Zweite Amtszeit des US-Präsidenten:Erlöser in Aufbruchstimmung

Charismatisch wie eh und je, doch mit neuer Strategie startet Obama in seine zweite Amtszeit: Der Präsident setzt auf Eindeutigkeit und Idealismus. Er spekuliert darauf, dass Amerikas Volk die Geduld verliert mit der Blockade der Republikaner. Doch in vier Jahren könnte sich zeigen: Er war seiner Zeit zu weit voraus.

Ein Kommentar von Christian Wernicke, Washington

Worte, so heißt es, können die Welt verändern. Und Barack Obama ist ein Meister des Wortes. Immer wieder hat dieser Präsident mit politischen Oratorien seine Nation (und bisweilen sogar fernste Teile des Globus) begeistert. Das Urteil darüber, wie tief seine Reden diese Welt umgepflügt haben, ist zwar noch längst nicht gefällt. Derweil aber beschloss Obama, sich selbst zu verändern, ja sich neu zu erfinden - per gesprochenes Wort.

Zumal das linksliberale Echo, das nun anschwillt auf des Präsidenten 2114 Worte, mutet überwältigend an. Manche Reaktion auf Obamas sehr beredten Versuch, seiner zweiten Amtszeit eine Vision zu verleihen, erinnert an Zeiten, da (nicht nur) Amerika hoffte, dieser charismatische schwarze Mann könne wie ein Messias die Welt zu neuen Ufern führen. Schon bejubeln Anhänger Obamas "Second Coming", die Wiederkehr des progressiven Erlösers: Als könne Himmlisches eben doch schon auf Erden gelingen.

Amerikas Präsident ist am Montag mit seiner großen Rede gleich zweierlei gelungen. Er hat seinem Volk klar gesagt, wohin er strebt in den nächsten vier Jahren: nach halb links. Und er hat erklärt, wie er dorthin gelangen will. Obama möchte nicht mehr länger als hehrer Moderator agieren, also als einer, der scheinbar über Washingtons Gräben schwebt, um dann zu erleben, wie seine Initiativen in der Grube des US-Kongresses verendeten. Nein, nun will Obama seine eigene Mehrheit, sein halbes Amerika mobilisieren. Er ist drauf aus, mit öffentlichem Druck und dem Rückhalt seiner im November siegreichen "Obama-Koalition" aus gebildeten Weißen, Frauen und Minderheiten den widerspenstigen Republikanern jene Konzessionen abzutrotzen, die das Land für seine eigene Erneuerung braucht.

Vor vier, ja noch vor zwei Jahren dachte Obama anders. Er wollte zuerst Washington verändern, um dann das Land zu reformieren. Das scheiterte, er hat umgelernt. Jetzt nimmt der Mann im Weißen Haus die Hauptstadt samt ihres elendigen Parteienzank an, wie sie ist - und bläst als munterer Krieger zum Kulturkampf.

"Wir Bürger haben die Macht, das Land auf Kurs zu bringen"

Der Präsident beginnt dort, wo der Wahlkampf des demokratischen Kandidaten aufhörte: mit einer - jedenfalls nach amerikanischen Maßstäben - neu linken Agenda. An alten Fronten, etwa bei der Verteidigung sozialpolitischer Besitzstände wie der Renten- und Krankenversicherung, deutet er zwar Kompromissbereitschaft an. Aber er will "Sicherheit und Würde" jedes Einzelnen wahren. Und er geht in die Offensive. Geradezu lyrisch malt Obama das Ideal einer Zivilgesellschaft, in der solidarische Bürger sich um ihr Gemeinwesen kümmern, einander respektieren und annehmen. Obama beschreibt dazu Amerikas Geschichte als stolzen Freiheitskampf, er zieht - vom Kampf der Frauen ums Wahlrecht über die Emanzipation der Schwarzen bis zur Gleichbehandlung "unserer schwulen Brüder und Schwestern" - eine kräftige, zukunftsfrohe Linie. Und er verheißt ein gutes Ende: "Ihr und ich, wir haben als Bürger die Macht, dieses Land auf Kurs zu bringen."

Das ist der neue, der eindeutige Obama. Er wirkt nicht mehr so beseelt wie 2009, auch weniger erleuchtet. Stattdessen trägt er nun eine leuchtende Fackel in der Hand. "Forward" hieß der Slogan seines Wahlkampfs. Vorwärts!

Das halbe Amerika mag Obama dabei folgen. Nur, wie weit er damit kommt, wird sich bereits in wenigen Monaten erweisen. Obama mag sich neu definieren - die realen Verhältnisse in Washington sind dieselben geblieben. Fast alle Vorhaben, mit denen Obama das Land nach vorn bringen will, wird er am Ende in Paragrafen gießen und in Gesetzesform dem Kongress vorlegen müssen. Und dort besitzen die Republikaner nach wie vor alle Macht, Obamas Agenda gegen die Wand fahren zu lassen.

Obamas Kampf gegen die Blockade der Republikaner

Obama spekuliert darauf, dass Amerikas Volk die Geduld verliert mit der Blockade der Republikaner. Laut Umfragen unterstützt die Mehrheit seiner Landsleute zwar die meisten seiner Vorhaben. Ein neues, großzügigeres Einwanderungsgesetz ist von Nöten, und nach dem Schock des Massakers von Newtown sind mehr US-Bürger denn je bereit, Beschränkungen ihres Rechts auf Waffenbesitz hinzunehmen. Auch im Streit über höhere Steuern und soziale Einschnitte weiß Obama die Nation auf seiner Seite. Nur, zu dieser Einsicht ist im Kongress noch kein Lager - weder Obamas Demokraten noch die Republikaner - vorgedrungen.

Vorerst hat sich Amerikas Präsident nur selbst erklärt. Es wird ihn noch viele Worte kosten, seine Widersacher zu überzeugen. Sonst lauert in vier Jahren die Erkenntnis, dass Obama seiner Zeit zu weit voraus war.

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