Zum Tod von Guido Westerwelle:Guido Westerwelle - in höchsten Höhen und tiefstem Abgrund

Mehr Licht, mehr Schatten hat nie ein Politiker allein in eine Partei gebracht. Und doch blieb Guido Westerwelle immer eines: ein netter Kerl.

Nachruf von Thorsten Denkler, Berlin

Es war einer dieser typischen Momente für Guido Westerwelle. Er hatte wieder Anlass gegeben, einen bitteren Kommentar zu seiner Parteiführung zu schreiben. Es muss die Hochphase des Niedergangs der alten FDP gewesen sein. Irgendwann Ende 2010, Anfang 2011 also. Er hält Reden, in denen er in die Welt hinausruft: "Ihr kauft mir den Schneid nicht ab!" Schreibt Beiträge, in denen er Hartz-IV-Empfänger mit "spätrömischer Dekadenz" in Verbindung bringt.

Mitten in dieser Phase eine Veranstaltung im Thomas-Dehler-Haus, der FDP-Parteizentrale. Journalisten sind da, FDP-Politiker. Westerwelle geht von Tisch zu Tisch. Er lächelt, hat ein freundliches Wort für jeden. Wie geht es der Frau, den Kindern? Ehrliches Interesse. Er nimmt sich Zeit. Auch für den Kommentator, der seine Politik mal wieder verrissen hat. Kein böses Wort von Westerwelle, kein Seitenhieb.

Sobald das Rampenlicht aus war, die Kameras beiseitegelegt, die Mikrophone entkoppelt, war er sofort einfach Guido Westerwelle, einfach ein netter Kerl. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, nachtragend zu sein, politische Angriffe aus welcher Ecke auch immer persönlich zu nehmen. Angriff und Verteidigung gehörten zum politischen Geschäft. Und kaum einer kannte das Geschäft so gut wie er.

Mehr Licht und Schatten als bei allen Anderen

Seine große politische Karriere begann als Königsmörder. Sie endete mit seinem eigenen Sturz. Er bescherte der Partei den höchsten Wahlsieg in ihrer Geschichte. Und ritt die Partei in ihre tiefste Krise. Eine Krise, die darin gipfelte, dass die FDP 2013 krachend aus dem Bundestag flog.

Mehr Licht, mehr Schatten hat nie ein Politiker allein in eine Partei gebracht.

Am 27. Dezember 1961 in Bad Honnef geboren und in Bonn aufgewachsen, studierte Westerwelle in seiner Heimstadt Rechtswissenschaften. Er wurde Anwalt in der Kanzlei seines Vaters, mitten in der Bonner Nordstadt, einem Problemviertel. Andere wären dort vielleicht eher zu SPD gegangen. Westerwelle zog es in die FDP. 1980 wird er kurz nach der Volljährigkeit Mitglied. Zwei Jahre später wird er Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen. Er bleibt es acht Jahre lang und wechselt danach in den Bundesvorstand der Partei.

Parteichef Klaus Kinkel erkennt das Talent des redebegabten jungen Mannes. Mit 33 Jahren macht Kinkel ihn zum Generalsekretär der Partei. Kinkels Nachfolger Wolfgang Gerhardt übernimmt Westerwelle 1995. Nichtsahnend, dass Westerwelle ihn sechs Jahre später stürzen würde.

Damals schrumpfte die FDP von Wahl zu Wahl vor sich hin. Elf Prozent 1990 folgten 6,9 Prozent 1994 und 6,2 Prozent 1998. Die FDP war plötzlich in der Opposition. In Bonn, später in Berlin regierte Rot-Grün und lüftete die Republik ordentlich durch. Eine ungewohnte Rolle für die Parteivorderen. Die FDP hat die Politik der Bundesrepublik über Jahrzehnte aus der Rolle einer Regierungspartei geprägt, insgesamt 39 Jahre lang. Nur als die Union in den Nachkriegsjahren mal die absolute Mehrheit hatte und in der Zeit der Großen Koalition unter Kurt-Georg Kiesinger saß sie auf den Oppositionsbänken.

Mit Wolfgang Gerhardt war in dieser Phase nach 1998 kein Neustart zu machen. Westerwelle hat das gesehen. Mit Gerhardt war die FDP nicht mehr am Puls der Zeit. Westerwelle griff hinter den Kulissen nach dem Parteivorsitz und bereitete den Putsch vor. Er galt als jung und frisch. Jeder der in der Partei bis drei zählen konnte, erkannte, dass Westerwelle das größte politische Talent war, dass die FDP seit Langem hervorgebracht hat.

Westerwelle gewann. Gerhardt zog sich zurück. Am 4. Mai 2001 wurde Westerwelle zum neuen Parteichef gewählt. Schon damals war klar: Das Amt ist mehr für ihn als ein neuer Posten. Es ist Berufung.

Einer der stärksten Redner im Bundestag

Mit ihm folgten Jahre, die für die FDP aufregender waren, als alle Jahre seit ihrer Gründung. Westerwelle machte die FDP im ersten Wahlkampf unter seiner Führung zur 18-Prozent-Spaßpartei. Eine Autosuggestions-Veranstaltung sondersgleichen. Westerwelle zog mit dem Guido-Mobil durchs Land, einem 200 PS starken, spritfressenden 11-Meter Wohnmobilmonster amerikanischer Bauart. Er hatte Schuhsohlen, auf denen die 18 als Prozent-Zielmarke für die Bundestagswahl 2002 geschrieben stand. Er hielt Reden, in denen er sich die Partei zu einer Größe aufpumpte, als sei aus David über Nacht ein Goliath geworden. Seine Partei folgte ihm blind.

Unter anderen Bedingungen wären die 7,4 Prozent, die er mit der FDP 2002 einfuhr, ein Erfolg gewesen. So war es eine peinliche Niederlage.

Westerwelle begrub das Projekt 18, wechselte wieder in die Rolle des seriösen, aber angriffslustigen Oppositionspolitikers. Er gehörte neben Gregor Gysi und Joschka Fischer zu den stärksten Rednern im Bundestag. Er konnte poltern, krakeelen, sich duellieren auf Teufel komm raus. Er war witzig, schlagfertig, scharfzüngig und unterhaltsam.

Merkel ließ ihn auflaufen

2005 steigerte er das Ergebnis um 2,4 Prozent, eines der besten Resultate der Parteiengeschichte. Nur mit der Regierungsbeteiligung hat es nicht geklappt. Die zweite große Koalition ging an den Start. Westerwelle war jetzt Oppositionsführer. Eine Rolle, die er so ernst nahm, wie andere den Job als Kanzler.

Aber er wollte mehr. Er wollte die FDP zurück in die Regierung führen. Er schwor die Partei auf einen Steuerwahlkampf ein. Steuern runter! Um jeden Preis. Auch um den Preis der eigenen Glaubwürdigkeit, wie sich nach der Wahl 2009 herausstellen sollte. Der Wahlkampf hat ihm und der FDP 14,6 Prozent beschert. Das beste Ergebnis, das die FDP je bekommen hat. Die erwünschte, geradezu herbeigesehnte Regierungsbeteiligung mit der Union unter Kanzlerin Angela Merkel war perfekt. Perfekt vor allem für Merkel. Im Siegesrausch vergaß Westerwelle, seine Positionen klar im Koalitionsvertrag zu verankern. Dennoch stellte er sich danach vor die Delegierten des Parteitages und verkündete, die FDP habe sich in allen Punkten durchgesetzt. Pustekuchen.

Merkel lässt Westerwelle danach ein ums andere Mal auflaufen mit seinen Steuersenkungsplänen. Der ist in seiner neuen Rolle als Außenminister gefangen. Er wollte dieses Amt. Unbedingt. Weil Genscher es schon hatte. Und Kinkel. Nur nimmt es ihm kaum einer ab, wenn er mit Sorgenfurchen auf der Stirn über die Weltlage räsoniert. Westerwelle, der Innenpolitiker, findet sich plötzlich im Käfig der Außenpolitik wieder. Er kann die Doppelrolle nicht ausfüllen. Er macht Fehler. Auf den ersten Auslandsreisen nimmt er verdiente Parteispender und alte Kumpel mit. Sein Lebenspartner und Unternehmer Michael Mronz gerät in Verdacht, die neue Macht seines Gatten geschäftlich zu nutzen. Mit dem Satz von der "spätrömischen Dekadenz" diskreditiert Westerwelle Millionen von Hartz-IV-Empfängern.

In den Umfragen sackt die FDP ab, die ersten Landtagswahlen gehen verloren.

Dazu kommen die nicht gehaltenen Wahlversprechen. Die erhofften Steuersenkungen bleiben aus. Die FDP setzt lediglich durch, den Mehrwertsteuersatz für Hoteliers zu senken. Die Mövenpick-Steuer ist geboren.

Zwei Jahre kämpft er mit der Krankheit

Anfang 2011 wird es eng für Westerwelle. Mit einem Achtungserfolg bei der Wahl in Hamburg verschafft er sich Luft. Dann die Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Ende März 2011. Im Ländle fliegt die FDP aus der Regierung, in Rheinland-Pfalz aus dem Landtag. Westerwelle verliert an Rückhalt.

An Wahlergebnissen wollte er gemessen werden, hatte Westerwelle zu Beginn des Jahres 2011 gefordert. So kam es auch. Nach den vermurksten Landtagswahlen ist allen klar: Westerwelles Zeit ist abgelaufen. Außenminister darf er noch bleiben, den Parteivorsitz muss er abgeben.

Zehn Jahre nach seinem Putsch gegen Gerhardt wird er selbst weggeputscht. Von einer Boygroup um Phillip Rösler, Daniel Bahr. Und Christian Lindner, dem heutigen Parteichef und dem Mann, den Westerwelle zum Generalsekretär der FDP machte. Ein Amt, dass Lindner unter Rösler fluchtartig wieder verließ.

Es dauerte, bis Westerwelle sich wieder öffentlich zeigte

Sie haben Westerwelle vom Hof gejagt. Auf dem Parteitag im Mai tritt er nicht mehr an. Nachfolger wird Rösler, der danach nur zusehen kann, wie die FDP reihenweise aus den Landtagen fliegt. Und am Ende auch aus dem Bundestag.

Das Amt des Außenministers muss Westerwelle 2013 wieder an seinen Vorgänger Frank-Walter Steinmeier übergeben. Zur Wahrheit gehört, dass viele im Auswärtigen Amt froh darüber sind. Nie gab es einen im Volk unbeliebteren Außenminister als Guido Westerwelle.

Es hat gedauert, bis sich Westerwelle nach seiner Amtsübergabe wieder öffentlich sehen ließ. Er gründete bald die gemeinnützige "Westerwelle Foundation - Stiftung für internationale Verständigung". Aber just in einem Moment, als er sich erkennbar wieder in öffentliche Debatten einmischen wollte, kam am 20. Juni 2014 die Nachricht: Westerwelle an Leukämie erkrankt. Fast zwei Jahre kämpfte er mit der Krankheit. Zwischendurch schien es ihm besser zu gehen. Er schrieb ein Buch über seine Erkrankung, präsentierte sich in Talkshows, gab wieder Interviews.

Der Krebs war stärker. Westerwelle verstarb am 18. März in der Kölner Universitätsklinik an den Folgen seiner Leukämiebehandlung.

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