Zähes Ringen um Hartz-IV-Reform:Gegen die Wand

Hartz-IV-Verhandlungen und kein Ende: Erneut wollen sich Regierung und Opposition zu Gesprächen treffen. Doch ein Jahr nach dem Urteil des Verfassungsgerichts sind die Fronten in dem Streit so verhärtet wie nie.

Im Hartz-IV-Streit hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Bürger auf ein Scheitern der zentralen Verhandlungsrunde an diesem Dienstagabend eingestimmt. Die 4,7 Millionen betroffenen Leistungsempfänger und die 2,5 Millionen Kinder aus armen Familien müssten dann weiter auf höhere Leistungen warten. Die Chancen seien sehr schlecht, "dass wir uns kurzfristig verständigen werden", sagte Merkel in Berlin. "Ich bin leider sehr skeptisch."

Hartz IV

Fünf Euro mehr oder elf Euro mehr? Die Hartz-Reform ist zur Kraftprobe zwischen Regierung und Opposition geworden.

(Foto: dpa)

Merkel möchte sich am Abend zuerst mit CSU-Chef Horst Seehofer, dem FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle sowie weiteren Spitzenvertretern der Koalition beraten. Dann wollten Regierung und Opposition ihre Verhandlungen fortsetzen. In der Nacht zum Montag war ein Spitzengespräch nach neuneinhalb Stunden ohne Ergebnis abgebrochen worden.

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) warb noch einmal eindringlich für einen Kompromiss. "Die Opposition ist mit drei Maximalforderungen in die Verhandlungen reingegangen. Wer Erfahrung hat, weiß, dass man am Ende nicht alle Forderungen durchsetzen kann", sagte sie. Auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner verlangte, dass SPD und Grüne von ihren Maximalforderungen abrücken sollten.

Kanzlerin Merkel kritisierte, Teilen der Opposition gehe es vor allem darum, was wünschenswert sei - und nicht mehr um die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Unionsfraktions-Geschäftsführer Peter Altmaier sagte: "Wenn die SPD darauf besteht, dass der Regelsatz aus rein ideologischen Gründen steigen muss - das machen wir nicht mit."

Das klingt, als wären die Fronten verhärtet wie nie. Die Deutsche Presse-Agentur berichtet allerdings, dass SPD und Grüne bei der Hartz-IV-Verhandlungsrunde einen neuen Kompromissvorschlag vorlegen wollen. Für jedes der drei Streitthemen - Regelsatz, Mindestlohn und Bildungspaket - soll es zwei Alternativvorschläge geben. Damit wolle man den eigenen Einigungswillen demonstrieren und zugleich testen, "ob die Koalition bei den Verhandlungen nicht nur ein Spielchen treiben will", heißt es.

Auch ein weiteres Faktum spricht für eine kleine Chance auf den Kompromiss: Wie die Nachrichtenagentur Reuters aus Koalitionskreisen erfahren haben will, lud der auf Bundeseite zuständige CDU-Abgeordnete Thomas Strobl für Mittwochvormittag zu einer Sitzung des Vermittlungsausschusses ein. Dies wäre aber nur dann sinnvoll, wenn es in der Nacht auch tatsächlich zu einer Einigung käme.

Die schwarz-gelbe Koalition will den Hartz-IV-Satz um fünf, die SPD um elf Euro anheben. Das Bundesverfassungsgericht hatte am 9. Februar 2010 die Neuberechnung der Sätze verlangt. Am 20. Oktober beschloss das Kabinett eine Anhebung um fünf auf 364 Euro und mehr Bildungsförderung für Kinder von Langzeitarbeitslosen. Als sich die SPD-regierten Länder zwei Monate später im Bundesrat querstellten, war klar: Die Hartz-Reform würde zur Kraftprobe im Vermittlungsausschuss. Seither verläuft eine Kompromisssuche ohne Ergebnis, aber mit immer mehr Einzelpunkten.

Die Oppositon macht vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel für das Stocken der Reform verantwortlich. "Sie hat zugelassen, dass Vorschläge gemacht wurden, die nicht praktikabel sind", sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Die geplanten Maßnahmen der Regierung zur Förderung von Kindern seien ein "Chaosbürokratie-Vorschlag". Künast: "Nach einem Jahr Verfassungsgerichtssprechung erwarten wir jetzt, dass Frau Merkel endlich springt und einen Vorschlag auf den Tisch legt."

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel griff die Bundeskanzlerin an. "Sie führt nicht, sondern will die Verhandlungen offenbar scheitern lassen", sagte er. "Das sind keine guten Voraussetzungen für die heutigen Gespräche." Der Bundeskanzlerin sei "der kleinste gemeinsame Nenner von CDU, CSU und FDP wichtiger als eine faire Einigung im Sinne der Betroffenen". SPD-Verhandlungsführerin Manuela Schwesig forderte einen einheitliche Koalitionskurs: "Angesichts der Uneinigkeit und Zerstrittenheit auf Seiten der Koalition kann ich es nur begrüßen, dass Frau Merkel endlich Linie ins Regierungslager bringen will", sagte sie den Ruhr Nachrichten.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher, prophezeite in der Passauer Neuen Presse: "Wenn Regierung und Opposition sich nicht einigen, wird es massenhaft Klagen geben." Der Paritätische Wohlfahrtsverband riet den Betroffenen im Hamburger Abendblatt bei einem Scheitern bereits zum Gang vor Gericht.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: