Wikileaks: Nahost:"Iran bleibt - die Amerikaner sind irgendwann weg"

Wikileaks legte offen, was die arabischen Staaten über Teheran denken. Politologe Volker Perthes über die Nachbarschaft der Iraner - und wieso in der Region große Veränderungen anstehen.

G. Babayigit

Volker Perthes ist Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und berät die Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Autor und Publizist verfasste bereits mehrere Bücher zum Thema (z.B. "Iran - Eine politische Herausforderung" oder "Orientalische Promenaden").

Mahmoud Ahmadinejad

Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad: Wie die arabischen Staaten tatsächlich über Iran denken, wird aus den von Wikileaks veröffentlichen Depeschen deutlich. Doch die Mächte in Nahost sind um Deeskalation bemüht - allen voran Teheran selbst.

(Foto: AP)

sueddeutsche.de: Der diplomatische Dienst ist in Aufruhr. Nach der Veröffentlichung der Depeschen durch Wikileaks ist das Grundprinzip des Berufsstandes - die Vertraulichkeit - erschüttert. Wird Diplomatie in Zukunft schwieriger?

Volker Perthes: Für amerikanische Diplomaten wird das Leben sicherlich schwieriger. Vertrauen ist eine wesentliche Währung in der Diplomatie, und dieses Vertrauen ist gestört - nicht unbedingt jenes in die Diplomaten selbst, aber in den Apparat, für den sie arbeiten. Die Amerikaner waren nicht in der Lage, die Dinge vertraulich zu halten. Weniger Leute werden sprechen, und das wird bedeuten, dass die amerikanischen Dienste und damit die US-Regierung schlechter informiert sein werden.

sueddeutsche.de: Im Nahen Osten wurden durch die Veröffentlichungen Karten offengelegt, die bislang verdeckt waren. Demnach sprachen sich mehrere arabische Staatsmänner der Region dafür aus, das Atomprogramm Irans auch mit Waffengewalt zu stoppen. In den arabischen Ländern herrscht nun Schweigen - und Teheran zweifelt offiziell die Authentizität der Dokumente an.

Perthes: Es ist wie in einem Memory-Spiel: Man wusste immer, dass die Karten da sind. Jetzt hat sie jemand umgedreht. Natürlich war es nicht so, dass die iranische Führung nichts über das enorme Misstrauen des saudischen Königs oder der Fürsten in den Emiraten gewusst hatte - trotz aller freundschaftlichen Gesten bei Gipfeln und Staatsbesuchen. Dass die Amerikaner von einzelnen arabischen Politikern nun anscheinend aufgefordert wurden, gegen Iran aktiv zu werden, lässt den Zynismus in der Bevölkerung wachsen. Die Leute wissen jetzt sicher: Ihre politischen Führer reden nach außen anders als nach innen. Oppositionelle und islamistische Kreise in den arabischen Staaten bekommen zudem ihre Vorurteile bestätigt.

sueddeutsche.de: Aus welchen Gründen beziehen die Araber nicht offiziell Stellung gegen Iran?

Perthes: Es käme nicht gut in der Region, wenn man öffentlich dazu aufrufen würde, einen Nachbarn anzugreifen. Viele Dinge gibt es oder finden statt, von denen alle wissen: Ob es nun Waffen sind, die man hat, aber nicht zeigt. Ob man Nadelstiche setzt, indem man militante oder sogar terroristische Organisationen im Nachbarland unterstützt. Allerdings werden diese Aktivitäten nie über eine gewisse Grenze der Öffentlichkeit getrieben, weil diese dann nicht mehr zurückholbar sind. Einen Botschafter, der der New York Times etwas Verfängliches gesagt haben soll, kann man noch erklären, seine Aussagen zurückweisen. Aussagen aus der Spitze aber, die man veröffentlicht und die schriftlich vorliegen, sind nicht so einfach zurückzunehmen.

sueddeutsche.de: Zu einem Sturm der Entrüstung oder einem offenen verbalen Schlagabtausch ist es nicht gekommen. Wieso nicht?

Perthes: Die Diplomaten und Staatslenker in der arabischen Welt wissen, dass sie langfristig mit Iran zusammenarbeiten müssen. Iran bleibt, während die Amerikaner vielleicht irgendwann weg sein werden. Man hat kein Interesse daran, Erbfeindschaften zu kreieren. Deshalb räumt man hie und da ein, dass es die ein oder andere Meinungsäußerung gegeben hat. Aber grundsätzlich erklärt man sich stets bereit, Vertrauen und Zusammenarbeit in der ganzen Region aufrechtzuerhalten. Selbst wenn alle wissen, dass es nur Fassade ist: So eine Haltung offiziell einzunehmen, ist sehr nützlich.

sueddeutsche.de: Also versucht auch Teheran mit seiner verhaltenen Reaktion auf die Wikileaks-Dokumente, diese Fassade zu bewahren?

Perthes: Das ist interessanterweise tatsächlich eine Art der Deeskalation, wie sich Iran zu den Veröffentlichungen geäußert hat. Auch für dieses Verhalten gibt es jedoch einen weiteren Grund: Die Iraner wollen nach innen demonstrieren, dass man in der Region nicht isoliert dasteht.

sueddeutsche.de:Der saudische König wird mit den Worten zitiert, dass in der Region ein fürchterliches Wettrüsten entstehen würde, wenn Iran die Bombe hat. Ist diese Sorge berechtigt?

Perthes: Viele Beobachter teilen diese Befürchtung. Ganz einfach ist es indes nicht, sich mit Atomwaffen auszustatten, wie man an Iran sieht - selbst wenn es einige Akteure in der Region gibt, die technisch wahrscheinlich dazu in der Lage wären.

sueddeutsche.de: Wen meinen Sie?

Perthes: Das gilt in erster Linie für die Türkei und vielleicht auch für Ägypten. Die Saudis müssten von den Pakistanern unterstützt werden. Allerdings würden sie die Beziehungen zu den USA damit sehr belasten.

sueddeutsche.de: Auch Israel würde nicht einfach zuschauen.

Perthes: Richtig, das heißt aber nicht, dass es politisch nicht opportun ist, zu sagen: "Wenn ihr nicht diplomatisch verhindert, dass die Iraner Atomwaffen erlangen, dann könnte es unkontrollierbare Entwicklungen geben." Vor allem in dem Bereich, der den Amerikanern so wichtig ist: die Proliferation. Aber die Saudis fühlen sich nicht wirklich bedroht von Atomwaffen. Sie achten auf andere Dinge: darauf, ob die Iraner im Irak weiter intervenieren können, ob sie im Bahrain intervenieren und dort die schiitische Mehrheit mobilisieren können, ob sie Minderheiten im Jemen oder in Saudi-Arabien unterstützen. Die Dominanz am Persischen Golf wäre, sollte Teheran auch noch Atomwaffen besitzen, überhaupt nicht mehr in Frage zu stellen.

sueddeutsche.de: In der kommenden Woche kommt es voraussichtlich wieder zu Atom-Verhandlungen zwischen Iran und der Sechser-Gruppe. Ist das nicht reine Zeitverschwendung?

Perthes: Der journalistische und mitunter politische Vorwurf ist falsch, dass die Diplomatie nichts tue, außer auf Zeit zu spielen. Zeitgewinn ist etwas Gutes. In dieser Zeit kann es politische Veränderungen geben, nach dieser Zeit urteilen die Iraner vielleicht anders über ihr Bestreben. Nach einem Militärschlag, der von den Hardlinern in den USA, in Israel und auch im arabischen Raum ins Feld geführt wird, ist für Diplomatie kein Platz mehr. Die Iraner würden mit ihrem Programm in den Untergrund gehen, eine viel feindlichere Haltung einnehmen und mehr den Terrorismus in der Region unterstützen.

sueddeutsche.de: Aber besonders optimistisch hinsichtlich der Gespräche kann man angesichts der verfahrenen Lage nicht sein, oder?

Perthes: Natürlich könnte man sagen, mit dem Zeitgewinn löst man das eigentliche Problem nicht. Aber Zeit schafft Spielraum für weitere diplomatische Verhandlungen und verhindert die Eskalation. Außerdem haben wir doch gesehen, wie es in Iran in den letzten Jahren schon gebrodelt hat. Das Regime kann sich verändern.

sueddeutsche.de: Die veröffentlichten Depeschen haben auch Gerüchte um die schwere Krankheit des Ayatollah Khamenei befeuert. Wie geht es in Iran weiter, wenn der Khamenei nicht mehr an der Spitze steht?

Perthes: Es ist schwer, Prognosen abzugeben. Die Nachfolgefrage in Iran wird aber eine ganz besondere Bedeutung haben, weil mehrere Konflikte innerhalb des Systems in dieser Frage kumulieren werden. Wer wird der Nachfolger? Und welche Kompetenzen soll das Amt in Zukunft noch haben? Ein säkularer Präsident wie Ahmadinedschad etwa würde eher einen schwächeren Führer haben wollen. Innerhalb der systemtragenden Kräfte wird es interessante Auseinandersetzungen geben. Allein an dieser Frage sieht man wieder: Der Faktor Zeit ist immer im Spiel.

Man muss die Nachfolgedebatte in Iran aber in breiterer Perspektive betrachten. In den nächsten Jahren werden wir in Nahost in mehreren Staaten sehr komplizierte Nachfolgefragen haben. Wir wissen, wie wichtig der Reformer und saudische König Abdullah in diesem System ist. Ähnlich ist es in Ägypten, wo Präsident Mubarak bereits 82 Jahre alt ist und an der Macht weiter festhält. Diese offenen Fragen sind ein Unruhefaktor für die Region. Und diese Fragen müssen nicht in jedem Fall friedlich gelöst werden.

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