Zum Ende des Kernkraft-Moratoriums:Was Deutschland aus dem Atomausstieg lernen kann

Es war ein Schnellschuss - als Reaktion auf Fukushima, eine Hauruck-Maßnahme zur Besänftigung der Kernkraftgegner: Das Moratorium für die ältesten deutschen Atommeiler, das Kanzlerin Merkel im März erließ, endet an diesem Mittwoch. Was als Übergangsphase gedacht war, wurde zur Zeit der großen Entscheidungen. Vier Lehren aus dem Atommoratorium.

Michael König

[] Und die Politik bewegt sich doch.

Atomausstieg Notausgang Illustration

Drei Monate Stillstand, viel Erkenntnisgewinn: Die Bundesregierung kann aus dem Atommoratorium Lehren ziehen. Wenn sie will.

(Foto: sueddeutsche.de)

Im Mai 2010, als das Atomkraftwerk Fukushima-Daiichi hierzulande allenfalls Japan-Kennern und Hellsehern ein Begriff war, hieß die deutsche Kanzlerin in vielen Kommentarspalten noch "Tina". Der Name leitete sich ab aus der englischen Wendung there is no alternative, die bei der Verteilung von Milliardenpaketen an die marode Finanzwirtschaft eine wichtige Rolle spielte. "Alternativlos", seien diese Maßnahmen, sagte Angela "Tina" Merkel.

Ähnlich argumentierte die Regierung auch bei der Kernkraft: "Die brauchen wir", sagte sie, und beschloss im September mit der Mehrheit der schwarz-gelben Koalition eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Dass Zehntausende dagegen auf die Straße gingen, war für den Moment egal. Die Politik dürfe sich nicht an der flüchtigen öffentlichen Meinung orientieren, hieß es damals.

"Alternativlos" wurde im Januar 2011 zum Unwort des Jahres gewählt. Ein böses Omen? Kurz darauf schmolz der Reaktorkern in Fukushima - und Angela Merkel legte ihren Beinamen "Tina" ab. "Das war's", soll sie im Kreise ihrer engsten Mitarbeiter gesagt haben, als sie die Bilder aus Japan sah. Ein simpler Satz läutete das Ende der Atomkraft in Deutschland ein. Angela Merkel hatte sich entschieden - zu einem Sinneswandel, den die Opposition als Kehrtwende verstand. Der jedoch auch als Zeichen dafür gesehen werden kann, dass politische Positionen sehr wohl verändert werden dürfen. Auch drastisch.

Die Außendarstellung erwies sich jedoch anfangs als schwierig - wie etwa Merkels Auftritt kurz nach der Fukushima-Katastrophe bewies: "An so einem Tag darf man sicher nicht sagen, unsere Kernkraftwerke sind sicher. (Pause) Sie sind sicher." Mit fortschreitender Dauer des Moratoriums aber lernten die schwarz-gelben Koalitionäre damit umzugehen, dass ihre Urteile über die Kernkraft in Vorher-nachher-Vergleichen ziemlich weit auseinanderklafften.

Der CSU, deren Chef Horst Seehofer ohnehin als Oszillator zwischen den Meinungen bekannt ist, fiel das deutlich leichter als etwa der FDP, die bis zuletzt versuchte, ein konkretes Ausstiegsdatum abzuwenden. Merkel wiederum sagte jüngst im Bundestag: "So sehr ich mich im Herbst letzten Jahres für die Verlängerung der Laufzeiten eingesetzt habe, so unmissverständlich stelle ich heute fest: Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert."

Die Kehrtwende war damit perfekt, der Atomausstieg bis zum Jahr 2022 wird kommen. Aus "Tina" (There is no alternative) wurde "Ikea" (Ich kenne eine Alternative), wie die Frankfurter Rundschau schrieb. Die schwarz-gelbe Regierung hat sich letztlich doch an der öffentlichen Meinung orientiert. Kritiker sagen: Weil sie nicht anders konnte.

[] Wer nicht diskutiert, verliert.

Die Chronisten des Jahres 2011 könnten eigentlich schon aufhören mit ihrer Arbeit - in den vergangenen drei Monaten ist so viel passiert, dass man damit mehrere Jahrbücher füllen könnte. Der konservative Hoffnungsträger Nummer eins wurde als Plagiator enttarnt und beendete - zumindest vorerst - seine politische Karriere. Baden-Württemberg bekam nach gefühlten 150 Jahren CDU-Regierung einen grünen Ministerpräsidenten. Und die schwarz-gelbe Bundesregierung kam zu der offiziellen Erkenntnis, dass der rot-grüne Atomausstieg aus dem Jahr 2000 eine gute Sache war.

Für jemanden, der drei Monate oder länger im Koma lag, müssen diese Dinge verrückt klingen. Dennoch lässt sich daraus eine Lehre ziehen: Wer nicht diskutiert, verliert.

Der Versuch Karl-Theodor zu Guttenbergs, die Copy-&-Paste-Affäre erst zu ignorieren, dann vom Tisch zu wischen, beschädigte ihn rückblickend vielleicht mehr, als es die Plagiatsvorwürfe an sich getan hätten. Anfang März musste er seinen Posten als Verteidigungsminister räumen. Einige Tage später kassierte der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus eine deutliche Pleite bei der Landtagswahl, weil er im Konflikt um Stuttgart 21 einen Politikstil gepflegt hatte, der seine Kritiker an die Rambo-Filme erinnerte. Mappus' Einsicht, mehr Sachlichkeit walten zu lassen und Heiner Geißler zum Streitschlichter zu machen, kam zu spät - nun regiert in Winfried Kretschmann ein Grüner das Ländle.

Der Gassenhauer der Bürgerlichen

Und schließlich der Atomausstieg: Schon im September 2010, als Schwarz-Gelb ein Wahlversprechen einlöste und die Laufzeit der AKW verlängerte, sprachen sich in verschiedenen Meinungsumfragen etwa die Hälfte der Bundesbürger gegen die Kernkraft aus. Die Regierung ignorierte diese Zahlen, auch über die Demonstrationen ging sie hinweg. Stattdessen schloss sie geheime Deals mit den Energiekonzernen, die den Widerstand noch anfachten.

Auch nach Fukushima-1 und der Kehrtwende in Sachen Energiepolitik versuchte Schwarz-Gelb mit so einer Absprache, die Branche zu besänftigen: Wie sich erst später herausstellte, wollte die Regierung den Konzernen erlauben, die Reststrommengen der stillgelegten Meiler auf die noch laufenden zu übertragen.

Dagegen liefen nun die - offensichtlich nicht eingeweihten - Ministerpräsidenten Sturm. Auch aus CDU-geführten Ländern kam Kritik an der Regelung, die Experten zufolge ein gleichzeitiges Abschalten vieler AKW in den Jahren 2021/22 bedeutet - und damit womöglich die Versorgungssicherheit gefährdet und den Ausbau der erneuerbaren Energien gebremst hätte.

Schließlich kassierte Merkel den Deal wieder ein und entschied sich für eine stufenweise Abschaltung, wie sie schon im rot-grünen Ausstieg von 2000 vorgesehen war. Ein überparteilicher Konsens scheint damit möglich zu sein. "Wir sind gesprächsbereit", sagte Bärbel Höhn, Fraktionsvize der Grünen im Bundestag. Umweltminister Norbert Röttgen entgegnete: "Wir wir machen gerne einen Termin. Aber wir sind keine Verhandlungspartner."

Ob die CDU die Lehre der vergangenen drei Monate verstanden hat, ist nicht so sicher.

[] Es geht auch ohne.

Das Hohelied der Versorgungssicherheit war jahrzehntelang ein Gassenhauer im bürgerlichen Lager aus Union und FDP. Zu den bekanntesten Sängern galt - im Kanon mit den großen Energieerzeugern - der hessische Ministerpräsident Roland Koch. Der Refrain klang 2007 so: "Wenn wir so weitermachen, haben wir am Ende nicht nur Zehntausende Arbeitsplätze verloren, sondern wir werden auch von anderen völlig abhängig sein und teureren Strom haben als unsere Nachbarn. Und an unseren Grenzen Kraftwerke, über deren Sicherheit wir nicht mehr kompetent diskutieren können."

Andere Kernkraftbefürworter stimmten mit ein: "Ohne längere Laufzeiten ist die klimafreundliche Energieversorgung in Süddeutschland nicht zu gewährleisten", sagte der bayerische Umweltminister Markus Söder im Januar 2010. Rainer Brüderle, damals noch Wirtschaftsminister, erklärte: "Wir brauchen die Kernkraft als Brückentechnologie, und diese Brücke muss lang genug sein."

Die Brücke wurde dann sehr schnell sehr kurz, und passiert ist: nichts. Aufgrund des Moratoriums der Bundesregierung gingen im März binnen weniger Tage die sieben ältesten Atommeiler vom Netz. Mitte Mai waren wegen Wartungsarbeiten sogar 13 der 17 deutschen Kernkraftwerksblöcke abgeschaltet. Etwa zwei Drittel der Atomstromkapazitäten waren nicht verfügbar.

Dennoch wurden in Deutschland nirgendwo Stromausfälle gemeldet, und auch der Strompreis blieb stabil. Stromimporte und -exporte hielten sich nach Angaben der Bundesnetzagentur die Waage. Das Moratorium entlarvte die Vorhersagen konservativer Politiker und Energieversorger als Schauermärchen.

Rotwein bis zur Einigung

Der Streit um die Deutungshoheit ist damit allerdings noch nicht beendet. "Verbraucher werden mehr zahlen", warnte RWE-Chef Jürgen Großmann jüngst wieder in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Viele wissenschaftliche Studien versprechen hingegen nur eine kurzfristige Preissteigerung - und auf lange Sicht sogar eine Senkung der Kosten. Vorausgesetzt, die Energie werde in Zukunft effizienter genutzt.

Sicher ist bis dato nur eines: Während des Moratoriums ging es auch ohne Atomkraft.

[] Die Macht der Konzerne ist weg.

Als es ernst wurde im Juni 2000, als nur noch einige wenige, aber wesentliche Details fehlten, da entwickelte ein Berater von Gerhard Schröder einen Plan: "Zur Not lässt der Kanzler Rotwein nachschenken, bis die Einigung da ist."

Ob es dann tatsächlich einen edlen Tropfen gab, als in der Nacht zum Donnerstag, dem 15. Juni 2000, der Kanzler samt Umweltminister Jürgen Trittin und Wirtschaftsminister Werner Müller mit den Bossen der Stromkonzerne zusammensaß, ist nicht bekannt. Wohl aber, dass Trittin entscheiden durfte, welches Berliner Restaurant das Essen liefern durfte. Um 1:02 Uhr nachts verkündete Schröder schließlich: "Wir glauben, eine Lösung gefunden zu haben, die der Gesellschaft dient." Den deutschen AKW wurde eine Gesamtstrommenge zugebilligt, die 32 Jahren Laufzeit - von Beginn ihres kommerziellen Betriebs an - entsprach. Der Atomausstieg war beschlossen.

Die Grünen hatten auf weniger gepocht, doch Schröder setzte sich durch. Die Konzerne zeigten sich zufrieden. Der damalige RWE-Chef, Dietmar Kuhnt, gab sich feierlich: "Die Kernenergie ist jetzt nicht mehr strittig in dieser Republik." Dann forderte er die CDU zu einer Zustimmung zum Ausstieg auf.

Zehn Jahre später verhandelten die Energieversorger direkt mit der Union - es ging um den Ausstieg aus dem Ausstieg. Und diesmal gaben - zumindest aus Sicht der Opposition - die Konzerne den Ton an. Im Herbst 2010 wurde die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerk beschlossen.

Weniger als ein halbes Jahr später trafen sich die Partner wieder - und der Kontrast zu früheren Verhandlungen konnte größer nicht sein. Statt Rotwein und feinem Essen gab es klare Ansagen von Angela Merkel. Die Energieversorger durften allenfalls ihre Position vortragen, aber als Verhandlungspartner auf Augenhöhe traten sie nie in Erscheinung.

In seiner Not nutzte Eon-Chef Johannes Teyssen seinen Auftritt bei der Ethikkommission unter der Leitung des Merkel-Abgesandten Klaus Töpfer zu einer Abrechnung mit der schwarz-gelben Politik. Andere Konzernbosse meldeten sich in Interviews zu Wort. An eine gesellige Runde im Kanzleramt war diesmal nicht zu denken. Merkel hält sich fern von denen, die in der öffentlichen Meinung als Schuldige dastehen - und die wohl als Verlierer aus der Debatte um den Atomausstieg hervorgehen.

Dass sie vor Gericht ziehen wollen, etwa gegen die Beibehaltung der Brennelementesteuer, erscheint da wie ein Rückzugsgefecht. Die Macht der Konzerne hat sich verflüchtigt, auch das ist eine Lehre aus dem Moratorium.

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