Zum Tod von Linken-Politiker Lothar Bisky:Die leise Autorität

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Wenige Monate vor seinem Tod hat Bisky das "Abhandenkommen" der DDR als etwas bezeichnet, das ihn traurig gemacht habe. (Foto: dpa)

Lothar Bisky, jahrelang Vorsitzender der PDS und dann der Linkspartei, wollte eine Politik ohne Dogmen. Für viele ostdeutsche Genossen verkörperte der leicht verschroben wirkende Professor das menschliche Antlitz, das sie in der DDR gerne gesehen hätten.

Ein Nachruf von Daniel Brössler

Im August des Jahres 1968 zuckelte ein hoffnungslos überfüllter Zug von Budapest nach Tschop in der Ukraine. In nördlicher Richtung fuhr er durch einsame Landstriche Weißrusslands, um sich schließlich westwärts über Breslau Leipzig zu nähern. Im Zug befanden sich 3000 Bürger der DDR. Der direkte Weg nach Hause nach dem Urlaub am Balaton war ihnen abgeschnitten worden von den Armeen sozialistischer Bruderstaaten, die in der Tschechoslowakei damit beschäftigt waren, ihren Genossen "zur Hilfe" zu kommen.

Unter den Fahrgästen, die auf diese Weise gezwungen waren, das Ende des Prager Frühlings zu umrunden, befand sich damals der Leipziger Jugendforscher Lothar Bisky zusammen mit seiner Frau Almuth. Die erzwungene Reise war für Bisky ein Schock. Als junger Genosse hatte er Hoffnungen mit dem Prager Frühling verbunden. Nun musste er eine Haltung finden zum "Hilferuf".

Bisky dachte an Austritt aus der SED, verwarf es. Stürzte sich stattdessen in die wissenschaftliche Arbeit. "Das war eindeutig falsch", urteilte er später in seiner Autobiografie, die er "So viele Träume" nannte. Bisky verstand sich damals noch als "theoretischer Kommunist". Sein Irrtum sei es gewesen, dass man nach der Theorie leben könne, sagte der ältere einmal über den jungen Bisky. Drei Jahre nachdem er den Co-Vorsitz der Linkspartei, den er zunehmend als Bürde empfand, abgegeben hat, ist Bisky am Dienstag im Alter von 71 Jahren in Leipzig gestorben.

Wenige Monate vor seinem Tod hat Bisky das "Abhandenkommen" der DDR in einem Interview mit der Zeit als etwas bezeichnet, das ihn traurig gemacht habe. Ein großer Versuch sei da gescheitert, ein Traum gestorben. Wenn es die PDS und später in geringerem Maße die Linkspartei verstand, Ostdeutschen Heimatgefühl zu bieten, so war das nicht zuletzt Bisky geschuldet. Darauf gründete sich auch innerhalb der Partei Biskys Autorität.

Die Fähigkeit eines Gregor Gysi, einen Saal voller Genossen in Wallung zu bringen, ging Bisky ab. Er hat es auch nie vermocht, Parteitagsdelegierte grundlegend anders anzusprechen als Studenten in einem Hörsaal. Vergleichsweise leise, oft hintersinnig, meist kompliziert. In seiner Abschiedsrede auf dem Rostocker Parteitag im Mai 2010 dozierte er über "Handlungsoptionen, die wir aus den realen Widersprüchen des Finanzmarktkapitalismus entwickeln". Lafontaine, der mit Bisky aus dem Amt schied, gehörte die große Schau. Aber Bisky war es, dem in Rostock Wehmut entgegenschlug, zumindest der ostdeutscher Genossen. Bisky, der etwas verschrobene Professor, verkörperte das menschliche Antlitz, das sie in der DDR gerne gesehen hätten. Denen aus dem Westen blieb er fremd.

Das ist nicht ohne Ironie, denn Bisky kam selbst aus dem Westen. Er wuchs in Brekendorf in Schleswig-Holstein auf als Flüchtlingskind aus Hinterpommern. Für die reichen Bauern waren die Biskys "armes Pack". Als Gymnasiast las Lothar das Kommunistische Manifest, verstand es als Erklärung der eigenen Lage. Am 6. Dezember 1959, mit 18 Jahren, nahm er die Fähre von Lübeck zur Halbinsel Priwall, ging zur Grenze und schlüpfte unter dem Zaun durch.

In seinen Berichten über diese Zeit legte Bisky später Wert auf die Feststellung, dass er die DDR schon damals nicht naiv gesehen, dass er auch Zweifel gehegt habe. Die ihm wichtigste Verheißung aber habe sie eingelöst: Bildung. In Leipzig studierte Bisky Kulturwissenschaften, wurde Mitarbeiter am Zentralinstitut für Jugendforschung, schließlich Dozent an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED. Bisky führte ein privilegiertes Leben mit Reisen, auch in den Westen. Wenn er an der DDR litt, so in dem Sinne, dass sie ihm zu wenig sozialistisch war. Dass seine Frau Almuth für die Stasi spitzelte, wusste er noch nicht. Es habe ihn erschüttert, wie wenig die DDR-Bürger vom Marxismus gewusst hätten, beklagte sich Bisky, als es die DDR schon lange nicht mehr gab.

Erlösung versprach, fast 20 Jahre nach der Zugfahrt durch die Sowjetunion, Michail Gorbatschow. Als Rektor der Filmhochschule Babelsberg gehörte Bisky zu denen, die als Teil von Partei und System einen vorsichtigen Kampf gegen die Beharrungskräfte des Apparates führten. Bisky verkündete: "Die Schere ist an dieser Hochschule nicht länger Dozent." Am 4. November 1989 sprach auch er auf dem Berliner Alexanderplatz zu den Demonstranten.

Der Politiker Bisky, den es von da an gab, war mit Unterbrechungen anderthalb Jahrzehnte Vorsitzender der PDS und dann der Linkspartei, als deren "finale Mülltonne" er sich mitunter fühlte. Er wollte, dass die Partei ohne Dogmen Politik macht, durchaus auch mit dem Ziel, einmal mit SPD und Grünen zu regieren. Er war es aber auch, der besonders auf Ablehnung stieß. 2005 weigerten sich die Abgeordneten des Bundestages in vier Wahlgängen, Bisky zum Vizepräsidenten zu wählen. Darüber, wie sehr ihn das verletzte, hat er sich widersprüchlich geäußert. Vorwürfe, er habe für die Stasi gespitzelt, hat er stets zurückgewiesen. Nicht jeder in der DDR sei ein Schuft gewesen, hat Bisky einmal gesagt. "Man hatte eine Wahl."

© SZ vom 14.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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