Wikileaks-Gründer Julian Assange:Vor den Augen der Feinde

Das Versteckspiel ist zu Ende: Die Polizei hat Julian Assange verhaftet. Wochenlang war er untergetaucht - in einem Journalistenclub mitten in London.

Wolfgang Jaschensky

Nun, da die Jagd auf Julian Assange beendet ist, beginnt der juristische Marathon. Schnell hat sich die Hoffnung zerschlagen, dass Assange wieder auf freien Fuß gesetzt wird: Die Richter im Londoner Stadtbezirk Westminster haben angeordnet, dass er in Polizeigewahrsam bleiben muss - mindestens bis zur nächsten Anhörung am 14. Dezember. Mehrere Prominente - wie etwa die Millionärstochter Jemima Khan - hatten angeboten, für Assange zu bürgen.

Wikileaks-Gründer Julian Assange: Die Presse vor dem Westminster Magistrates Court: Hier soll Julian Assange befragt worden sein.

Die Presse vor dem Westminster Magistrates Court: Hier soll Julian Assange befragt worden sein.

(Foto: AP)

Wenige Stunden zuvor, am Dienstagvormittag, hatte das wochenlange Versteckspiel für den 39-Jährigen ein Ende. Assange sei am Morgen bei einem vereinbarten Treffen auf einer Londoner Polizeiwache festgenommen worden, teilte Scotland Yard mit. Sein Anwalt Mark Stephens sagte vor dem Gerichtsgebäude, seinem Mandanten gehe es gut. "Es ging sehr höflich zu", beschreibt Stephens die Situation auf der Wache. "Sie überprüften seine Identität. Sie sind sehr zufrieden, dass er der echte Julian Assange ist, und wir sind bereit, vor Gericht zu gehen."

Experten gehen davon aus, dass sich die nun anstehenden Verhandlungen über die Auslieferung Assanges nach Schweden noch Monate hinziehen können. Anfang Dezember hatten die Behörden in dem skandinavischen Land einen EU-weiten Haftbefehl gegen den Australier ausgestellt. Dort soll sich Assange wegen Vergewaltigungsvorwürfen verantworten. Ihm wird vorgeworfen, zwei Frauen, mit denen er zunächst einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte, gegen ihren Willen zu ungeschütztem Sex gezwungen zu haben.

Wegen dieser Vorwürfe war Assange in den vergangenen Wochen untergetaucht - und zwar mitten in London, nur wenige hundert Meter von Hyde Park und Oxford Street entfernt, in den Räumen des Journalistenclubs Frontline. "Ich kann bestätigen, dass Mister Assange einen Großteil der vergangenen Monate in den Räumlichkeiten des Frontline Clubs verbracht und von hier aus gearbeitet hat", gab der Gründer des Clubs, Vaughan Smith, bekannt. Smith hatte den Club 2003 im Andenken an verstorbene Kollegen der TV-Nachrichtenagentur Frontline gegründet. Das Ziel der Vereinigung: die Meinungs- und Pressefreiheit zu stärken.

"Jahrzehnt der Medienmanipulation"

In den eleganten Clubräumen tauschen sich Diplomaten, Journalisten und Entwicklungshelfer aus - und bis gestern ging dort wohl auch Wikileaks-Gründer Assange ein und aus. "Angesichts des Versuchs, ihn zum Schweigen zu bringen und nach einem Jahrzehnt, das seit 9/11 von der Manipulation der Medien geprägt war, bieten die von Wikileaks veröffentlichten Informationen einen erfrischenden Blick auf die zunehmend undurchsichtige Welt", heißt es in Smiths Erklärung. Der Großteil der 1500 Mitglieder des Clubs unterstütze Wikileaks, sagte der Gründer. Er sei skeptisch, was die Vorwürfe gegen Assange betreffe und habe ihm eine Wohnung angeboten, falls er auf Kaution freikommen sollte.

Vor seiner Verhaftung gab Assange nur vereinzelt Interviews, obwohl sein Name aufgrund der Veröffentlichung der US-Botschaftsdepeschen in aller Munde war. Nun, pünktlich zu seiner Verhaftung, hat er der Zeitung The Australian einen Text geschickt, den diese im Internet publizierte.

Darin verteidigt Assange leidenschaftlich die Arbeit seiner Plattform. Demokratische Gesellschaften bedürften starker Medien und seine Organisation sei ein Teil dieser Medien. "Wikileaks veröffentlicht furchtlos Fakten, die öffentlich gemacht werden müssen", paraphrasiert Assange sein altes Credo und verknüpft es mit der These, Wikileaks habe eine neue Form von Journalismus geschaffen. Assange nennt dies "wissenschaftlichen Journalismus". Seine Idee sei es, die Technik des Internets für neue Wege zu nutzen, um die Wahrheit zu berichten.

"We are the underdogs"

Assange geht auch konkret auf Vorwürfe verschiedener Regierungen ein und schreibt, dass durch die Wikileaks-Veröffentlichungen kein einziges Menschenleben gefährdet worden sei, während die US-Regierung allein in den vergangenen Monaten Tausende Menschen getötet habe. Gleichwohl werde Wikileaks - anders als die etablierten Medienpartner wie die New York Times oder der Spiegel, die die Nachrichten verbreiten - von vielen Seiten bedroht. Seine Folgerung: "We are the underdogs", wir sind die Außenseiter.

Zu den Anschuldigungen, die zur Ausstellung eines internationalen Haftbefehls gegen ihn geführt haben, verliert Assange in dem Text kein Wort. Doch in mehreren Interviews hatte er die Vorwürfe immer wieder zurückgewiesen und die Vermutung geäußert, hinter dem Haftbefehl stecke eine Kampagne der US-Regierung. Wohl aus diesem Grund erklärte Assange auch vor Gericht, dass er einer Auslieferung nach Schweden nicht zustimme.

Die Macher von Wikileaks kündigten über den Kurznachrichtendienst Twitter an, wie bisher weiterzumachen. Die Vorgänge um ihren "Chefredakteur" beeinflussten die Arbeit von Wikileaks nicht.

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