des Kindes

7.11.1941 (Tag der Geburt seiner Tochter), Riga

Ich bin nach wie vor in Riga und will hier eigentlich auf meine Truppe warten. Augenblicklich sitze ich im Operas Kafeijniea (Kafejnīcā; Anm. d. Red.). Sehr gut, d.h. friedensmäßig, habe ich gejaust ... (...) Jetzt kann ich nur bitten und hoffen, dass es Dir gut geht und falls Du schon unser Kindl bekommen haben solltest, dass auch es gesund ist. Vielleicht erreicht mich das Telegramm viel später. Nun, damit müssen wir uns abfinden, wir können es ja nicht ändern.

Krieg mit Russland hätte nicht kommen sollen

17.11.1941, Russland

Unser Leben hat sich ganz gewaltig geändert. Es hat gar keinen Zweck, Dir alles zu schildern, jedenfalls vom zivilen Leben weicht es so ab, dass Du Dir davon kaum eine Vorstellung machen kannst. Verdreckt, mit Bart usw. Vielleicht würde man mich auf den ersten Blick gar nicht wieder erkennen. Alles ist unvorstellbar und man kann nur sagen: der Krieg mit Russland hätte nicht kommen sollen. Nur die eine Bitte habe ich: einmal wieder Deutschland, meine Heimat und vor allem aber Dich gesund wiederzusehen.

Ob wir ein Kindelchen bekommen haben, weiß ich immer noch nicht, denn obzwar ich nunmehr bei meiner Einheit bin, so wird es noch dauern, bis selbst das Telegramm mich erreicht. Was es bedeutet, nicht zu wissen, wie es meiner geliebten Frau geht und ob unser Kindchen schon da ist - nun, lassen wir das ...

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"Ob wir ein Kindelchen bekommen haben, weiß ich immer noch nicht": Dorothea Elger, geboren am 7. November 1941.

(Foto: privat)

Abgestumpft, lebensprimitiv

24.11.1941, Russland

Voraussichtlich werden wir unsere Wohnstätte unter die Erde verlegen, denn dann ist eine gute Durchwärmung des Raumes sicher gewährleistet. Tagsüber arbeiten wir auch schon fleißig an der Ausschachtung. Unser unterirdischer Aufenthaltsraum wird zwar sehr klein sein, aber was tut das schon. Es genügt, wenn wir des Nachts wenigstens ausgestreckt liegen können. Und die Nächte werden immer länger. Um ½ 5 Uhr wird es schon recht finster. Ich weiß nicht, ob Du Dir mein jetziges Leben vorstellen kannst, jedenfalls musst Du es Dir ganz, ganz primitiv vorstellen. Man ist eben Frontsoldat geworden. Das ist für alle diejenigen, die es selbst nicht waren, ein Begriff, in Wirklichkeit steckt dahinter aber allerhand, das kann jedermann glauben.

Heute fand ich in einem verlassenen Haus einen Wandspiegel - eine Kostbarkeit, denn wir haben nichts anderes als das was wir am Leibe haben, nicht einmal ein Handtuch - und da besah ich einmal mein Spiegelbild. Ich wusste nicht, soll ich lachen oder weinen. (...)

Seltsam ist, wie verhältnismäßig schwierig es mir fällt, einen Brief zu schreiben. Man ist so abgestumpft, so lebensprimitiv geworden und vor allem, ich scheue mich an die Vergangenheit zu denken. Würde ich daran denken, wie es doch ganz anders sein könnte, ich wüsste nicht, was ich tun müsste.

Weihnachten im Feindesland (Karte Wolchow-Kessel)

24.12.1941, Russland

Es ist auch kaum glaublich, was einem zugemutet wird. Vielleicht trifft es den Nagel auf den Kopf, wenn man sagt: nimm die Zeitungen zur Hand und lies die Frontberichte mit umgekehrten Vorzeichen, dann kommen wir der Wahrheit schon näher.

Und was ist heute Abend beabsichtigt?

1. Wir sollen einmal erst eine warme Suppe bekommen, voraussichtlich aber erst um 8 Uhr abends, d.h. also seit gestern mittag wieder einmal etwas Warmes. Heute früh fiel auch der Kaffee aus. (Nun, solche Sachen sind wir schon gewohnt).

2. sollen wir dann auch einige essbare Gegenstände und etwas zum Trinken geschenkt bekommen. Nun, wir werden sehen. Ich jedenfalls will so rasch als möglich zum Schlafen kommen um zu vergessen. (...)

Auf unserem Rückmarsch - und das war gestern Nacht, marschierten wir durch endlose Wälder bei niedriger Temperatur. Finster und feindlich war der russische Wald. Und warum auch nicht? Was haben wir hier zu suchen?

Chlorodont-Tarnung

17.1.1942, Russland

Gestern tarnte ich mir in einer etwas ruhigeren Zeit meinen Stahlhelm, und weißt Du womit? - mit Chlorodont-Zahnpasta. Herrlich weiß sieht er nun aus. Die Zahncreme allerdings hätte es sich auch niemals träumen lassen, einmal eine solche Verwendung zu finden. Als Soldat wird man eben erfinderisch und welchen Zweck hätte die Zahnpasta auch im übrigen noch erfüllen sollen, da sich doch niemand mehr den Luxus eines Zähneputzens leisten kann.

Kontrast zu Frankreich

5.2.1942, Russland

Soldaten-Briefe WW2

"Verlange nicht, dass ich Dir wer weiß wieviel erzähle": Felix Elger in Russland.

(Foto: privat)

Was soll ich Dir noch alles erzählen? So wie in Frankreich ist es eben nicht mehr, dass man allerlei Themen in Hülle und Fülle hat. Augenblicklich - und ich muss sagen - Gott sei Dank - vergeht ein Tag wie der andere. Ich hocke in meinem Erdloch, ungewaschen, unrasiert, mit einem Wort verdreckt und verschmutzt. Es ist so ein Zustand zwischen Schlaf und Wachsein. Dass man vollständig angezogen bleibt ist natürlich eine Selbstverständlichkeit. Manchmal überkommt mich ein wahrer Licht- und Lufthunger. Und so leben Hunderte und Hunderte von armen braven Menschen auf unserer Seite wie auch beim Feind.

Einsatz bleibt nicht aus

7.2.1942, Russland

Mein Herzenskindchen verlange nicht, dass ich Dir wer weiß wieviel erzähle. Es ist nun einmal so, dass meine Einheit hier in Russland ist und auch der Einsatz blieb uns nicht erspart. Nur Kurzsichtige glaubten, dass wir niemals an den Russen herankommen würden.

Brennende Ortschaften

25.2.1942, Russland

Dann wollte ich Dich, mein Herzl, schon immer einmal fragen, ob ich Dir seinerzeit schon ein wenig von unserem Rückzug über den Wolchow erzählt habe. Ich will nur erwähnen, dass die Bilder grausig schön waren. Die ganzen Ortschaften brannten, und die Nacht war hell erleuchtet. Jetzt lassen wir aber den Krieg gleich wieder sein. (...)

Unverständlich war mir Deine Erzählung von den 60 belegten Brötchen zu Deiner Einladung. Sagt doch einmal, wisst Ihr denn nicht, was Ihr mit solchen Dingen anrichtet? Habt Ihr denn noch immer keine Ahnung, wie es an der Front aussieht? Könnt Ihr Euch da keine Vorstellung machen? Seid doch froh, wenn wir Euch nicht alles sagen.

Läuseplage

6.3.1942, Russland

Wenn ich mir überlege, wie weit wir uns von jeder Hygiene entfernen mussten, so steht es schlimm. Zähne putzen schon seit Monaten nicht mehr, und dann die lieben Hände. Da verrichtet man diese oder jene Arbeit, dann zerdrückt man die Läuse zwischen den Daumennägeln, dann isst man wieder, dann kratzt man sich, d.h. man muss sich an dieser oder jener Körperstelle kratzen, und so geht das weiter, alles mit denselben Händen. Heute habe ich übrigens ganz schöne Erfolge. In meiner Unterhose schoss ich (wie wir es nennen) insgesamt 27 Läuse ab. Im Hemd waren es einige weniger. Auch eine Beschäftigung!

Dem Feind geht es genauso

18.3.1942, Russland

Glaube mir, zum Verzweifeln ist es noch lange nicht, bedenke, dass es Millionen ebenso geht, ja noch viel, viel schlechter. Der Kamerad und jener Kamerad steht mit mir auch an der Front, und wir müssen stehen. Dem Feind geht es übrigens genauso.

Russland kennenlernen? So nicht

2.4.1942, Russland

Schon haben wir April, es ist nun bereits ein halbes Jahr, dass wir in Russland sind, das ist eigentlich schon eine ganz schön lange Zeit, und doch konnte ich dieses Land nicht kennen lernen, denn wenn man draußen irgendwo in einem Bunker lebt, kann man nichts von Land und Leuten merken. Überhaupt, ich kann verzichten auf diese Art und Weise, d.h. als Soldat, die Welt kennen zu lernen.

Der letzte Brief

7.4.1942

Nach Tagen langen Harrens wurde ich gestern abends mit Briefen und Packeln direkt überschüttet. Von Dir erhielt ich die Briefe Nr. 136, 137, 138, 139, 140 und 141, dann noch eine stattliche Anzahl Päckchen von meiner Mutter mit guten Pfefferkuchen und ein Schreiben von Pater Matthäus. (...)

Unter Berücksichtigung des jetzigen Datums müsstest Du eigentlich schon in Deine Wohnung eingezogen sein. Wäre das aber herrlich. Auch hoffe ich, dass Du mit der Schaffung unseres Heimes tüchtig zu tun haben wirst und dadurch auch mehr Ablenkung finden wirst. (...)

Von mir kann ich Dir sagen, dass ich mir einen Film verschaffte und alle 8 Bilder nur von mir für Dich Aufnahmen machen ließ. Diesen Film, der also zwar belichtet, aber noch nicht entwickelt ist (also bitte Vorsicht) sende ich Dir heute mit gleicher Post. ...

Liebes gutes Herzerle, nicht verzagen, das rufe ich Dir wieder zu.

Und nun gib unserem kleinen putzigen Herzerle viele süße Kusseln von mir.

Dich aber, meine unsagbar tief geliebte Frau, schließe ich in meine Arme und küsse Dich herzinnigst

Für immer Dein treuer Mann

Soldaten-Briefe WW2

Sterbeurkunde Felix Elgers

(Foto: privat)

Brief von Freund Paul Marschner an die Witwe

Osten, am 21.7.1942

Liebe Frau Elger!

(...) Als ich ihn am 12.4. das letzte Mal sah und ich sonst mit Felix sprach, habe ich nie etwas von Schwermütigkeit gemerkt. Die Stimmung war im Allgemeinen auf dem Nullpunkt. (...)

Zum Angriffstage selbst. Als Zugführer befand sich Felix an der Spitze seines Zuges. Der Russe schoss wie toll und konnte nirgends gesehen werden. Um, wie ich annehme, eine bessere Übersicht zu gewinnen ist Felix einige Meter nach vorne gesprungen. Dabei traf ihn die tödliche Kugel. Die Kugel durchschlug den Stahlhelm von halblinks am Hinterkopf und trat rechts über der Schläfe wieder aus und durchschlug den Helm wieder. Den Einschuss von halblinks hinten erkläre ich mir so, dass Felix sich nach ihm folgenden Kameraden umschaute. Der Tod muss auf der Stelle eingetreten sein, denn der Gesichtsausdruck war keinesfalls durch Schmerz entstellt. Nach hinten zusammengesunken fand ich Felix im Schnee liegend, den Kopf nach hinten.

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