Zum Tod des Diktators:Gewaltsames Ende eines Gewaltherrschers

Saddam Hussein regierte den Irak gnadenlos - deshalb konnte er selbst keine Gnade erwarten

Tomas Avenarius

Mitleid oder Milde zu erwarten, wäre wohl zu viel verlangt: Saddams Husseins Tod markiert das Ende einer Gewaltherrschaft, die selbst für nahöstliche Verhältnisse außergewöhnlich brutal war. Ein Mann, der in solchem Umfang gemordet, Kriege angezettelt, die eigenen Minderheiten mit Gewalt überzogen hat, wird aber selbst auch kaum das Mitleid anderer erhofft haben: Gnade zu gewähren war schließlich nicht Saddam Husseins Stil.

Zum Tod des Diktators: Saddam wie er leibte und lebte: der Ex-Dikator und sein Halb-Bruder Barsan al-Tikriti während ihres Verfahrens.

Saddam wie er leibte und lebte: der Ex-Dikator und sein Halb-Bruder Barsan al-Tikriti während ihres Verfahrens.

(Foto: Foto: AFP)

Drei Bilder stehen für seine Herrschaft über den Irak: 1979 - der junge, gerade erst an die Macht gekommene Diktator hält auf einem Parteikongress seiner Baath-Partei eine Säuberung in den eigenen Reihen ab. Die schwarzen Haare mit Pomade zurückgekämmt, zieht er mit einem triumphierenden Lächeln an einer Zigarre: Er hat gerade die Namen von 66 angeblichen Verrätern verlesen lassen.

Vor der Türe warten die Folterknechte

Die Genannten müssen augenblicklich den Saal verlassen, vor der Türe warteten die Folterknechte. 22 der 66 Männer wurden wenige Tage später hingerichtet. Es war die Proklamation des Saddam-Systems, sein Markenzeichen: Gewalt als allgegenwärtiges Machtmittel, nach innen und nach außen. Wer teilhaben wollte, musste selbst Hand anlegen, wer sich widersetzte, ging unter.

Das zweite Bild, 21 Jahre später, zeigt den gealterten Diktator im Jahr 2000. Saddam hat zwei seiner Kriege verloren, bis zur dritten und endgültigen Niederlage ist es nicht mehr lange hin. Saddam, in bürgerlichem Hut und Mantel, schießt wie ein Desperado aus der Hüfte und mit nur einer Hand in die Luft - mit einem mehrere Kilo schweren Armee-Karabiner.

Isoliert

Die Macho-Show trug Züge des Lächerlichen. Ungewollt zeigte sie der Welt die Absurdität des isolierten Regimes, das Kampfbereitschaft vorgab, wo nur noch nackte Angst herrschte vor dem Ende der eigenen Herrschaft: Ein Mann forderte die Welt heraus, obwohl seine Niederlage klar vorgezeichnet war.

Das dritte Bild zeigt Saddam in Unterwäsche, mit verfilztem Haar und ungepflegtem Vollbart: Ein US-Militärarzt fuhrwerkt ihm mit einem Spatel im offenen Mund herum, untersucht Haare und Bart des Despoten auf Läuse. Kurz zuvor hat der US-Statthalter im Irak, Paul Bremer, Saddams Festnahme bekanntgegeben: ,,We' ve got him!'' - Wir haben ihn!

Diktator wie aus dem Lehrbuch

Amerikanische Soldaten hatten den gestürzten Despoten aus einem sarggroßen Erdloch gezerrt: In einem Dorf nahe seines Heimatortes Tikrit hatte der Flüchtige sich monatelang vor den Besatzern versteckt gehalten. Das von dem US-General mit dem Videoprojektor an die Wand geworfene Bild symbolisierte fast schon das Ende. Was fehlte, war das letzte, das allerletzte Bild: Saddam unter dem Galgen, die Schlinge um den Hals.

So hat Saddam Husseins Lebensgeschichte, was den Aufstieg und Fall von Diktatoren angeht, Lehrbuchcharakter von der Geburt bis zum Tod. Er selbst kannte keine Skrupel, keine Sentimentalitäten: Der irakische Despot bekannte sich zum Sowjet-Diktator Stalin als geistigem Lotsen durch die Untiefen der Politik. Wie Stalin hatte Saddam sich von ganz unten heraufgekämpft, wie er war er ausgestattet mit dem Instinkt des underdogs: Zubeißen, bevor der Gegner den eigenen Fang aufreißen kann.

1937 geboren im Dorf al-Ouja bei Tikrit, wuchs der Sunnit Saddam in Armut und ohne Vater auf. Unklar ist, ob der leibliche Vater gestorben war oder sich zur Vaterschaft nicht bekannte. Die Erziehung des Bauernsohnes übernahmen jedenfalls andere: Der eine, ein Onkel, verehrte Adolf Hitler und lehrte ihn den arabischen Nationalismus. Der andere, sein Stiefvater, setzte auf Stock und Riemen als Erziehungsmittel. Saddam soll mit 19 Jahren seinen ersten Mord begangen haben - im Auftrag eben dieses Stiefvaters. Andere Morde sollten folgen. Er waren Hunderttausende.

Dürftige Ausbildung

Früh erwarb sich Saddam den Ruf als Mann fürs Grobe, beseitigte Konkurrenten und Kritiker, beteiligte sich am Attentat auf einen seiner despotischen Vorgänger. Der Anschlag auf General Abdel-Karim Qassem schlug fehl. Saddam floh nach Syrien, schwamm, aus einer Schusswunde blutend, durch den Grenzfluss. So jedenfalls erzählt es seine eigene Heldenbiographie. Doch die hat der ,,Krieger der Krieger'', der ,,ins Schicksal ergebene Kämpfer'', ,,Führer der Muslime'' und selbsternannte Nebukadnezar der Moderne oft genug geschönt.

Obwohl seine Ausbildung dürftig gewesen war, studierte Saddam im Exil Jura. Er geriet in dieser Zeit unter den persönlichen Einfluss des Gründers der Baath-Partei, Michel Aflaq, und damit noch tiefer in den Sog der panarabischen Ideologie. 1963 stand die Rückkehr in den Irak offen: Die irakische Baath-Partei hatte gemeinsam mit Armee-Offizieren geputscht, es war der vierte Staatsstreich in zehn Jahren.

Graue Eminenz

Als Saddams Parteifreunde die Macht bald wieder verloren, landete er im Gefängnis; kaum entlassen, kam er 1968 mit dem zweiten Baath-Putsch an die Macht und wurde zur grauen Eminenz. Damals schuf er die Fundamente jener Diktatur, die ihn zehn Jahre später zum uneingeschränkten Herrscher machen und die erst 2003 mit dem Einmarsch der Amerikaner enden sollte.

Offiziell ergriff Saddam die Macht im Irak als ,,Staatschef, Premierminister, Baath-Generalsekretär und Chef der Streitkräfte'' 1979. In Wirklichkeit war er schon seit 1968 als zweiter Mann der Macher im Baath-Staat. Der Rücktritt von Präsident Hassan al-Bakr 1979 war nur noch Formsache: Saddam hielt alle Fäden bereits in der Hand.

Gewaltsames Ende eines Gewaltherrschers

Seine Politikerpersönlichkeit war bei all dem komplexer, als es das Bild vom blutsaufenden Despoten zeigt: Er verfügte zweifellos über politisches Talent, zeigte hohe taktische Intelligenz. Zugleich beging er unbegreifliche strategische Fehler. Je länger er regierte, desto stärker igelte er sich ein in der Welt seiner Paläste, desto mehr verlor er den Blick für die Realität.

Wo einst seine totalitäre Vision eines modernen, säkularen, wohlhabenden und waffenstarrenden Irak stand, blieb am Ende nicht mehr als eine korrupte Familienherrschaft mit den Söhnen Uday und Qusay als Chefexekutoren der alltäglichen väterlichen Despotie.

Führer eines gescheiterten Staates

Als George W. Bush 2003 seinen Krieg gegen Saddam begann, war dieser längst nicht mehr der allmächtige Diktator. Er war nur noch Führer eines gescheiterten Staates. Sein Staatsgebiet kontrollierte er nur in Teilen. Die Kurden lebten unter amerikanischem Schutz unabhängig von Bagdad. Sowohl Schiiten als Sunniten hungerten und verhungerten. Die angeblich den Weltfrieden bedrohenden Massenvernichtungswaffen existierten nicht. Die viertgrößte Armee der Erde war ein kampfunfähiger Haufen, dessen einzige Offensivfähigkeit Fahnenflucht war.

Das eigentliche Paradox der Saddam-Herrschaft ist, dass sein Land bereits 1988 - nach dem erfolglosen Acht-Jahre-Krieg gegen Iran - politisch, wirtschaftlich und militärisch am Boden war. Dennoch galt er für 15 weitere Jahre als Schrecken der Welt.

Eine Unkultur der Gewalt

Alleine mit der Person lässt sich das Phänomen Saddam Hussein dann auch nicht begreifen. Jeder Tyrann ist der Herrscher eben seines Landes. Er begeht seine Verbrechen mit einer spezifisch nationalen Handschrift. Und der Irak, mehr noch als die anderen Staaten des Nahen Ostens, ist geprägt von einer Unkultur der Gewalt.

Der Irak als ,,Nationalstaat'' ist das Produkt misslungener britischer Politik nach dem Ersten Weltkrieg. Den Irakern fehlt die gemeinsame Identität: Ihr auf dem imperialistischen Reißbrett entworfener Staat missachtet die Eigenheiten der Volksgruppen. Der Hass zwischen den zusammengezwungenen Ethnien und Religionsgruppen der Kurden, Sunniten, Schiiten und Turkmenen bricht regelmäßig auf; unterdrückt nur durch die Allgewalt der Bagdader Herrscher.

Saddams Politik zügelloser Gewalt nach innen und außen war zweifelsohne verbrecherisch. Denkbar und durchführbar aber war sie nur vor dem Hintergrund der regionalen Polit-Topographie: Der Irak rivalisierte stets mit dem weit größeren Iran, erst unter dem amerika-freundlichen Schah, dann unter dem eifernden Ayatollah Khomeini.

Va-Banque-Kriege

Der Kalte Krieg hatte zudem Saddam an die UdSSR gebunden, dem Ölexporteur Irak fehlten die Seehäfen, das auf mehrere Staaten verteilte Kurdenproblem war nicht lösbar. Nur vor dieser Kulisse lassen sich Saddams Va-Banque-Kriege gegen Iran und Kuwait erklären.

Und nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb er wechselweise auf so gegensätzliche Bundesgenossen wie die UdSSR und die USA setzen konnte. Der irakische Diktator war den beiden in ihren kalten Krieg verstrickten Weltmächten nützlich. Henry Kissinger brachte es auf den Punkt: ,,Schade nur, dass sie ihren Krieg nicht beide gleichzeitig verlieren können.''

Gewaltsames Ende eines Gewaltherrschers

So nutzte Hussein die Widersprüche und Paradoxien seines Landes, seines Volkes und der Region meisterlich. Seine Machtergreifung begann mit nackter Gewalt - und dennoch hat er den Irak in kürzester Zeit zum modernsten Staat der arabischen Welt entwickelt. Er hatte die Ölindustrie zum Nutzen des Volks verstaatlicht, das Land alphabetisiert, die Frauen gefördert, ein kostenloses Gesundheitssystem nach europäischem Vorbild aufgebaut.

Zwei Putschversuche überlebt

Doch der Wohlfahrtsstaat des Saddam Hussein war kein Selbstzweck. Zur gleichen Zeit baute der Despot ein grausiges Unterdrückungssystem auf: Wer still hielt, lebte halbwegs gut. Wer Widerstand wagte, landete in den Händen der Folterknechte.

Und schließlich hat er sein Volk in Kriege geführt, die nicht zu gewinnen waren; sei es gegen Iran, gegen Kuwait samt der UN-Koalition aus Dutzenden europäischer und arabischer Staaten, oder, ganz am Ende, gegen die ,,Koalition der Willigen'' unter Führung der Amerikaner. Zeitgleich ließ er die eigenen Volksgruppen immer wieder unterdrücken, Kurdendörfer mit Giftgas auslöschen, abertausende Schiiten niedermetzeln. Der Diktator gab seine Ämter auch nicht auf, als ihm noch Exil und ein halbwegs ehrenvoller Abgang offeriert wurden.

Zehnjähriges Katz- und Maus-Spiel

Was von 1991 an nach dem verlorenen Kuwait-Krieg und dem ungleichen Waffengang gegen die USA und ihre UN-Koalition folgte, war ein zehnjähriges Katz-und-Maus-Spiel. Die UN suchten Saddams Massenvernichtungswaffen, die USA verfolgten unter dem Deckmantel der UN-Inspekteure den Sturz des Diktators. Obwohl die UN-Sanktionen gegen den Irak die schärfsten je verhängten Boykottmaßnahmen waren, hielt Saddam stand.

Er überlebte zwei von der CIA eingefädelten Putschversuche, ließ seine von der Fahne gegangenen Schwiegersöhne beseitigen, schaute zu, wie sein eigenes Volk verarmte und hungerte. Während den Amerikanern unter Bill Clinton so die Ideen zum nicht-militärischen Regimewechsel ausgingen, blieb Saddam weiter an der Macht.

Der Krieg, den George Bush der Jüngere schließlich gegen Bagdad führte, war militärisch gewonnen, bevor er begonnen hatte: Saddam und die irakische Armee hatten der mächtigsten Militärmacht der Erde nichts entgegenzusetzen.

Zu simpel

Die von Bush beabsichtige Ruck-Zuck-Demokratisierung des Nahen Ostens aber war zu simpel gedacht: erst gewaltsamer Regimewechsel im Irak, dann ein angeblich zwingender Dominoeffekt und ein Überschwappen der demokratischen Welle nach Ägypten, Syrien und Iran.

Das war sträflich naives Wunschdenken. Seitdem versinkt der Irak täglich tiefer in Gewalt und Bürgerkrieg. Einem Saddam Hussein, dem Meister im Spiel mit den irakischen Widersprüchen, wäre das so wohl nicht passiert. Am Galgen geendet hat er dennoch.

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