Zukunft der Bundeswehr:Fünf Themen gehören ins Zentrum des Weißbuchs

Bundesverteidigungsministerin von der Leyen im Irak

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen begrüßt im Irak Peschmerga-Kämpferinnen, die von Bundeswehr-Soldaten an deutschen Waffen ausgebildet werden.

(Foto: dpa)

Welche Rolle sollen deutsche Soldaten und Panzer künftig für die Außenpolitik und in Krisen spielen? Das soll ein neues Weißbuch der Bundeswehr beantworten. Was darin stehen muss - und wie Fehler vermieden werden.

Gastbeitrag von Christian Mölling

Seit 2014 diskutiert Deutschland über neue Macht und neue Verantwortung in der Außenpolitik. Gleichzeitig hat sich das Umfeld der Bundesrepublik in einen Krisenbogen verwandelt, der mittlerweile vom Baltikum über den Nahen Osten bis zum Maghreb reicht.

Welche Rolle deutsche Soldaten, Hubschrauber und Panzer für die Außenpolitik und in Krisen spielen sollen, das möchte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen mit einem Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr beantworten.

Zur Person

Dr. Christian Mölling, 42, forscht als Politologe an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Er berät Bundestag und Bundesregierung zu deutscher und europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Leider glänzten die letzten Verteidigungsweißbücher vor allem durch die Rechtfertigung des eigenen Handelns, die Verkündung amtlicher Wahrheiten über die Gefahren für Deutschland in der Welt, und die Begründung eines noch ambitionierteren Zukunftsprogramms.

Klare politische Aussagen suchte man in den Büchern vergebens. Damit der Ministerin dieses Mal ein größerer Wurf gelingt, muss sie Mut beim Verfahren und Realismus bei den Themen beweisen.

Mut braucht es, um eingetretene Pfade zu verlassen: In der Vergangenheit haben Bedenkenträger in den Ministerien jede inhaltliche Schärfe weggefeilt. Dieses Mal soll die Öffentlichkeit bei der Erstellung des Weißbuchs eine bedeutende Rolle spielen. Dafür müssten die ministeriellen Schreiber ihre Stuben verlassen und in Universitäten und Gemeindehäusern für ihre Ideen werben, Kritik und Lob aufnehmen und gute Vorschläge aus Industrie und Friedensbewegung ins Buch einfließen lassen.

Fähigkeiten der Bundeswehr sind entscheidend

Alles wird jedoch im Frust enden, wenn das Ministerium erst hochrangig besetzte Expertentreffen ansetzt, der eigentliche Schreibprozess aber in gewohnter ministerieller Routine und Abgeschlossenheit in der Stauffenbergstraße stattfindet.

Realismus braucht es, um sich mit den relevanten Themen zu beschäftigen. Dafür muss die Ministerin mit der traditionellen Herangehensweise an solche Werke brechen. In der Realität entscheiden sich die Möglichkeiten der Verteidigungspolitik an den tatsächlich vorhandenen Fähigkeiten der Bundeswehr und nicht an den äußeren Gefahren. Nicht die steigende Unsicherheit der Seewege, sondern die Zahl der jetzt und in Zukunft vorhandenen Fregatten bestimmt den deutschen Beitrag zu deren Sicherung.

Ja, die Außenwelt mit ihren Krisen begründet die Notwendigkeit von Streitkräften grundsätzlich. Doch das heutige Weltgeschehen verrät nichts Genaues darüber, worauf sich Verteidigungspolitik in Zukunft einzustellen hat. Die letzten zwanzig Jahre Konfliktgeschichte vom Balkan bis zum Hindukusch und zurück nach Osteuropa lassen nur zwei sehr allgemeine Schlüsse zu.

Erstens: Die Welt ist weiter im Umbruch, und dieser Wandel verläuft immer wieder gewalttätig. Zweitens: Das strategische Umfeld ist noch weniger berechenbar und die möglichen Folgen eigenen Handelns sind noch schwerer vorherzusehen.

Gefahr von Fehlentscheidungen

Die Gewalt in Libyen und Syrien konnte niemand vorhersagen. Und die heute akuten Konflikte werden ihr Gesicht schon wieder verändert haben, wenn das Weißbuch 2016 erscheint. Wer versucht, jetzt mit großen Richtungsentscheidungen auf Phänomene wie IS und Ukrainekrise zu reagieren, trifft womöglich große Fehlentscheidungen.

Es braucht also strategischen Realismus, nicht Wolkenschieberei: Das, was die Bundeswehr zur internationalen Sicherheit heute und in zehn Jahren beitragen kann, hängt davon ab, wie sie die inneren Herausforderungen meistert. Fünf entscheidende Themen gehören ins Zentrum des Weißbuchprozesses.

  • Demografie: Menschen sind die wichtigste Ressource einer Armee. Mit dem Ende der Wehrpflicht hat die Bundeswehr große Probleme, Personal zu gewinnen und zu halten. Was kann sie der nächsten Soldatengeneration bieten? Wie viel Geld, wie viel Sicherheit und wie viel Anerkennung? Wie müsste sich die Bundeswehr selbst verändern?
  • Rüstung: Ihre Ausrüstung hat die Bundeswehr schlecht gewartet und kann sie deshalb nicht einsetzen; neues Material wird zu spät von der Rüstungsindustrie geliefert. Die Industrie selbst steht vor dramatischen Umbrüchen. Sie muss entweder schrumpfen oder noch mehr exportieren, um überleben zu können. Gleichzeitig aber lehnt die Bevölkerung mehrheitlich Rüstungsexporte ab. In diesem Chaos sollte das Weißbuch Anlass für die Minister für Verteidigung, Auswärtiges und Wirtschaft sein, einen nationalen Konsens zur Rüstungspolitik zu formulieren.
  • Bündnisse und Partner: Das Weißbuch bietet der Regierung die Gelegenheit, sich ehrlich zu machen gegenüber Bevölkerung und Parlament: Deutschland kann seine innere und äußere Sicherheit nicht allein gewährleisten. Nur mit Partnern in EU und Nato lässt sich die notwendige Bandbreite militärischer Mittel vorhalten und ein Einsatz auch über längere Zeit durchhalten. Gegenseitige Abhängigkeit ist also der Normalzustand in der europäischen Sicherheitspolitik. Souveränität haben wir noch bei der Wahl der Partner europäischer Arbeitsteilung. Eine Debatte über die Folgen dieser Lage im für die gemeinsame Verteidigung wichtigsten Land Europas wird für unsere Partner und für die Zukunft der europäischen Verteidigung die Zukunft weisen.
  • Militär als Mittel der Außenpolitik: Der Afghanistaneinsatz steht für die Erfahrung, dass sich Kriegsformen verändern. Eindeutige Siege verschwinden. Beides stellt die bisherige Praxis militärischer Interventionen infrage. Gleichzeitig hat die Ukrainekrise die Debatte über die präventive Wirkung von Militär wieder auf den Tisch gebracht. Dies zwingt dazu, die Rolle des Militärs neu zu bestimmen: unter welchen Bedingungen ist der Einsatz von Soldaten geboten?
  • Ressourcen: Die Summe, die notwendig ist, um die derzeitigen militärischen Mittel aufrechtzuerhalten, dürfte politisch derzeit nicht durchsetzbar sein. Das Weißbuch sollte also nicht zusätzliche oder auch nur gleichbleibende Handlungsoptionen ankündigen, sondern entweder eine solide Finanzierung der derzeitigen militärischen Kapazitäten oder Prioritäten für den Abbau von Kapazitäten und weitergehende Arbeitsteilung in Europa vorlegen.

An diesem Dienstag beginnt die Vorbereitung des neuen Weißbuchs mit einer ministeriellen Auftaktveranstaltung in Berlin. Die Ministerin wird von den Expertengesprächen sicher profitieren können. Allein, wenn in den kommenden Monaten die "inneren Faktoren" Demografie, Rüstung, Partnerschaften und Legitimation nicht nach Gebühr öffentlich erörtert würden, fehlte dem Weißbuch die Substanz.

Mitautor des Beitrages ist Hilmar Linnenkamp von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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