Affäre um Fußball-WM 2006:Die Fifa handelt wie das Kabinett im Kongo

Affäre um Fußball-WM 2006: Die Trennung von Amt und Person hat sich bei der Fifa nie durchsetzen können

Die Trennung von Amt und Person hat sich bei der Fifa nie durchsetzen können

(Foto: AFP)
  • Der internationale Fußballverband Fifa funktioniert nicht wie eine normale Organisation. Die Trennung von Amt und Person hat sich nie durchgesetzt.
  • Unternehmen und Organisationen, die mit der Fifa zusammenarbeiten, müssen nach besonderen Spielregeln spielen, aber auch ihre eigenen rigiden Standards aufrecht erhalten.
  • Für DFB-Chef Niersbach gibt es eine einfache Lösung, um aus dem Dickicht wieder herauszufinden.

Von Stefan Kühl

Es kommt selten vor, dass der Fußballreporter Waldemar Hartmann einen Sachverhalt so deutlich auf den Punkt bringt: "Haben die Deutschen denn wirklich geglaubt, dass wir diese WM bekommen haben, weil wir so ganz besonders beliebt sind auf dieser Welt, weil wir so tolle Hechte sind, weil wir so gut ausschauen und weil uns alle lieben zum Niederknutschen?", fragte der langjährige ARD-Moderator. Die Realität sehe anders aus, die Deutschen hätten mit dieser WM etwas Großartiges gemacht, so Hartmann weiter, sie hätten sie "aber so bekommen wie viele andere auch".

Manchmal braucht es nicht viel, damit ein Fußballreporter zu so scharfen Analysen kommt. Was aber hat Hartmann, bevor er einige Stunden nach dem Interview wieder verzweifelt zurückruderte, genau gemeint? Wie lässt sich das Verhalten der Fifa, aber auch des deutschen Organisationskomitees für die Bewerbung um die WM 2006 erklären?

Der Ausgangspunkt von Hartmanns prägnanter Analyse ist die grundlegende Einsicht, dass der internationale Fußballverband Fifa nicht wie eine normale Organisation funktioniert. Als typischer Vergleichsfall für die Entscheidungsgremien des Fußballweltverbandes eignen sich jedenfalls weder der Vorstand eines britischen Großunternehmens noch die Organisationsspitze einer deutschen Universitätsklinik.

Auf den ersten Blick mögen sich Organigramme, Verwaltungsvorschriften und Stellenpläne vielleicht ähneln, tatsächlich gleicht die Fifa aber eher dem Kabinett der Minister in Kongo-Brazzaville oder der Verwaltungsspitze im indischen Delhi. Denn bei all diesen Organisationen hat sich ein von dem Soziologen Max Weber beschriebenes Prinzip staatlicher Bürokratie nie durchsetzen können - die Trennung von Amt und Person.

Ein zentraler Aspekt darf nicht übersehen werden

Bei aller zurzeit populären Vermischung des Abgas-Skandals von Volkswagen, der Siemens-Korruptionsaffäre und den von den USA angestoßenen Ermittlungen bei der Fifa darf ein zentraler Aspekt nicht übersehen werden: Bei den Vorfällen bei VW und Siemens handelt es sich um die für alle Organisationen recht typischen Abweichungen von der Formalstruktur, die nicht der persönlichen Bereicherung der Mitglieder dieser Organisation, sondern der flexiblen Anpassung der Organisation an komplizierte Umfeldbedingungen dienen.

Bei der Fifa - jedenfalls in den zentralen Entscheidungsgremien - ist die Logik eine andere. Hier kann ein Amt ‒ ähnlich wie bei dem Kabinett in Zentralafrika und der Verwaltung in Indien immer auch dazu dienen, sich persönlich zu bereichern - und zwar jenseits der offiziellen Lohnzahlungen. Diese Versorgung über sogenannte Sportelpfründen ist ein altes Prinzip der finanziellen Entschädigung, das noch in der frühen Neuzeit in Europa zum Beispiel im Steuer- und Zollwesen existierte, das heute noch viele Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas prägt und mit dem auch die Fifa die vergangenen Jahrzehnte äußerst erfolgreich gewesen ist. In Mittel- und Südamerika heißt dieses Prinzip des in vielen Fällen zeitversetzt ablaufenden Tausches "Confianza", in China wird es "Guanxi" genannt, in Russland wird es als "Blat" und bei der Fifa eben als "System Blatter" bezeichnet.

Unternehmen stehen vor einer großen Herausforderung

Für die Komitees, die sich um internationale Sportereignisse bewerben, für internationale Entwicklungshilfeorganisationen oder auch für Filialen von westlichen Großunternehmen besteht die Herausforderung darin, mit solchen in gewisser Weise vormodernen Organisationen zusammenarbeiten zu müssen, gleichzeitig aber die ihnen selbst aufgelegten eigenen rigiden Standards einhalten zu können. Soziologisch ausgedrückt, müssen sie eine Übersetzung hinbekommen zwischen den auf Personenvertrauen basierenden Organisationskulturen ihrer Partner und den ihnen selbst auferlegten, auf Systemvertrauen basierenden rechtsstaatlichen Prinzipien. Die zentrale Leistung dieser "Übersetzungsorganisationen" besteht darin, dass unter ihrer Regie auf der einen Seite Entscheidungen unter Bedingungen von Confianza, Guanxi oder Blat getroffen werden und auf der anderen Seite Entscheidungen stehen, die auch rigiden externen Prüfungen standhalten.

Bei den notwendigen Übersetzungsleistungen kommt es darauf an, dass den Beteiligten in den Bewerbungskomitees, in den Entwicklungshilfeorganisationen oder den Großunternehmen kein Verstoß gegen eigene Vorschriften oder Gesetze nachgewiesen werden kann, obwohl sie auf die Organisationskultur ihrer Geschäftspartner eingegangen sind. Es ist wichtig, dass man die Entscheidungen auch mit Rücksicht auf die Organisationskultur der Partner zustande bringt, danach aber sagen kann, dass man niemandem Geld hat zukommen lassen, um dafür vielleicht die Stimmen für die Vergabe der WM nach Deutschland zu akquirieren. Dass dabei auch einige Manager in den Zentralen der Unternehmen, Entwicklungshilfeorganisationen und Sportverbänden Lücken ausnutzen und sich persönlich bereichern, ist ein Kollateralschaden dieser Vorgehensweise.

Man muss wissen, welche Angelegenheiten nicht in die Akten gehören

Bei der notwendigen Übersetzungsleistung im Kontakt zwischen typischen, auf Systemvertrauen basierenden Organisationen in Frankfurt, New York oder London und den vorrangig auf Personenvertrauen basierenden Organisationen in Brazzaville, Delhi oder Zürich müssen die westlichen Organisationen ihr Nicht-Wissen professionell managen. Man muss wissen, welche Angelegenheiten nicht in die Akten gehören, welche Aspekte man möglichst nicht genau evaluieren sollte und was nicht ohne Weiteres zu rekonstruieren sein sollte. Insofern ist die momentane Verwirrung beim DFB nicht überraschend, sondern Ergebnis des weitgehenden Verzichts auf die sonst üblichen Prinzipien der Aktenführung.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat einfach Pech gehabt. Die auf Personenvertrauen basierenden Netzwerke im internationalen Fußball haben über Jahre gut funktioniert. Aber seit der Krise bei der Fifa schwindet dieses Vertrauen rasend schnell. Jeder versucht, sich irgendwie zu retten und die Schuld auf andere abzuwälzen. Und in diesem Prozess zerbröckeln die mühsam aufgebauten Fassaden. Es gäbe eine einfache Lösung für Wolfgang Niersbach, um aus dem Dickicht wieder herauszufinden. Er müsste lediglich seinen Satz, dass "das Sommermärchen ein Sommermärchen war und bleibt", um den Satz ergänzen, dass das "Bewerbungskomitee des DFB dieses Sommermärchen möglich gemacht hat, weil es genau wusste, wie das Spiel bei der Fifa gespielt werden musste". Das Problem für ihn wäre dann lediglich, dass er zurücktreten müsste.

Der Autor

Stefan Kühl, 49, ist Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld und arbeitet als Berater für Ministerien in Entwicklungsländern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: