Zähe Vorurteile gegen Roma:Leben mit Hass und Verachtung

Roma auf dem Balkan

Nirgends gewollt in Europa: Roma in einer Siedlung in Serbien

(Foto: dpa)

Sicher, es gibt Probleme mit zugewanderten Roma. Aber warum löst dieses verfolgte Volk solche Ängste aus? Und wie lässt sich das ändern? Wie ist den Roma zu helfen?

Ein Gastbeitrag von Klaus-Michael Bogdal

Als Thomas Mann gegen Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb: "Ein Volk, mit dem niemand leben kann, wie soll das selber leben", meinte er damit die Deutschen. In Polen, in der Tschechoslowakei, in Rumänien wollte 1945 niemand mehr mit ihnen leben.

Vertrieben, wegen ihrer Volkszugehörigkeit verachtet, heimatlos geworden, ohne Besitz und Obdach zogen Millionen westwärts von Landstrich zu Landstrich, misstrauisch beobachtet, oft ausgenutzt, zum Betteln und zu niedrigsten Arbeiten gezwungen, bis sie irgendwo Fuß fassen konnten. Dasselbe könnte man heute von den Roma sagen.

Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus wird wieder sichtbar, was fünf Jahrzehnte verdeckt blieb: Die Mehrheitsbevölkerungen in den südosteuropäischen Ländern halten die dort lebenden Roma für ein Volk, mit dem niemand leben kann und leben will. Seit die Europäische Union ihre inneren Grenzen aufgehoben hat, suchen daher immer mehr Roma einen Landstrich, auf dem sie "selber leben" können, sei es in Frankreich, Deutschland oder Italien.

Dass sich diese Länder damit enorme soziale Probleme einhandeln, besonders in Großstadtvierteln, in denen sich die Einwanderer konzentrieren, lässt sich nicht bestreiten. Die öffentliche Debatte darüber hat, angeheizt durch alarmistische Berichterstattung, allmählich Fahrt aufgenommen.

Sackgasse Abwehr

Jetzt droht sie in die falsche Richtung zu laufen. Dringend gefragt sind sozialpolitische Konzepte für eine geregelte Arbeitsuche und Wohnungsfürsorge. Ebenso jedoch muss die Beteiligung der Herkunftsstaaten an den Kosten thematisiert werden.

Stattdessen biegt man in die Sackgasse sicherheitspolitischer Abwehrmaßnahmen ein, obwohl es hier nicht um illegale Einwanderer geht, sondern um europäische Minoritäten, vergleichbar den Basken, den Rumäniendeutschen oder den Sami in Finnland. Diese Aufzählung mag manchem als Provokation erscheinen. Aber weshalb löst die Nähe der Roma solche Bedrohungsängste aus?

Eine Antwort liefert die Geschichte ihrer Wahrnehmung seit ihrer Einwanderung vor nunmehr sechshundert Jahren. In dieser Zeit sind Bilder von Verachtung, Hass und Ekel entstanden, die sich wie eine Schmutzschicht auf dem Grund des kollektiven Gedächtnisses der europäischen Gesellschaften abgelagert haben.

Anders als beim Antisemitismus haben sich öffentliche Kontrollmechanismen, die den unverhohlen geäußerten Zigeunerhass zurückdrängen könnten, bis heute nur sehr schwach ausgebildet. Die Roma, die um 1400 vom indischen Subkontinent her in kleinen friedlichen Gruppen nach Europa einwanderten, wurden nach einer kurzen Phase der Duldung als Pilger rasch an den untersten Rand der Gesellschaft gedrängt.

Sie galten als Heiden zweifelhafter Herkunft, Spione der Türken und zusammengelaufener Abschaum ohne Moral und Gesetz. Aus Familien im Überlebenskampf wurden in den Darstellungen kriminelle Banden von Kindsräubern, Dieben und Betrügern. So entstanden wirkungsmächtige Wahrnehmungsmuster, die uns nahelegen, die Armen statt deren Armut zu bekämpfen. Wie die Juden galten sie als selbstbezogenes Volk ohne Heimatliebe, loyal nur ihrer Sippe.

Roma aus der Verelendung helfen

Seit der Aufklärung entdeckt man in ihnen die nicht-zivilisierbaren "Wilden", die "Kaffern Europas", die "Zigeuner" eben, sieht sie als Analphabeten ohne Geschichte und Wissenschaft, ohne eigenen Staat, noch zufrieden mit den elendesten Wohnverhältnissen, zu erkennen an barbarischen Essgewohnheiten und fehlender Körperhygiene.

Aus diesen Vorurteilen resultieren die drei zähesten Vorstellungen, die immer noch unser Alltagsverhalten bestimmen: Schon die bloße Existenz der Roma bedeute eine Bedrohung. Ein Zusammenleben mit ihnen sei auf Dauer nicht möglich. Ihr parasitäres Verhalten zerstöre jede nach Gemeinwohl strebende Gesellschaft.

Zu den zivilisatorischen Errungenschaften der Moderne zählen die Achtung der Menschenwürde und die Anerkennung der Individuen als Rechtssubjekte. Die Roma wurden schon bald nach ihrer Ankunft als ehrloses, "infames" Volk behandelt. Ihnen billigte man keinerlei Rechte zu, sehr lange auch nicht das Recht, auf Dauer in Europa zu leben.

Literaturpreis für Bogdal

Klaus-Michael Bogdal, 64, ist Professor für Germanistische Literaturwissenschaft an der Uni Bielefeld. Für sein Werk "Europa erfindet die Zigeuner" erhielt er im März den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung.

(Foto: dpa)

Das Mahnmal für die während der NS-Zeit ermordeten Sinti und Roma, vergangenes Jahr in Berlin errichtet, sollte einen Schlussstrich unter die Geschichte ihrer Ausgrenzung ziehen. Als hätte dieser symbolische Akt aber niemals stattgefunden, drängen sich die alten Wahrnehmungsmuster und Vorurteile in die aktuelle Debatte und erschweren eine umsichtige Lösung der Probleme.

Sie vergiften das Klima. Um Lösungen zu finden, muss man zu den wirklichen Ursachen vordringen. Diese liegen in der komplexen Verflechtung des ungeklärten historischen Verhältnisses zwischen den Roma und den Mehrheitsvölkern in Europa mit den aktuellen, aus dem europäischen Einigungsprozess resultierenden Problemen.

Müllberge oder Kinderarbeit - kein kulturelles Gut

Zu letzteren zählt, dass Länder wie Bulgarien und Rumänien leider keine wirksamen sozialen Netze haben, schon gar nicht für die verhassten Roma, die auch dort als Schmarotzer angesehen werden. Der Bericht des damaligen EU-Menschenrechtskommissars Thomas Hammarberg von 2012 über die Situation der Sinti und Roma macht deutlich, dass ihre Lage in vielen südosteuropäischen Ländern den europäischen Ansprüchen an ein menschenwürdiges Leben widerspricht.

Bei der Lösung dürfen aber auch die Ängste jener Menschen nicht ignoriert werden, die mit den Folgen sich auf bestimmte Großstädte konzentrierender Zuwanderung bisher allein gelassen werden. Müllberge sind kein kulturelles Gut, ebenso wenig wie Kinderarbeit, Schleppertum, Prostitution und Hungerlöhne ohne Versicherungsschutz.

Um den Roma den Weg aus dieser Verelendung zu weisen, brauchen wir einen langen Atem für eine wirksame europäische Sozialpolitik - auch in unserem eigenen Interesse. Durch politische Repressalien, ein paar Hilfszuwendungen an betroffene Kommunen oder kurzfristige Bildungsprogramme wird sich kaum etwas ändern.

Eine wirklich nachhaltige Lösung kann ohnehin nur in den Herkunftsländern selbst erfolgen, die sich der Verantwortung für diesen Teil ihrer Bevölkerung nicht länger entziehen dürfen. Dort müssen menschenwürdige Wohnverhältnisse geschaffen und der Zugang zur Gesundheitsversorgung, zum Bildungssystem garantiert werden. Der Erfolg hängt davon ab, ob wir uns auch in Deutschland mit Nachdruck dafür einsetzen, dass sich die Lage der Romvölker endlich verbessert.

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