Yasukuni-Schrein in Tokio:Gefeierte Helden, vergessene Gräueltaten

Yasukuni-Schrein in Tokio: Japans Sumo-Profis trotzen der kalten Morgenbrise und watscheln zum Yasukuni-Schrein.

Japans Sumo-Profis trotzen der kalten Morgenbrise und watscheln zum Yasukuni-Schrein.

(Foto: AFP)

Wenn die Kirschbäume blühen, pilgern die Menschen in Scharen zum Yasukuni-Schrein in Tokio, dem Symbol des japanischen Militarismus. Doch die Erinnerung an den Krieg wird dort verzerrt.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Barfuß, nur in dünne Yukata gekleidet, trotzen Japans Sumo-Profis der kalten Morgenbrise. Einige von ihnen haben unter den blühenden Kirschbäumen des Yasukuni-Schreins gefrühstückt. Jetzt watscheln die Muskelberge in ihren bunten Yukata, einer Art Baumwoll-Bademänteln, den Blick aufs Smartphone fixiert, zum Sumo-Ring. In den Tagen der Kirschblüte machen nicht die rechtsnationalen Politiker und greisen Veteranen in alten Uniformen dem Yasukuni ihre Aufwartung, sondern die Sumo-Stars. Am Symbol des japanischen Militarismus begrüßen sie den Frühling mit Schaukämpfen.

Derweil pilgert ein Strom von Japanern aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten zum "Haiden", der großen offenen Gebetshalle, die gewöhnliche Pilger nicht betreten dürfen. Sie bleiben davor stehen, werfen eine Münze, meist fünf Yen, 4 Euro-Cent, in eine Wanne, verbeugen sich zweimal, besinnen sich kurz, klatschen zweimal in die Hände und verbeugen sich noch einmal.

Menschen reservieren Plätze für ein Picknick unter Kirschbäumen

Das ist des Gebetsritual des Shintoismus. Im Moment der Besinnung formulieren sie einen Wunsch. Um diesem noch Nachdruck zu verleihen, schreiben ihn manche auf einen geweihten Zettel, der dann an einen Baum gehängt wird. Wie eine Papierblüte. Die aufgeschriebenen Wünsche sind stets konkret, der häufigste ist das Bestehen eines Schul-Examens. Auch Dutzende Touristengruppen, viele von ihnen aus China, dessen Regierung sich heftig über den Yasukuni aufregt, lassen sich das Gebets-Ritual zeigen und ahmen es nach. Dann gehen sie zum Sumo-Ring, den alle großen Schreine haben.

Die Kirschblüte wird in Japan seit Urzeiten gefeiert, einst symbolisierte sie die Reissaat. Und weil der Reis für die Shinto-Religion göttlich ist, gilt auch die Kirschblüte als heilig. Und als Symbol der Fruchtbarkeit. "Hanami", übersetzt "Blüten schauen", nennt man die Parties unter den Kirschbäumen, die ganz Japan - oft trotz Kälte - jedes Frühjahr überkommen. Solche Feiern sind seit dem achten Jahrhundert nachgewiesen. Im alten Japan waren "Hanami" religiöse Feste der Fröhlichkeit. Es wurde gegessen, getrunken, gesungen, getanzt, gerungen, man rezitierte Gedichte. In der kurzen Schönheit sah man stets auch die Vergänglichkeit. "Hanami"-Pilgerfahrten, oft zu einem Schrein auf einem heiligen Berg, feierten auch die Sexualität, wie die Ethnologin Emiko Ohnuki-Tierney schrieb.

Viel hat sich seither nicht geändert, dazugekommen ist vor allem das Fotografieren der Blüten. Am Yasukuni stehen während der Kirschblütenwoche Buden, die gebratenes Fleisch und Fische, Reisbrei, rohe Kraken und Eis verkaufen. Dahinter sind temporäre Biergärten aufgebaut. Wie in den Parks von Tokio reservieren sich die Leute auch hier mit blauen Planen Plätze für ein abendliches Picknick unter Kirschbäumen. Ein Mann im schwarzen Anzug, auf der Bierkiste vor ihm ein Laptop, hat seine Arbeit mitgebracht für die Zeit, bis die Kollegen aus dem Büro kommen.

Während der Kirschblüte funktioniert der Yasukuni fast wie ein normaler Schrein. Das beabsichtigt seine private Trägerschaft durchaus. Sie will ihn als spirituelles Zentrum Japans im Bewußtsein der Menschen verankern. Und damit indirekt ihre Interpretation der Geschichte durchsetzen, die im Yushukan dargestellt wird, dem zugehörigen Kriegsmuseum.

Dessen Ausstellung behauptet eine Kontinuität vom dichtenden Samurai zu den Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Mit Artefakten und detailierten Schlachtplänen feiert sie die Erfolge der japanischen Armee, von den Kriegen gegen China und Rußland über den Überfall auf Pearl Harbor und die Eroberung Südostasiens bis zu den Abwehrschlachten. Japans Gräueltaten werden ignoriert, es hat sie nie gegeben, die befohlenen Massensuizide auch nicht. In diesen Kriegen kamen auch keine Zivilisten um, auf seiten der Gegner nicht einmal Soldaten. Es gab nur japanische Helden und Märtyrer.

Die Kirschblüte als Sinnbild junger Krieger

Zu letzteren gehören die 14 vom Tokioter Tribunal als Kriegsverbrecher Verurteilten, die eine Vitrine explizit als "Märtyrer" ehrt. Besonders gefeiert werden die Kamikaze-Piloten, junge Soldaten, meistens fast noch Kinder, die sich - angeblich freiwillig, in Wirklichkeit unter enormem Druck - mit ihren Flugzeugen und Torpedos auf gegnerische Schiffe stürzten. Selbstmordattentäter im Namen des Kaisers.

Nach Darstellung des Yushukan hat Japan den Krieg zwar verloren, aber selbstlos und unter enormen Opfern - 2.4 Millionen tote Soldaten - sein Kriegsziel erreicht: Es hat Ostasien vom Westen befreit. Nach 1945 mussten die Briten, Holländer und Franzosen sich allmählich aus ihren Kolonien zurückziehen.

In einem speziellen Raum lesen drei Mittelschülerinnen letzte Briefe von Kamikaze-Piloten an ihre Mütter und Schwestern. Eine weint. "In Japan ist es eine Tugend, etwas gegen den eigenen Willen zu tun, auch wenn man um dessen Vergeblichkeit weiß" und sich dabei opfere, erklärt eine junge Frau die Tränen. Daß die Armeeführung, und damit formell der Kaiser, ohne jede Aussicht auf militärische Wirkung Jugendliche als Munition verschossen hat, akzeptieren viele Japaner als Schicksal.

Der Yasukuni sollte ursprünglich als Ort der Versöhnung dienen

Der Shintoismus hat in Japan seit tausend Jahren mit dem Buddhismus koexisiert. Die beiden Religionen teilten sich die Fürsorge um die Seelen. Der Shintoismus ist für das Leben zuständig, Geburt, Jugend und Sexualität, der Buddhismus kümmert sich um den Tod und das Danach. So ist es heute wieder. Die Gruppe Samurai, die sich 1867 an die Macht geputscht hattte, um Japan zu modernisieren, hetzte zur "Unterdrückung fremder Religionen", sie ließ buddhistische Einrichtungen zerstören und machte den Shintoismus zur Staatsreligion, die mit der Militarisierung zur Religion eines militanten Nationalismus wurde. Dazu bemächtigten sich die Militaristen alter Shinto-Symbole.

Die Kirschblüte wurde zum Sinnbild für junge Krieger, vor allem der Kamikaze-Piloten, die auf der Höhe ihrer Jugend ins Verderben flogen. Diese Deutung ist heute wieder populär, nachem der Spielfilm "Eien no Zero" (die ewige Zero) die Kamikaze verherrlichte. In dessen letzter Einstellung donnert ein Pilot mit seinem Kampfflugzeug "Zero" in einen US-Zerstörer. Über sein Gesicht huscht ein glückliches Lächeln.

Der Yasukuni, übersetzt "befriedetes Land", wurde mit einer anderen Bestimmung gebaut. Er sollte als Ort der Versöhnung für die letzten Bürgerkriege dienen, gelangte aber bald unter die Kontrolle der Armee, die hier ihrer Gefallenen gedenkt. Mit ihrer Einschreinung sind die toten Krieger Shinto-Götter geworden. Sterbliche Überreste gibt es im Schrein keine, Friedhöfe gelten im Shintoismus als unrein.

Bis 1978 warfen Politikerbesuche am Yasukuni kaum Wellen. Das änderte sich, als die 14 vom Tokioter Tribunal zum Tode verurteilten Politiker und Generäle eingeschreint wurden. Seither weigert sich der Kaiser, den Yasukuni zu besuchen. Auch die meisten japanischen Regierungschefs blieben ihm fern, bis der Nationalist Junichiro Koizumi 2001 das Tabu brach. Als Premier dürfe er doch die Kriegstoten seines Landes ehren, hieß es.

Interviews auf dem Gelände sind verboten

Dabei ist der Yasukuni-Schrein keine offizielle Gedenkstätte, auch wenn seine Führung und die Nationalisten diesen Eindruck zu erwecken suchen. Zehn Gehminuten vom Yasukuni, auf dem Chidorigafuchi-Nationalfriedhof, sind die sterblichen Überreste der unbekannten Soldaten beerdigt: Ein stiller, ernster Ort ohne blühende Kirschbaum-Alleen. Liberale Politiker haben mehrfach vorgeschlagen, Tokio sollte diesen Friedhof zur offiziellen Gedenkstätte erklären. Oder eine neue bauen, um den Konflikt mit den Nachbarstaaten beizulegen.

Das Kaiserpaar, aber auch ausländische Politiker wie US-Außenminister John Kerry, gedenken der Kriegsopfer hier. Der Nationalismus, den die Abe-Regierung schürt, nimmt solchen Vorschläge derzeit jede Chance. "Aber nach Abe dürfte die Frage wieder diskutiert werden, ob man der Wiederaussöhnung mit den Nachbarn nicht Priorität geben soll", glaubt Sven Saaler, Professor an der Sophia-Universität.

"Wenn die Alten hingehen, verstehe ich das", meint eine junge Frau

Nach der Kapitulation im August 1945 zwangen die US-Besatzer Japan zur Trennung von Staat und Religion, der Yasukuni wurde privatisiert. Offiziell gilt das bis heute. Doch die Mehrheit von Abes Minister gehören "Nippon Kaigi" an, einer reaktionären Gruppe, die den Staats-Shintoismus reinstallieren und damit dem Yasukuni jene Bedeutung als offizielle Wallfahrtsstätte geben will, die er schon zu haben vorgibt. Und in den Augen vieler Japaner tatsächlich hat.

Die Yasukuni-Oberen scheinen sich durchaus bewusst, dass dies eine Anmaßung ist. Sie versuchen, unabhängige Berichte zu verhindern: "Der Yasukuni-Schrein verbietet es, auf seinem Gelände Interviews zu führen", heißt es in den Richtlinien für die Presse. "Wer Material für Reportagen sammelt, muß dafür ein Gesuch einreichen. Dieses kann zurückgewiesen werden, wenn der geplante Artikel den Schrein wirtschaftlich schädigt, seine Glaubwürdigkeit beeinträchtigt oder ihm andere Nachteile zufügen könnte. Es ist verboten, Yasukuni-Besucher mit Bild oder Namen zu identifizieren."

Er gehe nicht gerne zum Yasukuni, hat ein im Krieg aufgewachsener linker Journalist einmal gesagt, den alle Panda nannten. Aber er fühle sich verpflichtet, wenigstens zum Jahrestag der Kapitulation am 15. August hinzugehen. Das sei er der vorigen Generation schuldig. Panda ist inzwischen gestorben. Eine junge Frau meint dazu: "Wenn die Alten hingehen, verstehe ich das, vor allem jene, die Angehörige verloren haben. Aber seit "Eien no Zero" gehen wieder mehr Junge hin." Vor allem im August.

Während der Kirschblüte dagegen feiert der Schrein das Leben, als hätte er keine andere Bestimmung. Die Sumo-Ringer balgen sich spielerisch im Ring, feuern sich gegenseitig an. Ein scharfer Windstoß pustet in die Bäume, es schneit weiße Kirschblütenblätter; und ein Raunen geht durch die Menge.

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