Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall:Viele Ostdeutsche tief enttäuscht

Die Mehrheit der Ostdeutschen fühlt sich noch immer nicht als Bundesbürger. 41 Prozent zeigen sich ausländerfeindlich.

Roland Preuß und Silke Bigalke

Fast 20 Jahre nach dem Mauerfall herrscht in Ostdeutschland eine weit verbreitete Unzufriedenheit mit der Politik und den sozialen Verhältnissen. Laut einer Studie des Sozialverbandes "Volkssolidarität" halten zwar 67 Prozent der Ostdeutschen Demokratie für "wichtig", aber nur elf Prozent sind zufrieden mit der politischen Praxis in Deutschland. 41 Prozent zeigten sich ausländerfeindlich.

Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall: Ewig gleiche Parolen: Bereits 2002 wurde auf einem Wahlplakat in Rostock mit einer offen fremdenfeindlichen Aussage geworben.

Ewig gleiche Parolen: Bereits 2002 wurde auf einem Wahlplakat in Rostock mit einer offen fremdenfeindlichen Aussage geworben.

(Foto: Foto: dpa)

Die Mehrheit der Ostdeutschen fühle sich immer noch nicht "hinreichend als Bundesbürger integriert", sagte der Präsident der Volkssolidarität, Gunnar Winkler, bei der Vorstellung der Studie am Montag in Berlin. 42 Prozent der Ostdeutschen hätten angegeben, "unzufrieden" oder "sehr unzufrieden" zu sein mit der hiesigen Demokratie.

Jeder Zehnte, vor allem Arbeitslose, wünsche sich die DDR zurück. Als Grund führt eine breite Mehrheit eine fehlende Glaubwürdigkeit der Politiker an. Gerade einmal 0,4 Prozent der Befragten gaben an, den Aussagen der Politiker vor der Wahl Glauben zu schenken. Für Westdeutschland hatte eine vergleichbare Umfrage zum politischen System dagegen eine Zufriedenheit von 61 Prozent ergeben.

Die Volkssolidarität ist einer der größten Sozial- und Wohlfahrtsverbände in den neuen Bundesländern. Das Sozialwissenschaftliche Forschungszentrum Berlin-Brandenburg hatte im Auftrag des Verbandes im April gut 1900 Ostdeutsche über 18 Jahre befragt. Angesichts der zahlreichen anstehenden Wahlen in diesem Jahr bezeichnete Winkler die Zahlen zur Glaubwürdigkeit als "äußerst bedenklich". 59 Prozent der Bürger gaben an, den Politikern nicht zu glauben.

Eine große Rolle bei der Bewertung der Demokratie spielt offenbar die Frage, inwieweit die Bürger die soziale Sicherheit garantiert sehen, sie wurde von den Befragten als wichtigster Wert (47 Prozent) angegeben. Doch gerade bei sozialen Fragen zeigt sich eine große Unzufriedenheit in Ostdeutschland. So wurde vor allem bemängelt, dass man im Osten noch nicht die gleichen Lebensverhältnisse wie im Westen erreicht hat (77 Prozent).

Zum Zweiten stören sich viele Ostdeutsche daran, dass ihre Lebensleistung in der DDR nicht anerkannt werde (54 Prozent), fast die Hälfte (49 Prozent) kritisiert, das frühere Leben in der DDR werde einseitig negativ dargestellt. Zum Dritten werden negative persönliche Erfahrungen vorgebracht, etwa geringe Mitspracherechte der Ostdeutschen.

Nachdem die Zufriedenheit in den Jahren 1999 bis 2003 noch gewachsen war, sind die Ostdeutschen seitdem wieder unzufriedener geworden. Der Sozialverband führt dies vor allem auf die von der rot-grünen Bundesregierung veranlassten Sozial- und Arbeitsmarktreformen und die Einführung des Euro zurück.

Seitdem fürchteten sich die Ostdeutschen wieder mehr vor der Zukunft. Insgesamt bezeichneten sich weniger als die Hälfte (44 Prozent) als zufrieden; im Jahr 2000 waren es noch 58 Prozent gewesen.

Die Umfrage zeigt zudem, dass die Ablehnung von Ausländern in Ostdeutschland auf einem hohen Niveau verharrt, obwohl lediglich etwa zwei Prozent Ausländer dort leben, deutlich weniger als im Westen. 41 Prozent sind der Meinung, dass zu viele Ausländer im Land leben, im vergangenen Jahr waren es 40 Prozent gewesen.

35 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass die Zuwanderer viele soziale Probleme wie Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit oder Kriminalität verschärften. Die Ablehnung treffe eine Gruppe, die auch von der Politik "als Problemverursacher hingestellt werde", sagte der Leiter der Umfrage, Reinhard Liebscher.

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