Zum Tod von Wojciech Jaruzelski:Tragische Gestalt der polnischen Geschichte

Wojciech Jaruzelski im Alter von 90 gestorben

General, Politiker, tragische Gestalt der polnischen Geschichte: Wojciech Jaruzelski (Archivbild von 2004)

(Foto: dpa)

Eisern herrschte Wojciech Jaruzelski über das kommunistische Polen, unheimlich gerieten die Auftritte des Generals mit der Sonnenbrille - im Gefängnis saß er später keinen einzigen Tag. Es ist die Tragik des ehemaligen Ostblock-Führers, dass er zu lange an die Reformierbarkeit des Systems glaubte.

Thomas Urban

Mit unbewegter Stimme verkündet General Wojciech Jaruzelski, der Partei-, Regierungs- und Armeechef, dass er zur Rettung des Vaterlandes das Kriegsrecht über Polen verhängt habe.

Die Gewerkschaft Solidarność (Solidarität) wird verboten. Ihr Führer Lech Wałęsa und seine Berater werden eingesperrt, wie weitere 13 000 Aktivisten der Demokratiebewegung. Im ganzen Land fahren Panzer auf, die Prügelpolizei ZOMO schägt zu.

Diese Fernsehrede am bitterkalten 13. Dezember 1981 war einer seiner wenigen öffentlichen Auftritte, bei denen er keine Sonnenbrille trug. Im kollektiven Gedächtnis der Nation hat er indes seinen Platz als der Mann mit den dunklen Augengläsern gefunden, was ihn für seine Landsleute nur noch unheimlicher machte. Er benötigte die Brille im Scheinwerferlicht oder bei greller Sonne. Sein Augenleiden stammte von der Zwangsarbeit als Holzfäller im sibirischen Winter.

Wojciech Jaruselski Polen Kriegsrecht 1981

Auftritt des Generals im Fernsehen: Wojciech Jaruzelski bei der Proklamation des Kriegsrechts über Polen am 14. Dezember 1981

(Foto: dpa)

Damals schädigte Schneeblindheit dauerhaft sein Sehvermögen. Als er später Soldat in einem polnischen Verband unter sowjetischem Oberbefehl an der Ostfront war, verschlimmerte sich das Leiden. So wurde seine Sonnenbrille zum Symbol für das Kriegsrecht, eine Zeit absoluter Behördenwillkür, massiver Menschenrechtsverletzungen, dreister Propagandalügen und krasser Versorgungsmängel. Jaruzelski herrschte über Polen in verschiedenen Funktionen zwischen 1981 und 1990.

Seinen ganzen Lebensabend kämpfte der ehemalige Armee-, Regierungs-, Partei- und Staatschef gegen die Version an, er sei für das große Unglück verantwortlich, das über seine Landsleute gekommen war.

Er schrieb Dutzende von Leserbriefen und nutzte mehrere letztlich ergebnislos endende Prozesse um das Kriegsrecht, um seine Sicht der Dinge darzulegen: Er habe mit seiner Entscheidung eine Invasion der Sowjetarmee verhindert. Es hätte sonst ein beispielloses Blutvergießen gegeben, weil viele Polen auf die Barrikaden gegangen wären.

Schlichte Kategorien von Befehl und Gehorsam

Seine Version vom "kleineren Übel" wurde allerdings durch Akten aus sowjetischen Archiven widerlegt. Der Kreml dachte damals überhaupt nicht an eine Militärintervention, vor allem weil er ein Wirtschaftsembargo der USA befürchtete.

In seinen Memoiren gab Jaruzelski immerhin zu, dass er die freiheitlichen Ideen der Solidarność überhaupt nicht begriffen hatte. Er dachte damals in den schlichten Kategorien von Befehl und Gehorsam.

Am Ende trieb Jaruzelski die Reformen selbst voran

Dieses Denken war ihm während des Zweiten Weltkrieges in einem Heim für polnische Jugendliche in der Sowjetunion anerzogen worden. Er gehörte als 1923 geborener Sohn eines adligen Gutsverwalters zu den mehreren hunderttausend Polen, die von der Geheimpolizei Stalins nach Sibirien verschleppt worden waren.

Wojciech Jaruselski Polen

Wojciech Jaruzelski im Jahre 2009

(Foto: AFP)

Die kommunistische Indoktrinierung verlief bei ihm so erfolgreich, dass er sich freiwillig als Informant der Geheimpolizei verpflichtete und in der Armee seine Kameraden bespitzelte.

Bis heute bleibt umstritten, wie groß sein Verdienst daran ist, dass die politische Wende in Polen 1989 unblutig verlief. Eine Alternative zum Wandel gab es allerdings auch nicht mehr. Denn der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow hatte im Rahmen seiner Perestroika (Umbau) erklärt, die bisherigen Satellitenstaaten Moskaus müssten ihre Probleme allein lösen.

Nun trieb Jaruzelski selbst Reformen voran. Doch der inkompetente und korrupte Parteiapparat wollte ihm nicht folgen. Es ist die Tragik dieses wohl intelligentesten und gebildetsten aller Ostblock-Führer, dass er zu lange an die Reformierbarkeit des Systems glaubte.

Er musste schließlich die Solidarność wieder zulassen und ihr sogar den Posten des Ministerpräsidenten in einer Koalition mit den Kommunisten zugestehen. Nach anfänglichen Störmanövern stand Jaruzelski als Staatsoberhaupt loyal zu den Politikern aus der früher von ihm bekämpften Demokratiebewegung. Ende 1990 räumte er den Präsidentenpalast für Lech Wałęsa.

Tragische Figur in Polens Geschichte

Immerhin hatte Jaruzelski als einer der wenigen Spitzenpolitiker in den Satellitenstaaten der Sowjetunion den Übergang zur Normalität geschafft: Zwar wurden mehrere Verfahren gegen ihn eingeleitet, doch hat er keinen einzigen Tag in Haft verbracht.

An seinem Lebensabend ist er zur Einsicht gelangt, dass er Jahrzehnte für eine falsche Sache gekämpft hatte. Zweifellos ist er eine tragische Gestalt der polnischen Geschichte.

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