Zum Tod von Otto Graf Lambsdorff:Der eiserne Graf

Was er leistete, forderte er auch von anderen. Doch Freunde und Gegner schätzten, dass auf sein Wort Verlass war. Nur einmal war das nicht der Fall. Zum Tod des FDP-Ehrenvorsitzenden Lambsdorff.

F. Augstein

Im Alter ist Otto Graf Lambsdorff seinem Namensvetter, dem Fürsten Otto von Bismarck, immer ähnlicher geworden. Wer ihn in seinem Büro besuchte, konnte das beobachten: Hinter seinem Schreibtisch hatte Lambsdorff ein Bismarck-Porträt Franz von Lenbachs aufgehängt. Der Reichskanzler verabscheute die Liberalen kaum weniger als die Sozialdemokraten. Warum der liberale Politiker Lambsdorff ausgerechnet Bismarck bewunderte, war einigen Parteifreunden ein Rätsel.

Zum Tod von Otto Graf Lambsdorff: Von Ehrgeiz erfüllt, ein eleganter Herr, mit einem soliden Ego, großer Intelligenz und Redegabe gesegnet: Graff Lambsdorff, hier bei einer Veranstaltung zu seinem 80. Geburtstag.

Von Ehrgeiz erfüllt, ein eleganter Herr, mit einem soliden Ego, großer Intelligenz und Redegabe gesegnet: Graff Lambsdorff, hier bei einer Veranstaltung zu seinem 80. Geburtstag.

(Foto: Foto: dpa)

Vergleicht man den "Eisernen Kanzler" und Lambsdorff, so muss man sagen, dass der zweite in mancher Hinsicht viel eiserner war: Anders als Bismarck, lebte Lambsdorff bis ins hohe Alter in nüchterner Selbstzucht. Wenn Helmut Kohl in den siebziger oder achtziger Jahren frühstückte, hatte der FDP-Politiker oftmals schon in einem frühmorgendlichen Interview die Weichen für das Tagesgespräch gestellt.

Die Härte gegen sich selbst mag eines der Ideale gewesen sein, die der 1926 in Aachen geborene Abkomme alten baltischen Adels zu Haus und auf der Ritterakademie in Brandenburg mitbekam. Unumgängliche Maxime wurde es, nachdem Lambsdorffs linkes Bein 1945 zerschossen worden war und am Oberschenkel hatte amputiert werden müssen. Er habe von Anfang gewusst, sagte er, dass er den Krieg überleben werde, dies allerdings "nur mit einer sehr schweren Verletzung".

Den Verlust seines Beins hat er später sogar auf dem Tanzparkett zu überspielen gesucht. Von Ehrgeiz erfüllt, ein eleganter Herr, mit einem soliden Ego, großer Intelligenz und Redegabe gesegnet, machte Lambsdorff nach seinem Jurastudium in der Wirtschaft schnell Karriere: Von 1955 bis 1971 arbeitete er für das private Bankhaus Trinkaus. Parallel engagierte er sich in der Politik. 1951 war er in die FDP eingetreten.

Die CDU und ihr Ahlener Programm waren ihm zu sozialistisch. In Nordrhein-Westfalen, wo er in die Politik einstieg, herrschte zudem ein heute kaum mehr vorstellbarer Klerikalismus: Da wurde von der Kanzel herab verkündet, dass des Teufels sei, wer die CDU nicht wähle. Unter diesen Umständen wählte Lambsdorff den Teufel und hatte nichts dagegen einzuwenden, sich von der Gruppe um den FDP-Politiker Werner Naumann, der Staatssekretär in Goebbels' Propagandaministerium gewesen war, bei seinen ersten Schritten protegieren zu lassen. Einige Jahre lang war er Mitglied des FDP-Landesvorstandes von Nordrhein-Westfalen.

Weil Lambsdorff seine Parteiämter nebenbei ausübte, hat er die "Eselstour" in der FDP nicht machen müssen. 1972 wurde er Mitglied des FDP-Bundesvorstandes und wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion. Wenn ihm vorgehalten wurde, dass er zu viele Interviews gebe, dann antwortete er, seine Aufgabe bestehe nicht darin, "wirtschaftspolitischer Schweiger" zu sein.

Ein Wirtschaftsliberaler alten Schrot und Korns

Lambsdorff war ein Wirtschaftsliberaler alten Schrot und Korns: Sofern die Wirtschaft vom Staat nicht behelligt werde, so glaubte er, werde jeder des eigenen Glückes Schmied sein können. Ein Parteifreund beschreibt ihn als Anhänger des großbürgerlichen Wirtschaftsliberalismus des späten 19. Jahrhunderts: Freie Bahn dem Tüchtigen; um alle, die nicht mithalten können, kümmert die Gesellschaft sich mit Caritas. Sprich: Es gibt Suppenküchen. Lambsdorff sympathisierte mit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, die das in den achtziger Jahren ganz ähnlich sah, obgleich sie nichts Großbürgerliches an sich hatte.

Glaubwürdig war Lambsdorff, weil er selbst in Vorlage ging: Was er leistete, forderte er auch von anderen. Nach dem Krieg, als Teile der bundesdeutschen Gesellschaft das Naziwesen vergessen machen wollten, indem sie zu altdeutschen Sitten zurückkehrten, kam sein Adelstitel gut an.

Darüber hinaus besaß er indes keine besonderen Privilegien, die ihm weitergeholfen hätten. Wer seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte oder auch bloß gegen Lambsdorff argumentierte, den machte er lächerlich. Das unterschied Lambsdorff von Genscher, dessen Pointen nicht auf Kosten der eigenen Leute gingen.

Auf sein Wort war Verlass

Alle, Freunde und Gegner, schätzten Lambsdorff dafür, dass auf sein Wort Verlass war: Hatte er einer Sache zugestimmt, so konnte man auf ihn bauen. Nur einmal war das nicht der Fall. Ende der siebziger Jahre stieg der Ölpreis. Anfang der achtziger machte die amerikanische Hochzinspolitik dem deutschen Haushalt schwer zu schaffen. Die SPD verlor eine Wahl nach der anderen.

Den FDP-Politikern erschien das wie ein Sog, aus dem sie sich befreien mussten: Die SPD konnte fünf oder zehn Prozent der Stimmen verlieren, nicht aber die FDP. Lambsdorff provozierte Bundeskanzler Schmidt, der fuhr ihn an: Dann solle er doch mal aufschreiben, was er denke.

Das Papier, das der Staatssekretär Otto Schlecht 1982 für den Wirtschaftsminister Lambsdorff verfasste, war Grundlage des konstruktiven Misstrauensvotums gegen Schmidt. Noch im Februar jenes Jahres hatte die FDP dem Kanzler in einer parlamentarischen Vertrauensfrage die Stange gehalten. Die SPD sprach später von "Koalitionsbruch", während die FDP-Spitze behauptete, sie habe damit nichts zu tun, die Sozialdemokraten selbst seien von ihrem Kanzler abgefallen. Lambsdorff hat diese Version noch zwanzig Jahre später erzählt. Er war nicht gern wortbrüchig. Es passte nicht zu seinem Selbstverständnis.

Seine Nähe zum Geld

So geschickt Lambsdorff den Text von Otto Schlecht benutzte, um die sozialliberale Koalition zu beenden, so gekonnt hat er darüber hinweggespielt, dass er von 1977 an unter Schmidt Wirtschaftsminister gewesen war: Seine Kritik an der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik hätte er nicht nur gegen den Kanzler, sondern auch gegen sich selbst richten können. Der "Marktgraf" war wesentlich daran beteiligt, dass die FDP zur "Partei der Besserverdienenden" wurde.

Ein Freund des bundesdeutschen Rechtsstaats

Anders als führende FDP-Politiker der Gegenwart war er aber auch ein Freund des bundesdeutschen Rechtsstaats. Die Bewahrung der bürgerlichen Rechte lag ihm am Herzen. Für die Umweltpolitik hatte er nicht das geringste übrig. Das brachte die FDP um viele Anhänger, die dann zu den Grünen abwanderten. Die Leute von Bündnis90/DieGrünen haben heute allen Grund, Lambsdorff zu ehren.

Immer schon hatte er die Nähe zur Industrie gesucht. Als Politiker und Parteischatzmeister in Nordrhein-Westfalen traf er sich oft mit den Vertretern der Stahlindustrie. Als Mitte der achtziger Jahre herauskam, dass er dem Flick-Konzern bei der Steuerhinterziehung geholfen hatte, hütete die FDP sich, den Stab über ihn zu brechen. Immerhin hatte er für seine Partei viel Geld eingeworben. Viele Freidemokraten sagten sich, dass sie an seiner statt nicht anders gehandelt hätten. Andere sagten sich, dass sie nicht Politiker geworden seien, um für ihre Partei Geld zu beschaffen.

Seine Nähe zum Geld hat es Lambsdorff erleichtert, sich eine kleine Hausmacht gewogen zu halten. Er konnte einem Spender raten, seine gute Gabe nicht der Partei, sondern einem bestimmten Abgeordneten zukommen zu lassen. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 180.000 Mark wegen Steuerhinterziehung in der Flick-Affäre traf Lambsdorff nicht. Zwar trat er anlässlich der Anklageerhebung 1984 von seinem Posten als Wirtschaftsminister zurück. Doch in der Partei war er unangefochten. 1988 wurde er zum Bundesvorsitzenden der FDP gewählt.

Es gibt wohl niemanden, der Otto Graf Lambsdorff nicht respektierte. Adelsstolz wird ihm attestiert. Dem hat er aber - auch als demokratischer Republikaner ein disziplinierter Mann - nur selten Raum gegeben. Sein Privatleben war privat. Selbst Parteifreunde, die ihn jahrzehntelang kannten, wissen wenig mehr über ihn zu sagen, als dass er zweimal eine Ehe eingegangen ist. Seine zweite Frau, die Bankerin Alexandra, eine geborene von Quistorp, nannte ihren Mann gemütlich und heiter.

Seine bleibenden Verdienste

Jegliche Versuche von FDP-Politikern, gegen die Apartheidspolitik in Südafrika zu opponieren, fand Lambsdorff unrealistisch: "One man - one vote" sei dort nicht anwendbar, sagte er. Ein südafrikanischer Geistlicher kommentierte das mit den Worten: In seinem Land heiße es in der Tat "ein weißer Mann - ein Swimmingpool". Als Parteikollegen zu Beginn der neunziger Jahre sich dafür einsetzten, dass die ehemaligen Zwangsarbeiter der Nazis eine Entschädigung erhielten, hat Lambsdorff ihren Bitten um Unterstützung die kalte Schulter gekehrt.

Als hingegen die bei amerikanischen Gerichten eingereichten Sammelklagen die deutsche Industrie in Bedrängnis brachten, war der Graf bereit, ohne Entgelt als Vermittler im Namen der Bundesrepublik zu fungieren. Kanzler Gerhard Schröder bat ihn um Hilfe, und er bat sich nur aus, bequem reisen zu dürfen.

Einer, der Bismarck verehrte

Er, der in seinen Methoden nie zimperlich war, rief nun auch die Vertreter der deutschen Industrie zur Raison. Je länger sie feilschten, erklärte er ihnen, desto teurer werde die Chose sie am Ende kommen. Lambsdorff wäre gern Außenminister geworden. Neben einem Hans-Dietrich Genscher war das nicht möglich. Als Unterhändler in Sachen Zwangsarbeiterentschädigung kam er seinem Ziel nahe. Er hat sich dabei bleibende Verdienste erworben.

Zu den wenigen privaten Dingen, die von Lambsdorff bekannt sind, gehört der Umstand, dass er Bismarck verehrte. Möglicherweise hat es damit zu tun, dass Otto Friedrich Wilhelm von der Wenge Graf Lambsdorff sich im Wilhelminismus des späten 19.Jahrhunderts eigentlich ganz wohl gefühlt hätte. Am Samstag ist Graf Lambsdorff im Alter von 82 Jahren in einem Bonner Krankenhaus gestorben.

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