Würde, Solidarität, Toleranz:Tod durch Liebe?

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Helfen, auch beim Sterben - ist das Nächstenliebe? (Foto: imago/Jochen Tack)

Eine alte Frau wartet auf den Tod, ihr Mann drückt ihr ein Kissen aufs Gesicht. Darf er das? Ist es gar ein Akt der Nächstenliebe? Schreiben Sie uns Ihre Meinung zu diesen und weiteren Gewissensfragen.

Von SZ-Autoren

Viel ist von diesem Jahr nicht mehr übrig. Der Schrumpfungsprozess führt zu innerer Einkehr, Bilanzziehen, Hinterfragen. In diesem Jahr mit seinen Rechtsdriften, der Bundestagswahl und den nun spürbaren Nachbeben vielleicht umso mehr. Wie wollen wir miteinander umgehen? Welche Werte sollen uns leiten? Was lernen wir aus den Debatten dieses Jahres? Zu solchen Fragen will die SZ mit Ihnen ins Gespräch kommen - in diesem Artikel und auf dem Tollwood in München.

Nach dem Projekt Democracy Lab sind in der Vorweihnachtszeit jeden Mittwoch, Donnerstag und Freitag SZ-Autoren im Wohnzimmer der Demokratie auf dem Festivalgelände, die sich auf den Austausch mit Ihnen freuen (mehr dazu hier). Vorab haben sich Redakteure zu Grundbegriffen unserer Gesellschaft Gedanken gemacht - und das Prinzip der beliebten Gewissensfrage aus dem SZ-Magazin ins Gegenteil verkehrt. Sie sind gefragt: Wie würden Sie sich verhalten? Schreiben Sie uns über das Formular am Ende des Artikels.

Nächstenliebe: Von Gewalt aus Zuneigung

Ein Mann, eine Frau - ein älteres Paar, gebildet und abgesichert. Die Kämpfe des Lebens sind vorbei, vertraut sind sie einander geworden und ein bisschen auch verliebt geblieben. Eines Tages, nach dem Konzertbesuch, fällt ihm auf, wie viel sie neuerdings vergisst, dass sie manchmal nicht mehr weiß, wo sie ist. Dass sie unsicher geworden ist und reizbar.

Demenz, sagt der Arzt. Der Verfall geht schnell. Der Mann tut, was er kann. Er redet mit ihr, auch wenn sie manchmal nicht mehr weiß, wer er ist; legt ihre Lieblingsmusik auf, nimmt sie in den Arm, füttert sie, auch wenn sie ihn vollspuckt. Die Momente des Erkennens, der Dankbarkeit, der gemeinsamen Freude am Leben werden selten. Die Frau, die er bewunderte für ihr Selbstbewusstsein, ihren Witz und Charme, ist ein anderer Mensch geworden, apathisch, klagend, voller Misstrauen diesem Mann gegenüber, der da immer um sie herum ist.

Dann liegt sie nur noch da und wartet auf den Tod. Und der Mann sitzt neben ihr und wartet auf ihren Tod. Und als einmal die Sonne scheint und sie ihn gerade angelächelt hat, nimmt der Mann ein Kissen und drückt es ihr aufs Gesicht, bis sie tot ist. Aus Nächstenliebe, um dem Leid ein Ende zu bereiten? Oder wäre es Nächstenliebe gewesen, geduldig an ihrer Seite zu warten, bis er von selbst gekommen ist, der Tod?

Matthias Drobinski, Innenpolitik-Redakteur SZ

SZ auf dem Tollwood
:Wie sollen wir miteinander umgehen?

Dieses Jahr mit seinen Wahlbeben hat viele Gewissheiten umgeworfen. Zeit, Fragen zu stellen und mit Ihnen ins Gespräch zu kommen - über unbequeme Meinungen, fremde Sitten und nasse Schuhe.

Von SZ-Autoren

Würde: Von Armut, Demut und Hierarchien

Ein Samstag in der Vorweihnachtszeit. Die Leuchtengel über der Fußgängerzone glitzern, die Schaufenster quellen über, Menschen schieben sich stoßend und fluchend über den Weihnachtsmarkt.

Auf der Maximilianstraße - irgendwo zwischen Prada und Hermès - kniet eine Frau in abgerissener fleckiger Kleidung auf der Straße. "Ich habe Hunger" steht auf einem Stück Pappe. Im Plastikbecher vor ihr sind wenige Münzen. Sie schwankt leicht. Dann geht alles sehr schnell: Ein Mann - ebenfalls mit Schild, Becher, abgerissener Kleidung - nähert sich von hinten, stößt die Frau von ihrem Platz. Sie stöhnt überrascht, rappelt sich benommen auf und kriecht davon.

Der Mann baut Schild und Becher auf, kniet sich hin und senkt in Demutsgeste den Kopf. Eine Prada-Kundin, die das Ganze aus dem Inneren des Geschäftes mit deutlichem Widerwillen beobachtet hat, tritt auf die Straße und während sie vorsichtig Richtung Tiefgarage stöckelt, murmelt sie: "Wie würdelos." Hat sie recht?

Sonja Zekri, Feuilleton-Ressortleiterin SZ

Hoffnung, Gewaltfreiheit, Friede
:Wenn der Attentäter zum Helden wird

Georg Elser hat versucht, Hitler zu töten. Wann ist Gewalt moralisch vertretbar? Schreiben Sie uns Ihre Meinung zu dieser und anderen Gewissensfragen.

Von SZ-Autoren

Solidarität: Vom Wert der Gesundheit

Von 2018 an müssen alle Kliniken in Deutschland drastisch sparen. Aber wo anfangen? Der Kostendruck nimmt weiter zu - und was dann: Welche Patienten sollen unbedingt behandelt werden, welche nicht? Nehmen wir einen 28-jährigen Krebskranken, dessen Behandlung 120.000 Euro pro Jahr kostet und der ansonsten nicht mehr lange zu leben hat. Ist er vorrangig dran oder doch eher die Nierentransplantation für eine 55-Jährige, die "nur" 40.000 Euro kostet? Noch billiger wäre allerdings die neue Hüfte für eine 80-Jährige, die schon für 10.000 bis 15.000 Euro zu haben wäre.

Wer sollte auf jeden Fall behandelt werden, wessen Therapie kann im Zweifel wegfallen? Was ist wichtiger? Die Gesamtkosten des Eingriffs - oder spielt es auch eine Rolle, wie alt jemand ist und wie viele Jahre er oder sie theoretisch noch vor sich hat? Oder ist es schlicht unmöglich, in der Medizin solche harten Entscheidungen zu treffen und es sollte nach dem Zufallsprinzip gehen, das heißt: Sollte gelost werden?

Was meinen Sie, wer ist zuerst dran? Und wie würden Sie entscheiden, wenn es sich um Sie selbst, um Ihren 28-jährigen Sohn und Ihre 80-jährige Mutter handeln würde?

Werner Bartens, leitender Wissenschafts-Redakteur SZ

Toleranz: Von Erdoğan und deutschtürkischen Widersprüchen

Folgendes wollte ich zum Thema Toleranz zur Diskussion stellen: Seit es in der Türkei einen Putschversuch gab, der Ausnahmezustand herrscht und Präsident Erdoğan sich per Verfassungsreferendum zum Alleinherrscher aufschwingt, sind die deutsch-türkischen Beziehungen zerrüttet. Das wirkt sich auch auf die hier in Deutschland lebenden Türken und Deutschtürken aus. Ihnen wird vorgeworfen, einen Autokraten zu unterstützen, denn die Mehrheit der wahlberechtigten Türken hier stimmte im April für Erdoğans undemokratische Verfassungsreform.

Viele deutsche Politiker stellen deshalb zum Beispiel wieder den Doppelpass für Deutschtürken in Frage. Die Loyalität Türkeistämmiger zu Deutschland steht also offensichtlich zur Debatte.

Doch wo hört der Anspruch auf Loyalität auf und fängt die Pflicht zur Toleranz an? Muss man Erdoğan-Anhänger in einer freiheitlichen Gesellschaft wie Deutschland tolerieren? Oder geht die Toleranz hier zu weit und kann man - als eine Art Integrationsleistung - erwarten, dass Deutschtürken keinem autoritären Präsidenten anhängen? Wie sehen Sie das? Wo sind die Grenzen der Toleranz bei Fragen der Integration?

Deniz Aykanat, Politikredakteurin SZ.de

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