Zum Tod von Günter Schabowski:"Nach meiner Erkenntnis sofort, unverzüglich"

SCHABOWSKI BETRITT GERICHTSSAAL

Günter Schabowski, 1997 vor Gericht wegen Totschlags an der Berliner Mauer: Heute ist er im Alter von 86 Jahre gestorben

(Foto: DPA)

Günter Schabowski ist tot. Er war der Mann, der den Weg zu Mauerfall und Wiedervereinigung ebnete. Das war Tolpatschigkeit. Später bewies er Mut.

Von Lars Langenau

Vielleicht ist Günter Schabowski für den größten Witz, wenn schon nicht der Weltgeschichte, so doch der DDR-Geschichte verantwortlich. Wir schreiben den 9. November 1989, Erich Honecker ist drei Wochen zuvor zurückgetreten, Zehntausende demonstrieren auch gegen die SED seines Nachfolgers Egon Krenz. Die DDR ist im heillosen Zer- und Verfall begriffen. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands gibt gegen 18:15 Uhr eine Pressekonferenz im Internationalen Pressezentrum Ostberlins. Anwesend: Schabowski, Mitglied des SED-Politbüros und zuständig für Informationen.

Eigentlich will er nichts herausrücken, laviert im Deutsch der Bürokraten um die neue Ausreise-Regelung herum. Dann stellt der italienische Journalist Riccardo Ehrman von der Nachrichtenagentur Ansa die entscheidende Frage: "Herr Schabowski, Sie haben von Fehlern gesprochen. Glauben Sie nicht, dass dieser vor wenigen Tagen vorgestellte Reisegesetzentwurf ein großer Fehler war?"

Schabowski war von 1978 bis 1985 Chefredakteur des SED-Zentralorgans Neues Deutschland und geübt im Lügen, Verdrehen und Einschläfern. Noch immer weicht er aus: Die DDR wolle eine komplexe Neuordnung der Gesellschaft erreichen, damit eben niemand mehr ausreisen müsse. Und so weiter. Gähn.

Miese Präsentation - weltpolitische Sensation

Dann verliert er den Überblick über seine vor ihm liegenden Unterlagen, kramt verwirrt dreinblickend einen Zettel hervor, liest im Wortlaut eine Beratungsgrundlage des neuen SED-Chef Egon Krenz vor: "Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen."

Miese Präsentation. Weltpolitische Sensation. Auf die Nachfragen "Ab wann?" und "wann tritt das in Kraft?", stammelt Schabowski fast beiläufig den für die SED-Führung fatalen Satz: "Nach meiner Kenntnis ist das ... sofort ... unverzüglich." Minuten später wird die Aussage "sofort, unverzüglich" über das Radio und Fernsehen verbreitet.

Noch in der Nacht setzen sich Tausende DDR-Bürger in ihren Trabis in Richtung der zuvor tödlichen deutsch-deutschen Grenze in Bewegung. Und dann werden die Grenzübergänge tatsächlich geöffnet. Zunächst ungläubig tanzen die Menschen auf der Mauer am Brandenburger Tor, umarmen sich, trinken gemeinsam Sekt.

Vorzeitig und versehentlich

Schabowskis Ankündigung damals war vorzeitig und versehentlich, weil die Genossen im Politbüro eigentlich noch Vorkehrungen für den erwarteten Ansturm treffen wollten. Die Nachricht sollte erst am nächsten Tag veröffentlicht werden. Davon aber wusste Schabowski, der zu spät zur entscheidenden Sitzung gekommen war, nichts. Zehn Monate später war die DDR Geschichte.

Schabowski hatte sich unfreiwillig einen Platz in der Weltgeschichte gesichert. Sein Staat und seine Partei lösten sich kurze Zeit später auf. Aus der SED wurde die "Partei des demokratischen Sozialismus" - und die entledigte sich ihrer personellen Altlasten, zu denen auch Schabowski gehörte.

"Wir haben fast alles falsch gemacht"

Nach der Wende brach er mit seiner Vergangenheit und bekannte sich als Einziger aus der SED-Führungsriege zur moralischen Schuld und bat die Opfer um Entschuldigung. "Wir haben fast alles falsch gemacht", ist auch der Titel seines 2009 veröffentlichten Gespräch-Buches, in dem er die DDR als "lebensuntaugliches System" beschreibt.

Von 1992 bis 1999 arbeitete als Redakteur bei den Heimat-Nachrichten in Rotenburg an der Fulda. Im August 1997 wurde Schabowski wegen seiner Mitverantwortung für den Schießbefehl und den Tod von DDR-Flüchtlingen mitverantwortlich gemacht und wegen Totschlags zu drei Jahren Haft verurteilt. Etwa ein Jahr davon saß er ab, dann wurde er begnadigt. Er schäme sich für den Staat, für den er sich bis zum Zusammenbruch des Systems eingesetzt habe, sagte der "verspätete Dissident", wie ihn die FAZ einmal beschrieb.

Schabowski wurde am 4. Januar 1929 in der Hansestadt Anklam in Mecklenburg-Vorpommern als Sohn eines Klempners geboren. Als studierter Journalist stieg er im SED-Parteiapparat schnell auf. Er galt als "Hundertprozentiger" und Partei-Hardliner, war seit 1986 Sekretär des Zentralkomitees und zeitweilig sogar als Honecker-Nachfolger im Gespräch.

In den vergangenen Jahren war er krank und durch mehrere Infarkte und Operationen so geschwächt, dass er nicht mehr an den Feierlichkeiten des 25. Jahrestages der Deutschen Einheit teilnehmen konnte. Seinen Platz hätte er gehabt.

Wie seine Witwe Irina mitteilte, ist Günter Schabowski an diesem Sonntag im Alter von 86 Jahren in einem Pflegeheim in Berlin-Charlottenburg gestorben.

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