Wirtschaftsrat der CDU:Was Schäuble Mut macht

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Wolfgang Schäuble bemühte China als Vorbild für die EU. (Foto: John Thys/AFP)

"Die Krise ist so groß. Die Chance ist nah." Der Finanzminister zeigt sich trotz aller Schwierigkeiten optimistisch. Dafür weist er nach China.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Wer an CDU denkt und an Wirtschaft, dem fällt als nächstes nicht sofort der Begriff Seele ein. Aber genau um dieses ungewöhnliche Trio ging es beim Wirtschaftstag 2016, zu dem der Wirtschaftsrat der CDU an diesem Dienstag nach Berlin eingeladen hatte. Man müsse die "Zeitenwende in Europa" besprechen, hieß es in der Einladung. Der Niederländer Jeroen Dijsselbloem und Politik-Veteran Wolfgang Schäuble waren auserkoren, das Publikum bei den Sorgen und Ängsten abzuholen, die seit dem letzten Treffen vor Jahresfrist gewachsen sind.

Die beiden, so viel sei am Anfang verraten, ließen nichts aus. Weder den demografischer Wandel noch den drohender Brexit, nicht die ungelöste Flüchtlingskrise, die andauernden Niedrigzinsen oder die ausufernden Staatsschulden. Schäuble brachte die Tour durch die europäischen Krisen schließlich ungewöhnlich pathetisch zu Ende. Er sei ja über die Jahre zu der Überzeugung gelangt, dass sich Europa nur in Krisen entwickele, sagte er. "Und deshalb ist mir um Europa nicht bang. Die Krise ist so groß. Die Chance ist nah."

Nicht ganz so leidenschaftlich, aber durchaus empathisch, hatte sich zuvor Dijsselbloem an die Briten gewandt. Sie seien "nicht allein mit ihrer Skepsis und ihren Bedenken" gegenüber der Europäischen Union, führte er das 64 Millionen Einwohner zählende Inselvolk in den Kreis der Europäer zurück. Das sei kein Grund, sich von der EU abzuwenden, sondern einer, um die Gemeinschaft zu verbessern. "Sollten sich die Briten entschließen, in der Europäischen Union bleiben zu wollen, rufe ich sie auf, eine größere Rolle bei der Gestaltung Europas zu spielen."

Dijsselbloem, der vor fast vier Jahren auf Betreiben Schäubles zum Chef der Gruppe der Euro-Finanzminister erkoren wurde, zeigte in Berlin, dass die Bande zu Schäuble weiter eng sind. Ähnlich wie der Bundesfinanzminister ließ der niederländische Finanzminister keinen Zweifel daran, dass es mit der weiteren Vertiefung der Europäischen Union vorerst vorbei ist. "Wir können keine weiteren mutigen Schritte unternehmen für die Vertiefung der Gemeinschaft." Jetzt müsse das Fundament gefestigt werden.

Wenn Applaus als Gradmesser für die Sorgen des Publikums gelten darf, dann treiben die christdemokratischen Unternehmer die niedrigen Zinsen um. Als Dijsselbloem sich daran machte, die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zu verteidigen und stattdessen die Regierungen der Euro-Staaten, "auch die deutsche", aufrief, verschleppte wirtschaftspolitische Reformen umzusetzen, bleib es ruhig im Saal. "Ich bin dafür, dass man mehr schätzt, was die EZB für uns tut", rief der Niederländer. Und stellte lakonisch fest, "dass der Applaus schon mal größer war".

Schäuble holte seine Zuhörer bei einer, wie er sagte, deutschen Eigenheit ab, für die es keine Übersetzung in Englische gebe. "Ordnungspolitik". Es folgte erleichtertes Lachen im Publikum, das anschwoll, als der nächste Gast unauffällig die Bühne zu betreten versuchte. "Herzlich willkommen, Herr Präsident", rief Schäuble auf französisch Nicolas Sarkozy zu. Um sich an das Publikum zu wenden. Er warte jetzt, bis Sarkozy die Kopfhörer im Ohr habe. "Damit er auch die Übersetzung genießen kann." Als Beweis, dass Europa unbedingt geeint sein müsse, bemühte er schließlich China. Die Volksrepublik könne jetzt eigene, nicht kopierte Supercomputer bauen. Und was glaube man, wer die meisten Supercomputer besitze? "Europa jedenfalls nicht. Das müssen wir ändern. Allein geht es nicht." Dafür gab es Applaus, der versöhnlich klang.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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