Wulff geht nach neuen Vorwürfen in die Offensive:Aufklärer in eigener Sache

Lesezeit: 3 min

"Verstoß gegen die Landesverfassung" in seiner Zeit als niedersächsischer Regierungschef, so lautet der Vorwurf, dem sich Bundespräsident Wulff nun ausgesetzt sieht. Doch anders als bislang stellt sich das Staatsoberhaupt in die erste Reihe jener Aufklärer, die eine gerichtliche Ermittlung fordern. Die zu erwartende Klage vor dem Staatsgerichtshof in Bückeburg begrüßt er, stellt sich aber vor seinen Ex-Sprecher Glaeseker.

Angesichts neuer Vorwürfe aus seiner Regierungszeit in Niedersachsen geht Bundespräsident Christian Wulff in die Offensive. Das Staatsoberhaupt räumte am Sonntag ein, die Anschuldigungen müssten geklärt werden, und sprach von einem "ernsten Vorgang".

Das Land Niedersachsen soll das privat organisierte Treffen "Nord-Süd-Dialog" finanziell unterstützt und Wulffs Staatskanzlei den Landtag darüber falsch informiert haben. Die niedersächsische SPD-Fraktion will die damalige Landesregierung nun vor dem Staatsgerichtshof verklagen. Der Niedersächsische Staatsgerichtshof ist das Verfassungsgericht des Landes Niedersachsen. Der Staatsgerichtshof in Bückeburg ist ein gerichtsförmiges Verfassungsorgan und gegenüber dem Landtag und Landesregierung selbständig und unabhängig.

Der "Nord-Süd-Dialog" war ein Treffen mit Gästen aus Wirtschaft, Politik und Medien, das 2007 und 2009 in Hannover und 2008 in Stuttgart veranstaltet wurde. Es sollte das Image der Bundesländer Niedersachsen und Baden-Württemberg aufpolieren. Nach Angaben von Wulff handelte es sich dabei um eine "Privatveranstaltung".

Nun sind jedoch Berichte aufgetaucht, denen zufolge Gäste Kochbücher als Abschiedsgeschenk erhalten haben, die das niedersächsische Landwirtschaftsministerium zuvor für 3411 Euro erworben hatte.

Wulffs damaliger Staatssekretär und heutiger Chef des Bundespräsidialamtes, Lothar Hagebölling, hatte im April 2010 auf eine SPD-Anfrage schriftlich geantwortet, dass es "keine Beteiligung oder Finanzierung durch das Land" am "Nord-Süd-Dialog" gebe.

"Möglicherweise nicht die Wahrheit gesagt"

"Wir haben im Landtag gesagt, in diese Veranstaltung ist kein Geld geflossen", sagte Wulff am Sonntag bei einer Veranstaltung in Berlin. Dies sei damals "nach bestem Wissen und Gewissen" geschehen. "Sollte jetzt doch Steuergeld geflossen sein, hätten wir dem Parlament nicht die Wahrheit gesagt", räumte er ein. Das sei ein "ernster Vorgang", der auch seiner Meinung nach vor dem Staatsgerichtshof juristisch aufgeklärt werde müsse.

Er sei bereit, sich gegenüber der Landesregierung und der Staatsanwaltschaft zu äußern, sagte Wulff. Die Vorwürfe in Niedersachsen müssten allesamt aufgeklärt werden, auch wenn es sich nur um Kochbücher handele. "Man kann ins Straucheln kommen und dann wieder aufstehen", sagte Wulff, der zudem aber betonte: "Es gibt bisher keine Vorwürfe gegen mich."

Der Bundespräsident machte erneut deutlich, dass er nicht an Rücktritt denke. Sein Amt sei unglaublich interessant, sagte er. Er räumte aber ein, Vertrauen eingebüßt zu haben. Seine Aufgabe bestehe nun darin, dieses Vertrauen zurückzugewinnen.

"Positive Meinung von Zeitungen"

Wulff vermied es, die Rolle der Medien kritisch zu hinterfragen. Zuletzt war immer wieder auch die kampagnenhaften Berichterstattung über mögliche Verfehlungen Wulffs kritisiert worden. "Ich habe ein sehr positive Meinung von Zeitungen", sagte er.

Wulff warnte aber auch vor einer "übertriebenen Auflösung der Privatsphäre" von Politikern. Die Bereitschaft, sich politisch zu engagieren, werde dadurch nicht gefördert.

Öffentliche Auftritte des Ehepaars Wulff
:An seiner Seite

Christian Wulff ist kein Mann vieler Worte: Zu den Vorwürfen gegen ihn sagte er stets nur das Nötigste - und auch sonst hätte sich mancher mehr politische Teilhabe des Bundespräsidenten gewünscht. Der erste Mann im Staat ließ lieber Bilder sprechen, vor malerischer Kulisse, Ehefrau Bettina im Arm.

präsidialen Fotoalbum.

Die SPD-Fraktion in Niedersachsen will Wulffs damalige Landesregierung wegen eines Verstoßes gegen die Landesverfassung vor dem Staatsgerichtshof verklagen. Möglichst in den nächsten Tagen will die Fraktion die Klage einreichen.

Bundespräsident Christian Wulff am Sonntag in Berlin: Neue Fragen aus seiner Zeit als Ministerpräsident Niedersachsens. (Foto: dpa)

Heiner Bartling (SPD), der von 1998 bis 2003 Innenminister in Niedersachsen war, werde die Regierung des früheren Ministerpräsidenten Wulff wegen Verletzung der Auskunftspflicht und Täuschung des Parlamentes verklagen.

SPD-Fraktionschef Stefan Schostok sieht es nun als endgültig bewiesen an, dass das Parlament in Hannover von Wulffs Staatskanzlei "vorsätzlich falsch informiert worden ist". Für Wulff habe dies durchaus Konsequenzen, sagte er. "Ein Bundespräsident, der gegen die Verfassung verstoßen hat, kann nicht im Amt bleiben."

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Stefan Wenzel, nannte Wulff einen "Lügner".

Weitere Vorwürfe wurden auch gegen Wulffs ehemaligen Sprecher, Olaf Glaeseker, laut. Wie die Zeitung Bild am Sonntag berichtet, erhielt der 50-Jährige neben Gratisurlauben von dem Veranstalter des Wirtschaftstreffens, Manfred Schmidt, auch Gratisflüge.

Allein im vergangenen Jahr soll Glaeseker in mindestens fünf Fällen umsonst geflogen sein, darunter in die Türkei und nach Mallorca. Dafür habe er Schmidts VIP-Karte von Air Berlin benutzt.

Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen Glaeseker und Schmidt wegen des Verdachts der Bestechlichkeit und Bestechung. Am Donnerstag hatte die Polizei bei ihnen Privat- und Geschäftsräume durchsucht.

Ermittlungen gegen Glaeseker "keine einfache Sache"

Wulff warnte vor einer Vorverurteilung seines Ex-Sprechers. Auch für Glaeseker gelte die "Unschuldsvermutung". Dies sei eine "zivilisatorische Errungenschaft". Der Bundespräsident räumte ein, dass das Ermittlungsverfahren gegen Glaeseker, mit dem er befreundet ist, auch für ihn "keine einfache Sache" sei. Wulff hatte seinen Sprecher kurz vor Weihnachten ohne Angabe von Gründen entlassen.

Angesichts der immer neuen Vorwürfe gegen Wulff und dessen langjährige Vertraute spricht sich eine Mehrheit der Deutschen inzwischen für einen Rücktritt des Bundespräsidenten aus.

Derzeit hält ihn nur noch ein knappes Drittel der Bundesbürger für glaubwürdig, wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap ergab. Die Mehrheit der Befragten (56 Prozent) schätzt Wulff nicht mehr als würdigen Bundespräsidenten ein.

Linksfraktionschef Gregor Gysi legte Wulff den Rücktritt nahe. Im Deutschlandfunk sagte er, Wulff könne sein Amt nicht mehr mit der geforderten Souveränität ausüben.

© sueddeutsche.de/dapd/dpa/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: