Zum Geburtstag:Mit Bildern schreiben

Luis Murschetz, der Künstler und große Zeichner, nennt sich selbst gerne einen "Maler" und wird achtzig. Damit ist er der dienstältetste Karikaturist der Süddeutschen Zeitung. Eine Würdigung.

Von Kurt Kister

Luis Murschetz ist ein Künstler, ein großer Zeichner, der sich in selbstbewusster Ironie gerne auch einen "Maler" nennt. Und Murschetz ist außerdem ein Kommentator, ein, im besten Sinne des Wortes, Bild-Journalist, der Zeitgeschehen und Zeitgeschichte zu interpretieren und zu bewerten weiß. Er hat die seltene Fähigkeit, einen Leitartikel in einem Bild zu schreiben.

Doch, manche, wenige Menschen können das: ein Bild schreiben. Ein Beispiel dafür ist Murschetz' Interpretation der selbstinszenierten Entglaubwürdigung des einstigen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach. Über Niersbachs Pressekonferenz, seinen ausgedehnten Schabowski-Auftritt, sind Millionen Buchstaben geschrieben worden. Murschetz hat in seiner Karikatur, die in der SZ-Wochenendausgabe vom 24./25. Oktober vergangenen Jahres erschienen ist, alles, was es zu sagen gab, in einer Zeichnung zusammengefasst: Im Angesicht der "Meute", wie die Fotografin Herlinde Koelbl den Journalistenpulk einmal nannte, sitzt Niersbach gemeinsam mit dem Froschkönig, dem gestiefelten Kater, der Hexe und anderen Märchengestalten auf einem Podest mit dem DFB-Logo und erzählt einen vom Pferd.

Handwerker und Künstler sein und als politischer Mensch die Welt betrachten

Diese Karikatur zeigt auch sehr schön, was Murschetz nicht ist: Er ist kein Comic-Zeichner wie manche andere seiner Kollegen, die den Witz, gibt es ihn denn, eher in die Sprechblase packen, als ihn zu zeichnen. Und er ist auch niemand, der bei seinen Figuren "Gabriel" auf die Jacke schreiben muss oder die Stars and Stripes flattern lässt, weil man sonst nicht erkennen würde, dass da Barack Obama zu sehen ist.

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Ein Ständchen zum Achtzigsten. SZ-Kollege Pepsch Gottscheber gratuliert dem Jubilar - mit einer Zeichnung natürlich.

Der Schöpfer einer guten politischen Karikatur muss Handwerker und Künstler sein, er muss als politischer Mensch die Welt betrachten, und er muss sie mit Ironie durchdringen. Er darf auch mal polemisch werden, aber wenn er das zu oft ist, dann wird sein Tun und Treiben zu laut, zu schrill. Ein guter Karikaturist hat die Fähigkeit, in leisen Tönen zu überspitzen.

Murschetz, der an diesem Donnerstag 80 Jahre alt wird, ist mittlerweile der dienstälteste Karikaturist der Süddeutschen Zeitung. Seit 1967 arbeitet er für die SZ; von 1971 bis 2010 war er außerdem auch für die Zeit tätig. Bei den Hamburger Kollegen begann er auf Empfehlung des aus dem Südtiroler Glurns stammenden, sehr bedeutenden Zeichners Paul Flora. Den Südtiroler Flora, der 2009 knapp 87-jährig starb, und Murschetz verband vieles. Flora war ein Meister des fröhlichen Unheimlichen; Murschetz wiederum kann fröhliche Dinge zeichnen, die einem dann aber auf den dritten Blick unheimlich werden. Auch Murschetz stammt wie Flora aus der österreichischen Peripherie, allerdings nicht aus Südtirol, sondern aus der Untersteiermark. Obwohl Murschetz seit sehr langer Zeit in München wohnt, ist ihm ein sanftes randalpenländisches Timbre in der Stimme geblieben, so als ob Schwabing auch ein Stadtteil von Graz sein könnte. Wer Murschetz nicht kennt und ihn nur hört, der weiß, dass er aus dem Süden Mitteleuropas kommt, aus Gegenden, die näher an der Adria als an Berlin liegen und in denen man draußen sitzt, auch wenn es manchmal zu kalt dafür ist. In Schwabing ist das Draußensitzen eine Geisteshaltung.

Natürlich ist Murschetz nicht nur ein Karikaturist, auch wenn es oft durchaus mühevoll ist, ein guter Karikaturist zu sein. Mehr noch, es ist harte Arbeit. In seinen Hochzeiten "malte" Murschetz pro Woche drei oder vier Zeichnungen für die Zeit und eine für die SZ. Daneben machte er Bücher, jede Menge. Sein berühmtestes, ein sogenanntes Kinderbuch, ist wohl "Der Maulwurf Grabowski", der schon 1972 bei Diogenes erschien und in viele Sprachen übersetzt wurde, auch wenn die Zeichnungen selbst ja glücklicherweise nicht übersetzt werden müssen. Dem Maulwurf folgten etliche andere Bücher, manchmal über Tiere wie den Hamster Radel oder den Karpfen Kilobald, manchmal über Phänomene wie Helmut Kohl oder Die Drei Tenöre. Wie das bei Künstlern so ist, hatte Murschetz auch viele Ausstellungen in Deutschland und Österreich.

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"Märchenstunde" - gezeichnet von Luis Murschetz, erschienen in der SZ vom 24./25. Oktober 2015.

Es gibt nicht mehr sehr viele Karikaturen in deutschen Zeitungen. Zwar haben vor Jahresfrist fast alle behauptet, sie seien Charlie Hebdo, was aber nicht zur Folge hatte, dass man in überregionalen und regionalen Blättern nun auch wieder mehr Karikaturen gedruckt hätte. Das hat auch damit zu tun, dass die politische Karikatur, wenn sie nicht brutal dreinschlägt, vielen als altväterlich gilt, als "so 20. Jahrhundert". In Frankfurt, Hamburg und anderswo haben sich die modernen wie die altväterlichen Kollegen mehr oder weniger von diesem Genre verabschiedet, was ihr gutes Recht ist, was man aber nicht unbedingt nachmachen muss.

Luis Murschetz gehört zu jenen, die jede Woche beweisen, dass die Karikatur weniger davon abhängt, in welchem Jahr oder Jahrhundert man lebt, als vielmehr davon, wer sie zeichnet. Und dass Murschetz auch mit diesem 21. Jahrhundert gut zusammenpasst, beweist er jede Woche in der SZ.

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