Zu Unrecht verurteilter Demonstrant:Erst der Zufall bringt den Freispruch

Polizisten beschuldigen einen Linken, auf einer Demo vermummt gewesen zu sein. Bei der Festnahme erhält er einen Schlag ins Gesicht. Erst ein Foto im Internet belegt seine Unschuld - und wirft ein schlechtes Licht auf die Staatsgewalt.

Hans Holzhaider

Wenn drei Polizisten bezeugen, sie hätten einen Demonstranten festgenommen, weil dieser sich gesetzeswidrig vermummt habe, der Mann habe sich darüber hinaus mit gezielten Fußtritten gegen die Beine eines der Beamten zur Wehr gesetzt, weshalb man ihn mit einem Faustschlag habe zur Räson bringen müssen - dann hat der Angeklagte in der Regel keine Chance.

Zu Unrecht verurteilter Demonstrant: Dieses Foto widerlegte die Aussage eines Beamten, Felix K. sei vermummt gewesen.

Dieses Foto widerlegte die Aussage eines Beamten, Felix K. sei vermummt gewesen.

(Foto: Foto: oh)

Er kann beteuern, so viel er will, er sei gar nicht vermummt gewesen, er kann auf seine ärztlich festgestellten Verletzungen verweisen, die mit einem einzigen Faustschlag nur schwer in Einklang zu bringen sind - gegen die Aussagen von drei Polizisten ist vor Gericht kein Kraut gewachsen. Felix K., mittlerweile 20 Jahre alt, hat das erleben müssen, und es hat sein, zugegebenerweise schon vorher nicht sehr ausgeprägtes Vertrauen in die Obrigkeit und den Rechtsstaat nicht eben gefördert.

Die Geschichte beginnt am 2. Oktober 2004, einem Samstag. Für diesen Tag hatten verschiedene Berliner Gewerkschaftsverbände, aber auch die Globalisierungsgegner von Attac und die PDS zu einer Demonstration gegen das Hartz-IV-Gesetz aufgerufen. 45.000 Menschen zogen vom Alexanderplatz aus durch die Friedrichstraße und Unter den Linden. "Wir sind das verarschte Volk", stand auf einigen der Transparente.

Felix K. war auch dabei. Er war damals 17, aber er hatte schon reichlich Erfahrung mit der Polizei gesammelt. Felix K. ist zwar ein Linker, und durch die Bezeichnung "Anarchist" würde er sich nicht beleidigt fühlen, aber er ist ganz entschieden nicht gewalttätig. An jenem Samstag in Berlin trug Felix K. eine Baseballmütze und eine Sonnenbrille, und vorsichtshalber hatte er einen Beamten vom Antikonfliktteam der Polizei gefragt, ob das mit der Sonnenbrille in Ordnung sei. "Kein Problem", hatte der geantwortet.

Die Stiefelsohle am Hals

Felix war mit einem Freund unterwegs, sie liefen von vorne nach hinten und wieder nach vorne. Vor dem VW-Haus an Unter den Linden stockte der Demonstrationszug etwas, kein Wunder, denn VW war bei einer Hartz-IV-Demonstration nicht irgendeine Firma. Aus den hinteren Reihen flogen ein paar Farbeier gegen die Fassade.

Dann kamen zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei um die Ecke. "Ich stand auf einmal in der ersten Reihe", sagt Felix K., "und wir haben eine Kette gebildet, damit die nicht in die Demo reinlaufen, da waren viele ältere Leute vom DGB. Und plötzlich krieg' ich einen Schlag von oben auf die Nase." Er ging zu Boden, ein paar Sekunden lang war ihm schwarz vor Augen, er spürte eine Stiefelsohle auf dem Hals, dann wurde er rechts und links unter den Armen gepackt und im Polizeigriff abgeführt.

Er blutete heftig, die Oberlippe war aufgeplatzt, die Augen schwollen zu. Er wurde in einen Gefängniswagen gebracht, dort saß er ein paar Stunden, dann wurde er auf der Hauptwache erkennungsdienstlich behandelt und von zwei Beamten vom Staatsschutz vernommen, danach durfte er nach Hause gehen.

Am 5. Januar 2006 - mehr als ein Jahr später - wurde Felix K. vom Amtsgericht Tiergarten zu sechs Tagen Dauerarrest verurteilt. Der Polizeimeister A. hatte bezeugt, dass Felix sich mit Kapuze, Sonnenbrille und einem bis über die Nase gezogenen Halsschlauch vermummt hatte. Von den Faustschlägen seiner Kollegen habe er nichts mitbekommen, bekundete A., weil er damit beschäftigt gewesen sei, die Festnahme gegen die anderen Demonstranten abzusichern.

Der Polizeiobermeister G. gab an, er habe gesehen, wie Felix seinen Kollegen K. gezielt gegen die Schienbeine getreten habe. Kollege K. konnte das nicht mehr bestätigen, Schmerzen habe er jedenfalls nicht gespürt, gab er an. Um "den Widerstand zu brechen", habe er dem Angeklagten einen Faustschlag ins Gesicht versetzt, sagte G. Die Staatsanwältin beantragte zwei Tage Arrest, aber der Amtsrichter Stephan Bortels hielt eine "eindringliche Warnung vor künftigen Straftaten" für erforderlich und verhängte sechs Tage.

Erst der Zufall bringt den Freispruch

Er wisse Bescheid mit Angeklagten wie Felix K., sagte Richter Bortels, er habe schließlich auch schon Ulrich Schmücker verurteilen dürfen. Das war vor 34 Jahren; der später von seinen eigenen Komplizen ermordete Student Ulrich Schmücker wurde damals wegen Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Amtsrichter Bortels war beisitzender Richter in diesem Prozess; es war ganz offensichtlich ein prägendes Erlebnis.

Felix war empört und seine Mutter war es auch. Sie hatte gesehen, in welchem Zustand ihr Sohn nach Hause gekommen war, das verschwollene Gesicht, die Abschürfungen von der Stiefelsohle auf dem Hals. Gemeinsam durchforsteten sie das Internet nach Fotos von der Demonstration. Es war ein Zufallsfund,ein kaum glaublicher Glückstreffer: Da war tatsächlich ein Foto.

Drei Polizisten mit heruntergelassenem Visier, dazwischen ein schwarz gekleideter junger Mann, halb auf den Knien, von zwei Seiten im Polizeigriff festgehalten. Es war Felix, da gab es keinen Zweifel. Die Haartracht war unverwechselbar, aber von Vermummung war nichts zu sehen. Es war exakt der Moment des ersten Zugriffs.

Die Berufungsverhandlung vor dem Berliner Landgericht fand am 2. Mai 2006 statt. Als erster Zeuge wurde der Polizist K. vernommen, der aussagte, was er schon in der ersten Verhandlung ausgesagt hatte, bis ihm der Vorsitzende Richter Peter Marhofer das Foto vorlegte. Wo denn da nun die Vermummung sei, fragte er.

Der Beamte kapitulierte sofort: Das sei dann wohl doch ein Irrtum gewesen mit der Vermummung. Auch die Aussage des Kollegen A., er habe nichts gesehen, weil er mit dem Rücken zu den anderen gestanden habe, war widerlegt: Auf dem Foto steht der Polizeimeister A. direkt hinter Felix mit dem Gesicht zu ihm. "Die Kammer hat die Beweisaufnahme in dieser Situation abgebrochen", schrieb Marhofer in die Urteilsbegründung, "weil es ausgeschlossen erschien, noch zu einer Überzeugungsbildung im Sinne der Anklageschrift zu gelangen." Der Angeklagte war "wegen erwiesener Unschuld freizusprechen".

Verfahren eingestellt

Aber die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Von Rechts wegen hätte der Staatsanwalt nun gegen die drei Polizeibeamten ermitteln müssen - wegen Falschaussage und wegen Körperverletzung im Amt. Als nichts dergleichen geschah, erstattete Felix K. Strafanzeige. Ein weiteres Jahr ging ins Land, dann stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren ein. Vielleicht sei Felix K. ja doch vermummt gewesen, argumentiert der Staatsanwalt Anselmann. Andere seien ja auch vermummt gewesen, warum also nicht auch er?

Das Foto sei aus einer Perspektive aufgenommen, "die zu Missverständnissen herausfordert". Und die Aussage des Beamten K.? Der sei "offensichtlich durch das Foto verwirrt" gewesen. Mangels Wortprotokoll "bleibt daher im Dunkel, was genau der Beschuldigte K. gesagt hat. Es liegt nur das vor, was das Landgericht Berlin als Inhalt seiner Aussage verstanden haben will".

Der ehemalige Vorsitzende Richter Peter Marhofer ist inzwischen Referatsleiter beim Berliner Innensenator. Es wird ihn interessieren, was der Staatsanwalt Anselmann von seinen dienstlichen Fähigkeiten als Richter hält.

Felix hat gerade sein Fachabitur im Sozialwesen gemacht, Gesamtnote 2,1.

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