Zerstörtes Weltkulturerbe in Mali:Wie Timbuktu seiner Geschichte beraubt wird

Islamistische Milizen und ausländische Terroristen wüten in Timbuktu Seite an Seite. Sie zerstören Kulturgüter von unschätzbarem Wert, weil sie ihrer Auffassung des Islam widersprechen. Derzeit gibt es niemanden, der sie aufhalten kann.

Arne Perras

Gräber dürfen sich nicht mehr als 15 Zentimeter über die Erde erheben. Das ist keine deutsche Bauvorschrift, sondern die Messlatte der islamistischen Eroberer von Timbuktu. 15 Zentimeter. Alles andere gilt in den Augen der neuen Herren als Gotteslästerung und muss folglich dem Erdboden gleich gemacht werden. So lauten die neuen Befehle, und sie richten zugrunde, was die Menschen dieser Stadt Jahrhunderte lang gepflegt, gehütet und in Ehren gehalten haben.

Reports: Islamist damaged historic shrines in Timbuktu

Die Heiligengräber in Timbuktu gehören zur Geschichte Malis und sind UNESCO-Welterbe.

(Foto: dpa)

"Timbuktu ist nicht mehr Timbuktu"

Niemand hält die religiösen Extremisten auf, die nun ihr strenges Maß in der "Stadt der 333 Heiligen", dem sagenhaften Timbuktu, mit Gewalt durchsetzen. Seit Freitag ziehen Dutzende von Kämpfern der Miliz Ansar Dine eine Spur der Verwüstung durch die historischen Stätten am Rande der Sahara. Sie haben weltweit Entsetzen ausgelöst, aber das scheint die Angreifer eher zu ermuntern. Die Salafisten zerschlagen Monumente, die zum Weltkulturerbe der Vereinten Nationen gehören.

Begonnen haben sie mit den Mausoleen: Ein guter Muslim verehre keine Toten, sondern nur Allah. Nun haben die Männer von Ansar Dine auch die Moschee Sida Yahia aus dem 15. Jahrhundert attackiert. Sie schlugen dort die Tür zu einem Heiligen-Grab ein, so berichteten Augenzeugen in den Medien Malis. Manche Bewohner brachen in Tränen aus, als sie den vermummten Abrisstruppen zusahen. "Timbuktu ist nicht mehr Timbuktu", rief eine verzweifelte Frau ins Telefon, als sie im Sender France 24 von den Zerstörungen berichtete.

Baba Haidara, den die SZ in der Hauptstadt Bamako kontaktierte, telefoniert jeden Tag mit Bewohnern. Der Abgeordnete für Timbuktu sagt, in der Stadt schwinde die Hoffnung. "Die Menschen sind empört, ohnmächtig, verzweifelt. Und sie warten sehnlichst darauf, dass die Regierung und die Weltgemeinschaft diese Leute endlich aus Mali verjagen."

Mit bloßen Händen gegen Kalaschnikows

Fatou Bensouda, die neue, aus Afrika stammende Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof, stuft die Taten gar als "Kriegsverbrechen" ein. Die Angreifer müssten sich dafür vor der Weltjustiz verantworten. Doch die Drohungen und Appelle verhallen in der Wüste, niemand stoppt die mit Spitzhacke und Schaufel ausziehenden Milizen.

Aufgebrachte Jugendliche in Timbuktu haben zwar angekündigt, dass sie ihre Monumente zur Not mit bloßen Händen verteidigen würden. Aber die Männer mit der schwarzen Fahne haben Kalaschnikows, und die Soldaten des malischen Staates sind schon vor Monaten geflohen. Der Norden des Landes wird beherrscht von Aufständischen.

Ansar Dine - die neue Macht in Timbuktu

Und die mächtigste der Fraktionen ist nun Ansar Dine. Diese Gruppe will ihre Stärke und ihren absoluten Herrschaftsanspruch nun öffentlich zur Schau stellen. Zum Beispiel, indem sie Gotteslästerung nach Zentimetern bemisst. Die Zahl 15 hat der Ansar-Dine-Sprecher Sanda Ould Bamana im Gespräch mit dem Sender BBC in den Raum gestellt und sich dabei auf das Gesetz der Scharia berufen.

Hinter Ansar Dine steht Aqim, der Al-Qaida-Zweig der Sahara. Beide Gruppen arbeiten eng zusammen, für Bewohner von Timbuktu ist es offenbar kaum möglich, zwischen beiden zu unterscheiden. Augenzeugen sprechen abwechselnd von Ansar Dine und Aqim, wenn sie von Zerstörungen berichten. Und immer wieder tauchen Berichte über "Ausländer" auf, die sich unter die Kämpfer gemischt haben sollen. Das gilt nicht nur für Timbuktu, sondern auch für andere Orte im von Rebellen besetzten Norden Malis.

Undurchsichtige Lage in Mali

Weil das Entführungsrisiko für Reisende sehr hoch ist, haben westliche Medien kaum eine Chance, diese Angaben durch eigene Beobachtungen zu bestätigen. Weder Zahl noch Herkunft der ausländischen Kämpfer lassen sich ermitteln. Bewohner von Timbuktu sprechen von Mauretaniern, Algeriern und Saudis, die sie gesehen haben.

Die Regierung des Nachbarlandes Niger warnt, Dschihadis aus Afghanistan und Pakistan würden den Norden Malis als Trainingslager nutzen. Und das US-Afrika-Kommando kommt zu dem Schluss, dass sich radikale Zellen auf dem Kontinent immer stärker vernetzen. Aqim in der Sahara und Boko Haram, die Terroristen aus dem Norden Nigerias, teilen sich demnach Waffen, Sprengstoff und Einnahmen.

Die nigerianischen Terroristen wollen ihren Staat nach den Gesetzen der Scharia regieren, obwohl er im Süden überwiegend von Christen bevölkert ist. Ansar Dine will den Salafismus über ganz Mali verbreiten und den moderaten Islam, der dort verwurzelt ist, verdrängen. In Nigeria trifft die Gewalt der Terroristen die staatlichen Institutionen, moderate Muslime und Christen in ihren Kirchen. Im malischen Timbuktu versuchen die Extremisten, den toleranten Sufi-Islam zu stoppen und verbieten die Verehrung von islamischen Gelehrten, die zu Heiligen erhoben wurden.

Raub der Geschichte

Aber was wird von Timbuktu und seiner schillernden Geschichte bleiben, wenn die Eroberer weiter wüten? Was heute noch in der verarmten Stadt steht, sind Zeugnisse früherer glänzender Epochen, vor allem aus dem 15. und 16. Jahrhundert, als Timbuktu als Knotenpunkt mehrerer Karawanenrouten aufblühte. Dort sammelten sich islamische Gelehrte und unterrichteten tausende Studenten. "Das Salz kommt aus dem Norden, das Gold aus dem Süden, aber das Wort Gottes und die Schätze der Weisheit sind nur in der Stadt Timbuktu zu finden." So beschreibt ein altes malisches Sprichwort den einstigen Reichtum der Stadt.

Heute künden noch Zehntausende alte Manuskripte von der großen Zeit, sie verteilen sich auf zahlreiche Bibliotheken der Stadt. Wie die Mausoleen und Moscheen zählen sie zum Weltkulturerbe. Samuel Sidibé, Direktor des Nationalmuseums in Bamako, erinnert sich daran, dass die Eroberer von Timbuktu anfangs noch zusicherten, die Manuskripte nicht anzutasten. Schließlich gehe es in den Schriften oftmals um den Koran. Aber auch Sidibé kann nicht sagen, ob die Salafisten in den Bibliotheken nicht doch noch Dinge entdecken, die ihnen ein Dorn im Auge sein könnten.

Touristen haben die Bewohner Timbuktus seit langem nicht mehr gesehen. Für die Extremisten wird es schwieriger, Ausländer zu entführen und Lösegeld zu erpressen. Wenn sie aber neue Mittel brauchen, könnten sie auf ganz andere Ideen kommen; die historischen Dokumente sind ein Vermögen wert. Und wer wollte sie aufhalten in diesen Tagen, da der Staat Mali zerfallen ist und die Bewohner von Timbuktu den Raub der eigenen Geschichte beweinen?

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