Zum Tod des Politikers Jörg Haider:Das ganze Leben - ein Schauspiel

Jörg Haider war ein Phänomen, das es nur in Österreich geben konnte: ein Theatraliker, ein Schattenboxer, ein Populist - aber kein Neonazi.

Richard Swartz

Jörg Haider war ein großes politisches Talent, das seinerzeit auch Bruno Kreisky auffiel. Vor vielen Jahren saß ich einmal mit dem damals schon hochbetagten und kranken Kreisky zusammen, und er redete über Haider fast wie über einen verlorenen Sohn.

Zum Tod des Politikers Jörg Haider: Jörg Haider war Theatraliker, Schattenboxer, Populist - aber kein Neonazi.

Jörg Haider war Theatraliker, Schattenboxer, Populist - aber kein Neonazi.

(Foto: Foto: AP)

In einem kleinen europäischen Land wie Österreich wird jede Begabung als nationaler Aktivposten betrachtet. Aber der junge Haider hatte Kreisky und andere Spitzenpolitiker enttäuscht, indem er es vorgezogen hatte, seine Karriere in der kleinen FPÖ zu machen.

Diese Partei war nach 1945 das Auffangbecken geworden für heimatlose Nazi-Sympathisanten, für Deutschnationale mit hartnäckigem Hass auf das multikulturelle Erbe des Habsburgerreiches sowie für ein kleines Häuflein echter Liberaler, das aber schon bald bis zur äußersten Schwundstufe geschrumpft war.

Haider glaubte an die Macht

Warum eigentlich war Jörg Haider zur FPÖ gegangen? Wohl kaum aus Überzeugung. Er hatte kein richtiges Programm und glaubte nicht an Ideen, eher an die Macht und an sich selbst. Dass er sich die FPÖ aussuchte, hing zum Teil sicher mit seinem familiären Hintergrund zusammen, der geprägt war von der Sympathie für Hitlerdeutschland.

Er selbst war ein sehr vermögender Mann, weil er in Kärnten große Grundstücke geerbt hatte, die nach dem "Anschluss" Österreichs im Jahr 1938 mehr oder weniger durch Enteignung jüdischer Flüchtlinge in den Besitz seiner Familie gelangt waren. Darüber sprach er höchst ungern. Aber was in Deutschland eine politische Laufbahn unmöglich gemacht hätte, war in Österreich kein Hindernis.

Seine Affinität zur FPÖ hatte gewiss auch etwas mit seiner Persönlichkeit zu tun. Haider war eine politische Ein-Mann-Show. In großen Parteien wie in der sozialdemokratischen SPÖ oder der katholisch-konservativen ÖVP hätte er niemals so viel Raum zur Entfaltung gehabt, und er hätte auch nicht auf der politischen Klaviatur spielen können, die er vom Elternhaus her gewohnt war.

Schon früh fand er heraus, dass ein Teil jener nostalgischen Melodiefetzen nicht aus der Mode gekommen war, dass viele sie wiedererkannten und dass sogar die jüngeren Generationen ihnen bereitwillig lauschten. Also spielte er auf, meist unsauber und mit den Zeigefingern, als der politische Provokateur und Improvisator, der er zeitlebens bleiben sollte, aber doch so, dass seine Wähler, wenn sie wollten, den Rest der Melodie ergänzen konnten.

Die übrige Welt hat das nie begriffen. Sie sah in Haider jemanden, der die Geschichte zurückdrehen wollte, einen zielstrebigen Neonazi, der in das Klischee deutsch-österreichischer Unverbesserlichkeit passte. So wurde er zur Gefahr nicht nur für sein eigenes Land, sondern für ganz Europa hochgeredet.

Dieses Missverständnis kulminierte in dem unbeholfenen Österreich-Boykott der EU-Länder, als Haiders FPÖ im Wahljahr 1999 die zweitgrößte Partei geworden war und mit Wolfgang Schüssels ÖVP die Regierung bildete.

Aber die historische Parallele funktionierte nicht. Haider hatte keine SA, er wollte keinen Versailler Frieden revidieren und träumte nicht von irgendeinem österreichischen "Lebensraum" in Osteuropa. Dafür appellierte er jedes Mal, wenn er über die Europäische Union, über Einwanderer, Ausländer oder Kriminalität sprach, an die Ignoranz und die trüben Vorurteile vieler Wähler. Damit freilich stand er in Europa keineswegs allein da.

Ein österreichisches Phänomen

Dennoch war Jörg Haider ein durch und durch österreichisches Phänomen. Denn er verkörperte die österreichische Liebe zum Theater und zur Theatralik, zur barocken Unterscheidung zwischen Schein und Wirklichkeit, zu dem Gefühl, dass das Leben ein Schauspiel ist, das man nicht für bare Münze nehmen kann.

Wie sollten die Deutschen mit ihrer geradlinigen Konsequenz, die Franzosen in ihrer cartesianischen Nüchternheit das verstehen können? Oder die Engländer, in deren täglicher Boulevardpresse der Zweite Weltkrieg noch immer fortdauert, als hätte man nie etwas von Stalingrad oder von Hitlers Selbstmord im Bunker gehört.

In seinen besten Momenten hätte Haider geradewegs einer Posse von Johann Nestroy entsteigen können. In der Politik trat er als frecher Gassenjunge auf, als Lästermaul und wirkungsmächtiger Polemiker, der zum Ärger seiner Gegner stets gut vorbereitet war. Sein Publikum liebte ihn dafür. Trotzdem war das eher Theater, und nicht einmal seine eigenen Wähler nahmen ihn ganz ernst.

Haiders historische Leistung

Zugleich stand er, wie kein anderer in der politischen Szene, für ein modernes, jugendliches Image in einer Welt von reifen und ziemlich langweiligen Damen und Herren. Andere europäische Unzufriedenheits-Politiker wie Jean-Marie Le Pen, Oskar Lafontaine oder die Dänin Pia Kjaersgaard wirken im Vergleich wie Museumsstücke oder wie Clowns.

Jörg Haiders historische Leistung besteht vermutlich darin, mehr als irgendein anderer dazu beigetragen zu haben, dass die politische Nachkriegsordnung in Österreich bröckelte, jene lähmende Dominanz zweier immer müder werdender Großparteien.

Doch außerhalb Kärntens hat er nie wirklich Macht ausgeübt. Das lag auch an seiner verblüffenden Fahrlässigkeit. Er brachte es fertig, plötzlich die Beschäftigungspolitik der Nationalsozialisten zu preisen oder den international isolierten Saddam Hussein aufzusuchen; böse Zungen behaupteten, er habe nur dessen Doppelgänger getroffen. Solche Schnitzer ließen sich nicht so leicht ausbessern.

Noch mehr aber wurde ihm seine politische Impotenz zum Verhängnis. Nach dem großen Wahlerfolg von 1999 weigerte er sich, in Wolfgang Schüssels Koalitionsregierung mitzuarbeiten, sicher eher aus freiem Willen als unter dem Druck der Umgebung. Im Rückblick lässt sich das, zumindest symbolisch, als das Ende seiner Karriere betrachten.

Als politischer Schattenboxer wagte er sich nicht in den Ring, sobald es wirklich ernst wurde. Wie so viele Populisten besaß er weder die Geduld noch den Willen, die Verantwortung für seine Überzeugungen zu übernehmen. Haider stand für Opposition und Unterhaltung, aber er befasste sich nicht mit der Kleinarbeit des politischen Alltags.

Ausgerechnet seine Überzeugungen blieben bis zuletzt vage und widersprüchlich. Über die Jahre hinweg hat er im Gespräch immer wieder behauptet, sein großes Vorbild sei Helmut Schmidt. Mich hat das jedes Mal aufs Neue erstaunt. Und Schmidt hätte es bestimmt nicht gern gehört.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: