Zweifel an Henriette Reker:Weihnachtsgrüße im Januar

Die Kölner sehnen sich nach einem Aufbruch. Doch die Oberbürgermeisterin hat bisher wenig erreicht.

Von Bernd Dörries

Die Ärzte hatten lange abgeraten. Aber bei der Verabschiedung ihres Vorgängers vor zehn Tagen hat Henriette Reker dann doch die schwere Amtskette getragen, zum ersten Mal seit ihrer Vereidigung im Oktober 2015. Sie hat die Kette um den Hals gelegt, den ihr der Attentäter Frank S. fast durchtrennt hatte im vergangenen Herbst. Noch nie ist eine Oberbürgermeisterin in Deutschland so ins Amt gekommen, Reker hat die Wahl im Koma verbracht, ihr Mann hat ihr erst später die Nachricht überbracht, von der die Kölner damals nicht wussten, ob sie für Reker eine frohe ist oder eher eine Belastung. Und letztlich weiß man das bis heute nicht. In den vergangenen Monaten hat Reker immer wieder gesagt, sie habe keinen Moment gezögert, das Amt zu übernehmen.

Seitdem nehmen viele in der Stadt eine recht zögerliche Oberbürgermeisterin wahr, die nach den sexuellen Gewalttaten der Silvesternacht seltsam kühl wirkte. Wie eine Verwaltungsbeamtin, nicht wie eine, der selbst Gewalt widerfahren ist. Reker hat nach ihrer Wahl hohe Erwartungen geweckt, sie kündigte an, die Stadt aus den Klauen der Parteien zu befreien. Und dann passierte monatelang nichts. Dabei sehnt sich die Stadt nach einem Aufbruch. Vor allem nach den Ereignissen an Silvester, die Köln zu einer Chiffre machten, für so vieles, was schiefläuft im Land.

In den lokalen Medien begann das Gemaule, und es wurde die Frage gestellt, ob sich ihre Unterstützer nicht doch getäuscht hätten in ihr, die sich als Parteilose außerhalb der alten Klüngler von rot und schwarz gestellt hatte - aber eben auch schon fünf Jahre in der Verwaltung der Stadt gearbeitet hatte, also vielleicht doch nur Fleisch vom Fleische ist?

Die Verwaltung ist für viele Kölner das größte Übel ihrer ansonsten liebenswerten Stadt. Es gibt hier fast jede Woche einen Wahnsinn im Kleinen zu Bestaunen. Beispiel: Die Stadt will auf einer ehemaligen Müllkippe einen Rettungshubschrauberplatz bauen. Bürgerinitiativen warnen vor einer Absenkung des Bodens. Wir haben alles geprüft, sagt die Verwaltung. Kurz vor Fertigstellung senkt sich der Landeplatz, mit dem Baustopp und der millionenteuren Sanierung muss sich Reker nun herumschlagen. Und hat offenbar schon genug: "Ich kenne die Verwaltung seit fünf Jahren, seitdem kann sie es schon nicht", sagte sie kürzlich dem Deutschlandradio Kultur. Bei einigen Mitarbeitern habe sie das Gefühl, die "kommen nur, um hier Schmerzensgeld zu bekommen". Es wurde schon viel hergezogen über die Bediensteten der Stadt Köln, so aber noch nicht.

Reker will nun eine Verwaltungsreform starten, ein Konzept gibt es noch nicht. Bis dahin werden sich die Mitarbeiter der Stadt überlegen können, ob sie persönlich gemeint waren mit der harten Pauschalkritik. Und sie werden auch darüber nachdenken, ob die Oberbürgermeisterin selbst mit gutem Beispiel vorangeht. In dem für sie so wichtigen Amt für Öffentlichkeitsarbeit hat sie alles beim Alten belassen. Beim Sprecher der Stadt hört man noch im Januar fröhliche Weihnachtsgrüße auf der Mailbox. Eine andere Sprecherin beantwortet Anfragen gerne mit einer Gegenfrage: "Warum ziehen Sie nicht weg aus Köln?" Der Kölner Stadt-Anzeiger schrieb zum Zustand von Stadt und Verwaltung, es dürfe keine Toleranz mehr geben gegenüber jenen, "die mangelnde Professionalität für Folklore halten und sich bei jedem Versagen darauf berufen, dass dies Teil der Kölner Kultur sei, im weitesten Sinne also Traditionspflege". Das neue Köln, es ist bislang ausgeblieben.

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