Zukünftiger Bundespräsident als Buchautor:Freiheit, wie Gauck sie versteht

Joachim Gauck bleibt in seinem neuen Buch inhaltlich vage: Mit der Freiheit des Menschen gehe die ethische Pflicht einher, Verantwortung zu übernehmen, lautet der Tenor. Seine Einsicht hat er mit Sätzen ausgeschmückt, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob er als der Präsident mit der schönsten Sprache in die Geschichte eingehen wird.

Franziska Augstein

Joachim Gauck sei der Bundespräsident der Herzen: So urteilen fast alle deutschen Medien. Die Begeisterung für Gauck macht es zu einer etwas heiklen Sache, ihn zu kritisieren. Wer das tut, gerät in den Ruch, ein alter SEDist, ein Dummerjan oder ein Anhänger der Linkspartei zu sein, die ja trotz ihrer westdeutschen Anhänger als überkommener SED-Verein verschrien ist. Kritik an Gauck kann bis auf weiteres nur von ihm selbst erfolgreich initiiert werden. Mit seinem jüngsten Buch hat er das getan. "Freiheit" heißt die Schrift, die Druckfassung einer Rede, die Gauck Anfang 2011 an der Evangelischen Akademie Tutzing gehalten hat (Kösel Verlag, 62 S., 10 Euro).

Fast überall wird Gauck gepriesen, aber in seiner Heimatstadt Rostock hält sich die Euphorie in Grenzen. Das Morgenmagazin von ARD und ZDF hat am Dienstag darüber berichtet. Die Redakteure haben das bizarre Phänomen indes schnell wegerklärt: Zu DDR-Zeiten war Rostock verwaltungstechnisch eine Bezirksstadt, ergo müssten dort heute noch viele alte SEDisten leben. Man wüsste gern, ob die alte Dame sich damit richtig beschrieben findet, die dem Fernsehreporter lediglich ins Mikrofon gesagt hatte, dass Joachim Gauck für ihren Geschmack zu belehrend-pastoral auftrete.

Anders als Angela Merkel, die sich nolens volens dazu bekennt, dass sie FDJ-Sekretärin war, weil sie sonst nicht hätte Physik studieren können, hat Joachim Gauck sich über sein Tun in der DDR nicht öffentlich verbreitet. Er preist seit dem Oktober 1989 "die Freiheit". Seine jüngste Publikation ist diesbezüglich genauso allgemein gehalten wie seine bisherigen. Über seine Tätigkeit als "Dissident" hat er wenig zu erzählen. Im Westen denkt man, der neue Bundespräsident sei "ein Bürgerrechtler".

Joachim Gauck ist ein ehrlicher Mann und dazu ein Pastor, der seiner Gemeinde gern vor Augen hält, wie man sich verhalten soll. Wenn er verabsäumt, von seinen vorbildlichen Erfahrungen als Dissident zu erzählen, dann mag das damit zu tun haben, dass er solche Erfahrungen nicht gemacht hat und sich seinen Ruf als Bürgerrechtler nicht kaputtmachen will.

Auf der Bühne der DDR kam er nicht vor", sagt der westdeutsche Journalist Gerhard Rein der Süddeutschen Zeitung. Rein hat seine Erlebnisse als DDR-Korrespondent in zwei Büchern aufgeschrieben: "Die Opposition in der DDR" und "Die protestantische Revolution". Anlässlich des Kirchentags in Rostock 1988 wurde Rein auf Gauck aufmerksam. Er erinnert sich, dass dieser damals gesagt habe, die gute Außenpolitik der DDR müsse sich nun auch im Inneren bewähren.

So vorsichtig-kritisch sprachen damals viele. Gauck ist vermutlich gut beraten, die Freiheit allgemein zu preisen und sich als Bürgerrechtler nicht in den Vordergrund zu drängen. Ganz in diesem Sinn lautet die Generalthese seines Buches so: Mit der Freiheit des Menschen gehe die ethische Pflicht einher, Verantwortung zu übernehmen. Nur er, nur der vielgelobte Redner, kann sich erlauben, diese ebenso wahre wie bestürzend banale Erkenntnis bedeutungsschwer zu verkünden.

Seine Einsicht hat er mit Sätzen ausgeschmückt, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob er als der Präsident mit der "schönsten Sprache" (FAZ) in die Geschichte eingehen wird. Es geht ihm um "die Bereitschaft, Ja zu sagen zu den vorfindlichen Möglichkeiten der Gestaltung und Mitgestaltung". "Schritt für Schritt können wir hineingezogen werden in eine Lebensform von Ermächtigung." Gauck meint "Selbstermächtigung", er weiß offenbar nicht, dass er das Wort "Ermächtigung" falsch verwendet. Es beschreibt die Abtretung von Vorrechten an andere. Siehe zum Beispiel das "Ermächtigungsgesetz" von 1933, mit dem das deutsche Parlament sich selbst entmachtete.

Wenn Gauck sich an Faktenaussagen wagt, kommt theoretische Unschärfe auf. Biologen werden ihm erklären können, warum, anders als er denkt, der Mensch nicht das einzige "Geschöpf auf Erden" ist, das "für sich selbst" und für "das Du neben uns" Verantwortung übernimmt. Und Geschichtsschüler könnten ihm mitteilen, dass er mit seiner Ansicht im Irrtum ist, eine 'Lehre' von der Revolution" habe sich 1789 erst entwickelt, nachdem die Franzosen spontan "auf die Straße" gingen. Der Abbé Sieyès hat seine berühmte Schrift "Was ist der Dritte Stand?" vor Ausbruch der Französischen Revolution veröffentlicht.

Gauck will nun aber nicht mit wissenschaftlichen Ansichten punkten. Er will seine Meinungen vertreten. Die Entspannungspolitik der 70er und 80er Jahre hält er für feige "Appeasementpolitik". Und Europa hält er für "den besten Ort der Welt". Auf seine Reisen ins ferne Ausland darf man gespannt sein.

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