Wutrede gegen Tsipras:Und dann brüllt's jemand raus

Der Europaabgeordnete Verhofstadt schreit den griechischen Premier Tsipras sieben Minuten lang an. Im Internet wird er dafür gefeiert. Drei Thesen zum Erfolg der Politiker-Wutrede.

Martin Sonneborn hat gerade wenig Freude an seinem Job als EU-Parlamentarier. Wenn er gefragt werde, was er beruflich mache, antworte er entweder er sei Vertreter oder gerade aus der Haft entlassen worden. "Alles ist besser, als zu sagen, dass man im Europaparlament arbeitet."

Sonneborn ist hauptberuflich nicht Politiker, sondern Satiriker - so darf man seine Auslassung gut und gerne überzogen finden. Aber in der Satire steckt immer ein wahrer Kern. Tatsächlich wirkt das EU-Parlament im Vergleich zum Bundestag machtlos - und seine Abgeordneten wecken bei den Menschen kaum Interesse. Außer sie sind Randgestalten wie Udo Voigt, Marine Le Pen - oder eben Martin Sonneborn von Die Partei.

Keine Randgestalt ist Guy Verhofstadt, der derzeit die Ehre des Europaparlaments zu retten scheint - mit einer Wutrede gegen den griechischen Premier Alexis Tsipras. Sieben Minuten lang schreit der Anführer der liberalen Fraktion Tsipras an. Fünf Jahre schlafwandle man Richtung Grexit und jetzt bewege man sich im Dauerlauf darauf zu. Und der Premier sei nicht in der Lage, konkrete Reformvorschläge vorzulegen.

Am Ende seiner Rede bekommt Verhofstadt viel Applaus, nicht nur von Abgeordneten, sondern unter anderem bei Facebook. Das Video verbreitet sich jetzt, einen Tag nach der Rede im Internet. Kommentatoren unterstützen den langjährigen belgischen Premierminister. "Wir wollen Sie als griechischen Premier", heißt es da.

Es gibt aber auch weniger euphorische Stimmen. Das Online-Magazin Krautreporter kritisiert, dass ausgerechnet Verhofstadt Tsipras Klientelismus vorwerfe und gleichzeitig im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitze, das von den Privaitisierungen in Griechenland profitiere. Eine belgische Seite spricht von Heuchelei.

Es gibt viele Politiker die sich ähnlich scharf wie Verhofstadt zur Griechenlandkrise geäußert haben. In der CSU wird Tsipras genüsslich abgewatscht. Doch ihre Kritik geht unter im allgemeinen Grundrauschen. Warum wird gerade Verhofstadt dafür gefeiert? Drei Thesen:

Ein Politiker ist wütend

Guy Verhofstadt zeigt eine Emotion, die man von Politikern nicht oft in der Öffentlichkeit sieht: Wut. Er schreit, er gestikuliert, als wolle er mit Tsipras einen Ringkampf austragen. Er spricht fünf Vorschläge an, die seiner Meinung nach zur Lösung der Krise führen könnten. "Ich komme gerne nach Athen und diskutiere das mit Ihnen. Ich liebe Herausforderungen", ruft der Politiker und hebt die Fäuste. Griechenland ist ein Wut-Thema, das ist in der Bevölkerung Griechenlands zu spüren, aber auch im Rest von Europa. Wie kein anderer Politiker vor ihm vermag Verhofstadt diese Emotionen zu spiegeln.

Der Tsipras-Effekt

"Die politische Klasse hat nichts getan - leiden wird am Ende das griechische Volk" - all das hat man schon anderswo gehört. Von Politikern oder Demonstranten. Doch ihre Zuhörer waren oft Journalisten oder eben andere Demonstranten. Verhofstadt kann die Vorwürfe dem vermeintlich Schuldigen, Premier Alexis Tsipras, live entgegenschleudern. Und man sieht dessen direkte Reaktion. Verlegen, unterwürfig wie ein Schuljunge sitzt Tsipras da und macht sich tatsächlich Notizen. Ein Anblick, der für viele sicher eine Genugtuung ist.

Endlich spricht er es aus

"Sie treffen genau den Punkt", schreibt ein Kommentator. Verhofstadt wird als Politiker wahrgenommen, der sich nicht hinter diplomatisch verklausulierten Aussagen versteckt. Er spricht klar aus, was er denkt und trifft damit offenbar den Nerv vieler Europäer. Es geht ihm offenbar nur darum, endlich Klartext zu sprechen. Das sagt jedoch nichts darüber aus, ob die Aussagen Verhofstadts inhaltlich korrekt sind.

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