Wikileaks-Video:"Wie die Bilder aus Abu Ghraib"

Im Fall des Videos, das Soldaten als Mörder zeigt, sind sich die US-Medien in ihrer Empörung einig. Doch gibt es etwas, was sie noch schlimmer finden.

B. Vorsamer

"Ha, ich habe ihn erwischt. Schau dir diese toten Bastarde an." Die Szenen in dem von der Website Wikileaks geposteten Video erinnern nicht nur den Autor auf der amerikanischen Nachrichtenseite Huffington Post an ein Computerspiel.

Gefilmt aus einem Hubschrauber der US-Armee zeigt es, wie Soldaten 2007 in Bagdad eine Gruppe Zivilisten erschießen - ohne, dass die Gründe dafür ersichtlich werden. Bewaffnete Aufständische? Eine bedrohliche Situation? Fehlanzeige.

Erst das nun veröffentlichte Video beweist, was wirklich vorgefallen war. Vor drei Jahren hielten sich noch alle Medien - zum Beispiel die New York Times - in ihren Berichten an die offizielle Version des Militärs und schrieben, dass bei Zusammenstößen in Bagdad neun Aufständische und zwei Zivilisten getötet worden seien.

Das Video weckt jetzt Zweifel an der Legalität des Angriffs. So analysiert das US-Magazin New Yorker, dass die gezeigte Situation in mehreren Punkten der Rechtslage in bewaffneten Konflikten widerspreche. So müssen alle militärischen Handlungen dem Grundsatz der Proportionalität entsprechen, was bei Schüssen aus einem Helikopter auf unbewaffnete Zivilisten nicht gegeben sei.

Auch müssen Personen, die angegriffen werden, zweifelsfrei als Kämpfer identifiziert werden und tödliche Schüsse müssen mit einer höheren Kommandoebene abgeklärt werden. Das haben die Soldaten in dem Wikileaks-Video zwar getan - doch geben sie ihrem Vorgesetzten nicht wahrheitsgetreue und an manchen Stellen widersprüchliche Informationen.

Das Magazin fragt sich infolgedessen, warum der Vorgesetzte nicht ins Zweifeln kommt, wenn ihm einmal von "Individuen, die Leichen und Waffen wegbringen" berichtet wird und einmal nur von "Individuen, die Leichen wegbringen". Die Rechtslage unterscheidet sich in den beiden Szenarien deutlich.

Doch so schockierend die Bilder auch sind und so sehr die Schützen zu verurteilen sind: Den wirklich wichtigen Punkt spricht das Magazin The Atlantic an. Der Autor vergleicht die Veröffentlichung des Videos mit der Veröffentlichung der Bilder von Abu Ghraib und schreibt: "Wir werden wieder in die Versuchung kommen, nur die zu verurteilen, die den Finger am Abzug hatten. Doch das lenkt von den wahren Verantwortlichen ab."

Die Vertuschung durch das amerikanische Verteidigungsministerium sei schlimmer als das Verbrechen selbst, schreibt er weiter und findet: "So sieht das US-Militär aus wie der nächste Saddam."

Die Agentur Reuters, für die zwei der getöteten Zivilisten tätig waren, hat seit zweieinhalb Jahren unter Berufung auf den "Freedom of Information Act" versucht, Einsicht in das Video zu erhalten. Erfolglos. Wikileaks hat das Video nach eigenen Angaben von einer "mutigen Quelle" erhalten. Wie üblich weigert sich die Website, seine Informanten zu nennen.

Die beiden führenden Zeitungen der USA, New York Times und Washington Post, halten sich in dem Fall auffällig zurück. Bei der Post ist die Meldung schon gar nicht mehr auf der Homepage, die New York Times schreibt vor allem über die Aufmerksamkeit, die die Website Wikileaks durch die Berichterstattung über das Video bekommt.

Möglicherweise fühlen sich die etablierten Medien durch Wikileaks bedroht. Wikileaks-Betreiber Julian Assanger gibt ihnen indes den Tipp, ebenfalls in "hightech-investigativen Journalismus" zu investieren. Er sagt: "Es ist Zeit, dass die Medien sich entsprechend weiterentwickeln."

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