Zwei Jahre NSU-Prozess:Inneres Gefängnis

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Wie lange hält sie dem Druck noch stand? Beate Zschäpe am 200. Verhandlungstag mit ihren Anwälten Anja Sturm und Wolfgang Heer. (Foto: dpa)

Beate Zschäpe soll schweigen, so wollen es ihre Verteidiger. Doch die Strategie macht ihr schwer zu schaffen, immer öfter ist sie krank: Wie lange hält die Angeklagte dem Druck noch stand?

Von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz

Die Sonne scheint. Drinnen sieht man sie nicht. Es wird nun wärmer draußen. Drinnen spürt man es nicht. Ein leichter Frühlingswind rauscht durch die Pappeln in der Nymphenburger Straße. Drinnen hört man ihn nicht. Drinnen, da stampft die Gerichtsmaschine im immer gleichen Takt. Aufstehen, wenn das Gericht eintritt. Zuhören, wenn der nächste Zeuge spricht. Nachfragen, wenn sich der Zeuge nicht erinnert. Und warten, ob die Hauptangeklagte Beate Zschäpe doch noch redet. Anträge, Erklärungen, Unterbrechung, bis zum nächsten Tag. Und von vorn.

Die Menschen im Gerichtssaal A 101 im Münchner Oberlandesgericht leben nach dem Takt einer Maschine, die sich mühsam vorankämpft durch die Vergangenheit - einer Wahrheit entgegen oder zumindest der Annäherung an die Wahrheit. Es geht um die Frage, wer schuld ist an zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Banküberfällen durch den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU). Schuld an der Explosion in einem Wohnhaus in Zwickau und dem zynischen Bekennervideo. Aber auch schuld am größten Vertrauensverlust zu Polizei, Justiz und Verfassungsschutz seit der Wende.

Seit zwei Jahren sind die Menschen, die am NSU-Prozess teilnehmen, wie in einem Bunker eingesperrt. Auf engstem Raum. So wie Biologen in Biosphären arbeiten, um in einem von äußeren Einflüssen abgeschirmten Raum das menschliche Verhalten zu erforschen, so scheinen auch die Juristen, Angeklagten, Zeugen im Saal A 101 eingeschlossen zu sein - in einer Art Psychosphäre. Das hier ist nicht nur eine juristische Prozedur, sondern auch ein psychologisches Experiment: Wie viel Nähe man aushält, wie lange man unbewegt aussehen kann, wer wann zermürbt ist, wer wann explodiert.

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Von Annette Ramelsberger

Richter Götzl hat eiserne Nerven. Selbst Zeugen, die ihm Unsinn erzählen, hört er geduldig zu

Bei Richter Manfred Götzl ist die Frage gut zu beantworten. Er hat eiserne Nerven, er kann selbst Zeugen, die ihm stundenlang Unsinn erzählen, mit einer Geduld befragen, die alle anderen zermürbt. Doch auch ihm setzt es zu. Wer nach so einem Verhandlungstag seine Autorität infrage stellt, auch nur mit einem Nebensatz, muss seinen Bannstrahl fürchten. Das geht dann so. Anwalt Yavuz Narin: "Ich werde öfter gefragt, warum Zeugen aus der Szene hier vor Gericht so dreist und ungestraft lügen können, und ich kann ihnen keine Antwort geben." Götzl: "Ich möchte Sie zur Sachlichkeit aufrufen." Narin: "Das möchte ich erwidern." Götzl: "Jetzt erwarte ich allmählich eine Entschuldigung." Bei Götzl bedeuten solche Worte, dass er kurz davor ist, aus der Haut zu fahren.

In der Psychosphäre des Gerichtssaals lastet ein ständiger Druck auf den Menschen, die seit zwei Jahren hier ihre Lebenszeit absitzen. Die mit eiserner Disziplin sechs Stunden lang einem Zeugen zuhören, der nichts sagt, um dann in der siebten Stunde auf eine Ungereimtheit hinzuweisen, die sich ganz am Anfang seiner Aussage ergeben hat. Die sich kaum mehr auf ihren Sitzen halten können, aber dennoch weiter lauschen. Die, wie Richter Götzl, immer noch eine Frage haben. Und noch eine.

Und dann sagt plötzlich doch ein Zeuge etwas: Am vergangenen Mittwoch kam plötzlich Kay S. in den Saal, ein alter Kamerad von Zschäpe und ihren Gefährten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Immer hatte der Mann dichtgehalten, selbst dann noch, als ihn das Bundeskriminalamt befragte. Nun plötzlich will er seinem Herzen Luft machen - und gibt ein Geständnis ab. Es geht darum, dass Mundlos und Böhnhardt schon 1996 eine Puppe mit einem Judenstern auf der Brust an eine Autobahnbrücke gehängt hatten, den Kopf in einer Schlinge. Und nun sagt der Zeuge: "Ich war dabei." Und außer ihm, Mundlos und Böhnhardt auch die Angeklagten Zschäpe und Wohlleben. Das war bisher nicht bekannt. Alle sehen sich erstaunt an. Es ist kein guter Tag für die Verteidigung.

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Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Zuletzt hat sie einem Psychiater berichtet, dass sie das Schweigen kaum mehr aushalte

Die hat es in diesem Prozess ohnehin ziemlich schwer. Zschäpes drei Verteidiger haben sich mit ihrer Mandantin darauf verständigt, dass sie schweigen soll. Kein Wort, nie und nirgends. Denn was einem nicht nachzuweisen ist, dafür kann man nicht verurteilt werden. Die Verteidigung setzt darauf, dass die Indizien nicht ausreichen für eine Verurteilung Zschäpes als Mittäterin bei den Morden. Doch immer wieder scheint Zschäpe diese Verteidigungsstrategie infrage zu stellen. Zuletzt hat sie dem Psychiater Norbert Nedopil berichtet, dass es in ihr rumore, dass sie das Schweigen kaum mehr aushalte, dass sie psychosomatische Beschwerden davon habe bis hin zu einer Röschenflechte. Ihr Körper revoltiert.

Zwei Jahre lang hat Beate Zschäpe den Tränen, der Wut der Angehörigen standgehalten, hat keine Miene verzogen, wenn Mütter an sie appellierten zu sprechen, wenn eine Urlaubsfreundin sie fragte, ob Zschäpe ihr die Freundschaft nur vorgespielt habe. Die Zeugin, ein junges Mädchen, war in Tränen aufgelöst. Es saß, wie alle Zeugen, nur zwei, drei Meter von Zschäpe entfernt. Die Angeklagte blieb eisern. Doch das gelingt ihr nun nicht mehr, ihr Gesicht entgleist. Sie wirkt genervt. Sie will den Prozess hinter sich bringen.

Man kann sich vorstellen, wie schwierig es für die Verteidiger ist, diese Mandantin im Zaum zu halten. Offenbar hat sie nicht damit gerechnet, dass der Prozess sich so lange hinzieht. Und dass ein Bild von ihr gezeichnet wird, selbst wenn sie nichts sagt. Der eine Zeuge erzählt, sie sei bauernschlau, ein anderer, sie habe mit allen geschlafen. Und sie kann dieses Bild nicht zurechtrücken. Psychiater Nedopil fragt in seinem vertraulichen Gutachten leise, ob eine Verteidigungslinie Sinn habe, wenn die Mandantin dabei krank werde.

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Aus dem Gericht von Tanjev Schultz

Doch reden, das kommt für Zschäpes Verteidigung nicht infrage. Wenn die Mandantin etwas sagt, dann müsste sie ja nicht nur zu Dingen, die sie ärgern, sprechen, sondern zu allem. Sie müsste Helfer nennen. Ein "Teilschweigen" kann ihr negativ ausgelegt werden.

Der juristische GAU, der größte anzunehmende Unfall für diesen Prozess, aber wäre, wenn Zschäpe dauerhaft krank würde. Dann wäre der Prozess geplatzt, zwei Jahre, mehr als 200 Tage Verhandlung wären umsonst gewesen. Das will niemand. Vermutlich nicht mal Beate Zschäpe.

© SZ vom 04.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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